Frauen sind Göttinnen und in ihrer Macht unangreifbar. Davon ist die spanische Künstlerin Carlota Guerreo überzeugt.
Weiblich! Göttlich! schön!
Carlota Guerreo hat mit ihrer Arbeit als Fotografin, Videofilmerin und Art Direktorin eine völlig neue, einzigartige Sprache gefunden, um die Schönheit der Frau kompromisslos aber dennoch einfühlsam zu inszenieren. Sie zelebriert den Frauenkörper und seine unerschöpfliche Kraft. In ihren Motiven verschmelzen Performance, Stillleben, künstlerische Porträts und Mode. Das Ergebnis sind Bilder und Kompositionen von extremer Aussagekraft.
Guerreo, die heute 29 Jahre alt ist und in Barcelona lebt, entdeckte die Fotografie bereits als Kind. Anfangs hat sie Angst, sich visuell und künstlerisch frei auszudrücken, doch als ihre Freundin Olga de la Iglesia – ebenfalls Fotografin – ihr eine analoge Kamera schenkt, findet sie ihre Leidenschaft. Bis heute fotografiert sie analog, bewahrt dadurch die rohe Ästhetik ihrer Bilder. Guerreos erste Fotos sind Portäts ihrer Freundinnen in der Natur, bei gemeinsamen Ausflügen nach Cadaqués und den Balearischen Inseln. Getrieben von einer starken Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung genießen sie dort – splitternackt auf Felsen – unvergessliche, stärkende Momente als kleine „Frauenkommune“. Inzwischen fotografiert sie für Givenchy, Dior und andere Modehäuser, und auch für Künstlerinnen wie die Poetin Rupi Kaur und Musikikone Solange Knowles, für die sie die visuelle Ausstattung des dritten Studioalbums A Seat At The Table (2016) übernimmt.
Carlota Guerreos kraftvolle Bilder lehren uns, wahre und pure Schönheit im Alltäglichen zu zelebrieren und zu verstehen, was feminine Macht bedeutet. Wie viel Energie Frauen voneinander schöpfen können und wie viel stärker sie sind, wenn Solidarität sinnlose Aggression und Hass ersetzt.
Carlota Guerreo über feminine Kraft
Als ich 15 Jahre alt war, starb mein Vater. Meine Mutter hat sich auch vor seinem Tod immer um alles gekümmert. Sie zog mich und meine Schwester, die wie eine zweite Mutter für mich war, groß. Diese zwei unglaublich starken Frauen sind bis heute meine Felsen in der Brandung. Seit meiner Teenagerzeit habe ich zudem eine wundervolle Gruppe an Freundinnen, die für mich wie eine zweite Familie sind. Ich bewundere sie für ihre Schönheit und Solidarität. Meine Faszination an der Kommune ist vermutlich durch sie entstanden. Im Prinzip dokumentiere ich mit meiner Arbeit lediglich mein Leben, schöpfe Inspiration aus meinen eigenen Lebensbedingungen.
Solidarität und loyale Unterstützung erfuhr ich bereits zu Beginn meines Künstlerdaseins. Ich startete mit der Fotografie zur selben Zeit wie Paloma Wool, Camila Falquez und Olga de la Iglesia – sie sind alle drei unfassbar tolle Künstlerinnen und allem voraus wie meine Geschwister. Auf einer Party waren wir immer die ersten, die tanzten, aber unser Tanz war niemals ein gewöhnlicher, vielmehr war er extrem intensiv und wirkte spirituell auf mich. Er fühlte sich an wie eine kontinuierliche Reflektion über unsere Stammeszugehörigkeit, die selbst in Nachtclubs keinen Halt machte. Das Besondere an uns war, dass wir ständig unser Wissen und unsere Expertise miteinander teilten. Diese sonderbare Energie versuche ich, in meinen Bildern zu spiegeln.
Ich betrachte den Menschen als unglaublich faszinierendes Wesen, doch die Gesellschaft hat ihn in vielerlei Hinsicht abgewertet. Es wird uns ständig beigebracht, nicht an uns selbst zu glauben. Die meisten Frauen können ja nicht einmal mehr ein Kompliment annehmen, vielmehr leugnen sie es. Maria Sosa, eine gute Freundin von mir und eine grandiose Regisseurin, ist in dieser Hinsicht ein wahres Vorbild: Jedes Mal, wenn sie sich im Spiegel anschaut, nennt sie sich guapa, zu deutsch hübsch. Macht ihr jemand ein Kompliment, antwortet sie: „Weiter so, bitte, wie sollte es auch anders sein.“ Selbst wenn es ziemlich banal klingt, hat mich ihre selbstbewusste Reaktion immer sehr beeindruckt. Als ich begann, meine eigene Kraft und Schönheit zu schätzen, wurde mir bewusst, wie schnell ich mich persönlich entwickelte. Wenn ich eine Frau porträtiere, möchte ich ihre Haut, ihre Haare, ihr Wesen und ihre Bewegung sehen. Mein Bild soll sie nicht einschüchtern, sondern glorifizieren. Irgendwann verstand ich dann, dass ich diese Glorifizierung verstärken, diese Macht noch mächtiger machen konnte. Woher meine kreative Kraft dafür entspringt, spüre ich ganz genau. Es ist die gleiche Energie, die sowohl neues Leben kreiert als auch alles andere. Genau das – der Ursprung, die Quelle des Lebens und die Schönheit der Mutterschaft – fasziniert und inspiriert mich für meine Arbeit. Ebenso wie die Tatsache, wie wir Sexualität banalisieren und kapitalisieren. Wir haben wohl alle vergessen, wie heilig und wertvoll sie ist.
Generell theoretisiere ich wenig über das, was ich mache, denn aus welchem Grund auch immer ist meine Sprache und mein Ausdruck das Visuelle. Ich glaube, das Aussehen einer Frau ist ein perfektes Gemälde ihres Wesens. Zu lange porträtierten lediglich Männer uns Frauen, erleuchteten dabei lediglich diejenigen weiblichen Merkmale, die ihnen gefielen und limitierten dadurch die Unendlichkeit der femininen Kraft. Weibliche Stärke ist für mich Teil meines Bauchgefühls. Ich sehe sie in den Frauen, mit denen ich mein Leben teile. Sie ist Licht und Rage zur gleichen Zeit, ist wie die Intuition einer Hexe. Ich muss über meine Zeilen lachen, doch es ist wahr: Feminine Stärke jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Text: Sina Braetz
Bilder: Carlota Guerrero