Es begann mit der Begegnung zweier Frauen – Jeanne (24) aus Holland und Madhu (38) aus Indien. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein und doch verbindet sie die gemeinsame Vision, das Leben benachteiligter Frauen zum Besseren zu wenden.
Wenn Mode Geschichten transportiert: Zazi Vintage
Im Alter von 18 Jahren fuhr Jeanne Zizi Margot de Kroon von ihrer Heimat Holland – mit 250 € und ohne Plan in der Tasche – mit dem Bus nach Paris und verdiente sich ihr Geld mit Ukulelespielen auf der Straße. Kurz bevor ihr schließlich das Geld ausging, wurde sie als Model entdeckt und zog nach New York. In der Traumwelt vieler Mädchen fühlte sich Jeanne jedoch ganz und gar nicht wohl – nach drei Monaten ging sie in die Spreemetropole Berlin, um Philosophie zu studieren. Nach einem Studienprojekt in Indien kam sie mit einer Vision zurück. Nun ist sie 24, Gründerin eines nachhaltigen High Fashion Labels – Zazi Vintage – und war kürzlich im Himalaya. Neben ihrer Liebe für außergewöhnliche Textilien liegt ihr eigentliches Interesse in der Entwicklungshilfe für Frauen. Fräulein traf sie kurz vor der Veröffentlichung ihrer neuen Kollektion „Pink City“.
Fräulein: Du bist sehr jung und schon sehr viel herumgekommen, wie hat das deine Identität geprägt?
J: Durch das Reisen habe ich gemerkt, in was für einer kleinen Blase man als weiße, westliche Frau lebt und dass unsere soziale Konditionierung sehr limitiert ist. Wenn du dann andere Kulturen entdeckst, die Schädel anbeten, einen tibetischen Mönch auf einem Berg triffst oder Ureinwohner siehst, die Denge-Fieber mit dem Gift eines Froschbisses heilen, zeigt dir das, dass es so viele verschiedene Identitäten gibt, jeder seine eigene Realität formt und wir dennoch alle gleich sind.
Deine Eltern sind beide Kreative. Deine Mutter ist Professorin für Kunstgeschichte und dein Vater ist Dokumentarfilmer – welche Auswirkungen hatte das auf die eigene Persönlichkeit?
Ich komme aus keinem privilegierten Elternhaus. Meine Eltern sind zwar Intellektuelle, aber viel Geld hatten wir nie. Das hat mich dazu gebracht, erst einmal Jura und Mathematik zu studieren, was ich aber schnell verworfen habe, weil ich wusste: Dann ende ich meiner kleinen Heimat in Holland und das wäre mir nicht genug. Weshalb ich dann mit 250 € nach Paris gefahren bin. Mein Vater ist als junger Mann auch einfach nach Paris gefahren, weshalb ich wahrscheinlich dachte, ich probiere das genauso.
Wenn deine Eltern beide kreative Freiberufler sind, wächst du einerseits mit vielen Unsicherheiten und Chaos auf, andererseits bin ich aber auch mit dem Gefühl groß geworden, in der Welt alles machen zu können, worauf ich Lust habe. Außerdem gab es viel, viel Kunst in meiner Kindheit. Mein Vater ist zum Beispiel besessen von Lichtverhältnissen. Er legte sich damals ständig irgendwo auf den Boden, nur um etwas aus einem bestimmten Winkel zu beobachten.
Meine Mutter hat mir als Kind vor jedem historischen Gebäude einen anderthalb stündigen Geschichtsvortrag gehalten. Was mir meine Eltern vor allem gelehrt haben, ist, Dinge zu hinterfragen und das Leben aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten – das war, glaube ich, die größte Inspiration für mich. Negativ war teilweise die fehlende Struktur bei uns zu Hause. Ich hatte keine Eltern, die zu regelmäßigen Zeiten nach Hause kamen. In der Schule wurde ich häufig gehänselt, weil ich auf eine recht elitäre Schule ging, wir aber nicht wohlhabend waren und ich in Second-Hand-Sachen, anstelle von Markenklamotten wie alle Anderen, herumgelaufen bin. Als Kind findet man das nicht so toll, aber dadurch habe ich gelernt, kreativ zu sein und das Beste aus alten Sachen zu machen.
Wie wird man mit einem Philosophiestudium Designerin?
Es begann alles mit einem Ethikkurs über Martha Nussbaum – Philosophin und Gerechtigkeitstheoretikerin aus den 1970ern – welche sich mit großer Leidenschaft für die Belange von Frauen in Indien eingesetzt hat. Das hat mich sehr inspiriert, weshalb ich ebenfalls nach Indien gereist bin, um dort ein Projekt mit einer NGO für Waisenkinder zu realisieren. Das Problem war, wir hatten kein Geld, also wurde mir empfohlen, Vintage zu verkaufen, um Einnahmen zu generieren. Ich bin also für Recherchen nach Jaipur gefahren, welches berühmt ist für seine Vintage-Textilien. Ich habe dann ziemlich schnell online eine Plattform gegründet und afghanische Kleider verkauft, um ein Projekt in Mumbai zu fördern. Über Instagram habe ich Madhu Ji kennengelernt. Sie hat mich in ein Dorf namens Rajasthan geführt und mir von ihrer Vision, Frauen zu unterstützen, erzählt. Wir beide hatten für unsere Ideen kaum Geld, doch gemeinsam konnten wir innerhalb von einem Monat mit den Frauen aus dem kleinem Dorf sieben Kleider produzieren. So begann die Geschichte von Zazi Vintage.
Designerin bin ich in dem Sinne also gar nicht, sondern eine Art Projektleiterin mit einer großen Leidenschaft für Stoffe.
Die Geschichte von Zazi Vintage basiert auf der Verbindung zwischen dir und Madhu. Was ist das besondere zwischen euch?
Madhu ist einfach unglaublich inspirierend. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, hat es aber innerhalb von einem Jahr geschafft, Englisch zu lernen und an der Berkeley University zu studieren. Zurück in Indien kam sie dann in das Dorf ihrer Schwiegermutter, sah dort die schlechten Lebensumstände der Frauen und gründete “The Institute for Philanthropy and Humanitarian Development”, kurz IPHD, um die Bildung junger Frauen zu stärken und ihre Lebensumstände zu verbessern. Uns verbindet die gemeinsame Vision, Menschen zu helfen und dabei wenig finanzielle Mittel zu haben. Da wir beide am Anfang standen, haben wir uns zusammengetan. Nun arbeiten wir gemeinsam und sie ist wie eine Mutter für mich.
Im Zuge des Chapters „The Pink City“ kooperierst du neben der „IPHD“ Bhikamkor erstmals mit der „PDKF“ NGO, auch Princess Foundation genannt. Worum geht es bei eurer Zusammenarbeit?
Ich war gerade in Jaipur, was auch „The Pink City“ genannt wird und habe viel über Wasserverbrauch in Bezug auf Textilien gelernt, weil ich wissen wollte, wie man eine Kollektion, mit so geringen Auswirkungen auf die Natur wie möglich, herstellen kann.
In Jaipur stieß ich auf die „Princess Foundation“, weil meine Mutter mir ein Bild von Gayatri Devi – der ersten Königin Jaipurs, die Poltikerin wurde – gezeigt hat. Die Organisation wurde von Devi ins Leben gerufen, um benachteiligten Frauen des heutigen Indiens zu einem stabilen und unabhängigen Leben zu verhelfen, ihnen Bildung zu ermöglichen und eine notwendige Gesundheitsvorsorge zu etablieren.
Ich war sehr inspiriert von deren Arbeit und habe viel mit Madhu darüber geredet. Sie meinte, ich könnte helfen, indem ich die sanitäre Versorgung für Mädchen unterstütze. Im Durchschnitt verpassen Mädchen in Indien 40 Schultage im Jahr wegen ihr Periode. Auf dem Land benutzen sie lediglich einen Schwamm, den sie dann in der Sonne trocknen lassen und erst nach einem halben Jahr wechseln.
Zehn Prozent des Erlöses der neuen Kollektion gehen also nun an das „Menstrual Hygiene Project“ – welches zusätzliche Toiletten an Schulen baut, Mädchen mit Menstruationstassen versorgt und generell das Bewusstsein zum Thema Menstruation schärft.
Zazi Vintage ist ja sehr exklusiv und hochpreisig. Die Länder, in denen ihr produziert, sind jedoch sehr arm – wie lassen sich diese beiden Welten vereinen?
Zazi Vintage als Modemarke ist das, was sich nach außen präsentiert, aber eigentlich geht es mir dabei darum, damit Aufmerksamkeit für die Frauen, die sie produzieren zu schaffen und ihnen etwas Gutes zu tun. Sie arbeiten nicht wie andere Fabrikarbeiterinnen wie am Fließband zu menschenunwürdigen Bedingungen – das hat am Ende natürlich seinen Preis.
„Mit bezahlbaren Öko-T-Shirts würde ich nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die ich für mein eigentliches Anliegen bräuchte.“
Mein eigentliches Anliegen ist ja nachhaltige Entwicklungsarbeit. Durch High Fashion generiere ich viel mehr Aufmerksamkeit und habe auch mehr Einfluss. Dass ein Kleid bei Zazi Vintage um die 800 € kostet, liegt zum einen daran, dass wir den Näherinnen einen fairen Preis von 35 € plus Bonus pro Kleid zahlen – im Monat machen sie circa drei, um davon gut leben zu können. Einen Teil davon finanzieren wir mit ihnen sogar in Mikrokrediten. Im Vergleich verdient eine Näherin in Bangladesch umgerechnet 9 € im Monat, bei einem 14-Stunden-Arbeitstag. Zum Anderen kommen ungefähr 100 € für den Stoff pro Kleid zusammen; dann folgen noch Frachtkosten, Zölle und Steuern. Wir verkaufen ein Kleid also für circa 300 € an den Großhandel, von dort aus geht es an Boutiquen – beide Seiten müssen Profit machen. Als Unternehmen machen wir keine Riesengewinne, müssen uns aber natürlich zu einem gewissen Teil dem System beugen, denn allein von einem Online-Shop aus können wir keine Luxus-Kleider vertreiben.
Neben der fairen Bezahlung ist uns vor allem die Bildung der Frauen wichtig, weshalb wir auch in Workshops über Brustkrebs, mentale Gesundheit oder Meditation investieren. Das ist meine große Leidenschaft, weshalb ich immer sehr aufgeregt vor jeder neuen Kollektion bin – weil das bedeutet, wieder neue Projekte zu fördern.
Man darf aber auch nicht missverstehen, dass wir eben keine Charity sind, sondern ein Gewerbe. Ich arbeite mit diesen wundervollen, talentierten Frauen zusammen und möchte mit meiner Marke den größtmöglichen, positiven Impact für sie bewirken. Innerhalb eines Systems, welches auch ich nicht ändern kann.
Wie viele Frauen beschäftigt ihr?
Wir beschäftigen Frauen in Nepal, Afghanistan und Indien. Zusammen sind es circa 40 bis 50.
Welchen Rat gibst du Frauen, wenn sie preisgünstig, aber fair shoppen möchten?
Secondhand und Vintage definitiv. Ich selbst trage Sachen von Humana zum Beispiel. Ich bin keine sehr luxuriöse Person. Ich liebe es, auf Ebay, Etsy oder Kleiderkreisel zu shoppen. Außerdem empfehle ich, sich wirklich Gedanken zu machen, woher das Teil kommt, das man kaufen möchte. Es kann auch ruhig mal teurer sein, es sollte nur letztendlich um die Qualität und die Geschichte beziehungsweise die Personen dahinter gehen. Wir sind so weit davon entfernt zu schauen, wo das Geld, das wir ausgeben, hinfließt. Ich habe mir angewöhnt zu recherchieren, welches Unternehmen hinter dem Produkt steckt, bevor ich es kaufe.
Klamotten-Tausch-Parties unter Freunden oder der Kleiderschrank der Eltern sind weitere tolle Möglichkeiten, um sich einzukleiden und gleichzeitig die Umwelt zu schonen.
Trotz Vorfälle wie dem Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ mit mehr als 1000 Toten hat sich nicht viel geändert in der Branche. Wie siehst du die Entwicklung der Textilindustrie in den kommenden Jahren?
Ich denke, Wiederverwertung wird ein immer größeres Thema. Auch in der Mode. Vielleicht liegt es daran, dass ich in der Branche arbeite, aber ich sehe viel positive Entwicklung in Sachen Nachhaltigkeit. Ich denke, der beste Weg, um etwas zu ändern, ist, es cool zu machen. Mach es trendy, dann haben die Leute Lust darauf. In der Mode geht es ja auch viel um Identifikation, schließlich ist es mit das Erste, was man an einer Person wahrnimmt. Schau dir Vetements an, sie haben mit ihren extrem exklusiven Sachen so viel Aufmerksamkeit generiert, dass sie nun ihre Stimme nutzen, um über globale Verschmutzung zu sprechen. Genau das ist mein Ziel mit Zazi Vintage – mit verrückten und bunten Kleidern so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu bekommen, damit ich dann über Nachhaltigkeit, Verschmutzung und Feminismus sprechen kann. Ich hoffe, dass das Storytelling in der Mode wieder ausschlaggebend wird. Ich hoffe, dass das die Zukunft ist!
Interview: Miriam Galler
Bilder: Stefan Dotter
Styling: Jeanne de Kroon
Talente: Aditi & Nidhi