Ich liebe mich!
So stell’ ich mir die Liebe vor: Bianca Casady
Bianca Casady, zusammen mit ihrer Schwester Sängerin der Band CocoRosie, ist eine Extremistin – vor allem in der Liebe. Denn die bedeute Freiheit und Selbstermächtigung. Gelernt hat sie das auch von den Gebrüdern Grimm.
Fräulein: Bianca, für unsere Rubrik „So stell ich mir die Liebe vor“ hast Du ein Märchen der Brüder Grimm ausgewählt: Das Mädchen ohne Hände. Bist Du mit Märchen aufgewachsen?
Meine Kindheit war wie ein einziges turbulentes und magisches Märchen. Aber Ich erinnere mich nicht an viele bestimmte Erzählungen. Kürzlich habe ich Women Who Run With The Wolves entdeckt und angefangen, mich als erwachsene Frau für Märchen zu begeistern. So bin ich zu The Handless Maiden gekommen, Das Mädchen ohne Hände.
Wann hast Du es zum ersten Mal gelesen?
Vor einem Jahr etwa. Ich habe nie wirklich verstanden, was das war: ein Märchen. Dabei verglichen die Leute meine Songs häufig damit. Ich las, dass die verschiedenen Charaktere in Märchen, ganz wie in Träumen, die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Hauptfigur repräsentieren und reflektieren. Das hat mir dabei geholfen, mein eigenes Leben auch in seinen mythischen Dimensionen zu verstehen, dabei, wie ich mit den dunklen Gestalten umgehe, die es bevölkern und diese als hilfreichen und wichtigen Teil von mir zu begreifen.
Inwiefern war das hilfreich?
Dunkle Erscheinungen zu erkennen und diese als Teil von sich und seinem Lebensweg zu sehen bedeutet Herausforderungen im Leben als Gabe anzunehmen.
Märchen können sehr düster und erschreckend sein, vor allem eine Geschichte wie Das Mädchen ohne Hände. Sind sie ein Spiegel unserer Gesellschaft, unserer Sehnsüchte und Abgründe?
Das Grimm´sche Märchen erzählt von der Reise einer jungen Frau in die Weiten des Waldes, von einer Reise in die Tiefen des Unbewussten. Ich denke oft über die Notwendigkeit eines solchen düsteren Ortes in der eigenen Psyche nach.
Was Du als eine Art von Katharsis oder rite de passage beschreibst ist Teil vieler Mythen von Persephone bis hin zu Hänsel und Gretel. Es geht darum, sich den eigenen Ängsten zu stellen.
Ich habe den Eindruck, dass jeder von uns sehr individuell mit der Dunkelheit konfrontiert wird. Mich hat immer schon interessiert, Schmerz und Dunkelheit durch Kreativität umzuwandeln, etwa in Kunst. Manchmal habe ich das Gefühl, mit einem externen und universalen Schmerz zu tun zu haben. Ich nutze meine Kreativität, um die Dinge, die von diesem Schmerz unterdrückt werden, zu entfalten und zu befreien.
Ist die mangelnde Bereitschaft in unsere Zeit, sich den Tiefen des Unbewussten und dessen düsteren Erscheinungen zu stellen, ein Grund für die viele Gewalt, der wir ausgesetzt sind?
Ebenso wie die vielen physischen und psychischen Krankheiten, ja.
Einige Psychologen gehen davon aus, dass das Mädchen, dem der eigene Vater die Hände abschlägt, um den Teufel zu besänftigen, unterwürfig und depressiv sei. Was ist Deine Interpretation? Was symbolisiert das Händeabschneiden für Dich?
Ich bin zu der Interpretation gekommen, dass sich das Mädchen all das selbst angetan hat. Wie ein Selbstverrat sozusagen. Die Tatsache, dass sie den Weg alleine gehen will, als Krüppel, um zu sehen, was geschieht, inspiriert mich wirklich sehr. Sie ist furchtlos und glaubt an sich. Sie will lieber ins Unbekannte gehen als zuhause zu bleiben und von ihren Eltern umsorgt zu werden. Ihre Hände wachsen schließlich nach. Es scheint also, als hätte sie eine starke Verwandlung durchgemacht. Das konnte nur geschehen, weil ihr zuvor etwas Schreckliches widerfahren ist.
Wenn wir über das Märchen im Bezug auf Liebe sprechen, was genau bedeutet diese Geschichte für Dich? Denkst Du dabei an die Vater-Tochter-Beziehung oder an die bedingungslose Liebe des Königssohns zu dem Mädchen?
Ich glaube, dass es eher um Selbstliebe und die spirituelle Reise einer Frau geht, die vom Mädchen zu einer erwachsenen Frau heranwächst.
Müssen vor allem junge Frauen lernen, sich von den auch durch die sozialen Netzwerke verstärkten gesellschaftlichen Schönheitsidealen zu befreien, um sich selbst lieben zu können?
Lernen, sich selbst zu lieben bedeutet für mich zu lernen, für sich selbst zu sorgen. Das kann sehr schmerzhaft sein, gerade wenn man jung ist. Wir wollen geliebt werden. Gleichzeitig sehnen wir uns nach Autonomie. Das ist ein essenzieller Konflikt. Wir müssen junge Frauen ermutigen, sich frei zu machen. Frei davon, sich allein über das Begehren der Männer zu definieren. Was sich wie Macht und Überlegenheit anfühlt, ist oft nur eine Form der Sklaverei und kann eine Frau regelrecht zerstören. Das wurde mir um meinen 15. Geburtstag herum klar: Ich dachte, ich sei eine Verführerin, tatsächlich war ich eine als Verführerin getarnte Sklavin. Ich hatte damals einen Zusammenbruch und habe mich anschließend bewusst dafür entschieden, mich nie wieder von Männern abhängig zu machen.
Wie hast Du gelernt, Dich so zu lieben wie Du bist?
Ich folgte immer wieder unbeirrt meinen Instinkten und Träumen, bis es nicht mehr weiterging. Ich folgte ihnen bis zum Zusammenbruch. Meine Mutter hat mich gelehrt, meinen künstlerischen Neigungen und Leidenschaften zu folgen und an mich selbst zu glauben. Das half. Andere Abschnitte meiner Reise musste ich ganz alleine gehen – oder sogar gegen den Willen meiner Familie. So oder so komme ich aus einer Familie, die sich immer von ihrer Spiritualität und ihrem Glauben an das kosmische Gleichgewicht hat leiten lassen.
Im spirituellen Sinne – was ist reine Schönheit?
Mysterium.
Tod ist ein Mysterium.
Schöpfung ist ein Mysterium.
Liebe ist ein Mysterium.
Interview: Alina Amato
Bilder: Bianca Casady
Info 1: Am 29.1.2016 hatte die jüngere CocoRosie-Schwester ihr Solodebüt präsentiert: als Bianca Casady & The C.i.A. erschien Oscar Hocks bei Fantasy Music/Indigo erschienen.
Dieser Beitrag erschien in der Fräulein 2/2016