Über die Anmut vergessener Worte.
Petrichor
Lange haben wir keinen Regen mehr gesehen. Die Sonne prallt seit mehreren Wochen auf den Asphalt der Straßen und wir atmen Staub ein. Jeder Schritt mühevoll, die Sehnsucht nach Sommer lange vergessen, schleppen wir uns nach draußen. Leicht benebelt sitzen wir an unseren Schreibtischen, greifen zur Wasserflasche und versuchen uns zu konzentrieren. Mit nur wenig Erfolg. Der Schweiß läuft und klebt uns vereinzelte Haarsträhnen unangenehm an die Stirn. Doch auf dem Weg nach Hause passiert es dann. Plötzlich, wie aus dem Nichts, ziehen sich die Wolken zusammen, man hört ein Donnern. Und endlich, endlich, spüren wir es auf unserer Haut: Regen! Es liegt ein Geruch in der Luft, ein Geruch der die Sehnsucht der trockenen Erde beschreibt, die durstend nach dem kalten Nass greift. Wir können es nicht in Worte fassen.
Oder vielleicht doch?
Petrichor, ist ein Begriff der zwar immer noch nicht im Duden vorzufinden ist, jedoch genau diesen Geruch von Regen auf trockener Erde beschreibt. Eingeführt von zwei australischen Forschern im Jahr 1964 leitet er sich aus dem griechischen Petra (Stein) und Ichor (Flüssigkeit in den Adern der Götter) ab. Doch ist dies nicht der einzige Begriff der in unserer Sprache vernachlässigt und vergessen wurde. Psithurism beschreibt das Rauschen des Windes durch die Kronen der Bäume und wer eine intensive Liebe zu Blitz und Donner hat ist ceraunophil.
Wir haben es schwer in unserer heutigen Sprache unsere Beziehung und sinnliche Wahrnehmung gegenüber der Natur präzise und kurz in einzelne Worte zu fassen. In Anbetracht der Tatsache, dass Sprache durch den Wandel gesellschaftlicher Normen verändert und geformt wird, ist dies vermutlich auch keine überraschende Beobachtung. Während Wörter wie Tablet, Selfie und Work-Life-Balance haben, scheinen die anmutigen, griechisch abgeleiteten Begriffe einfach keine Verwendung in unserer Gesellschaft zu haben. Morgens essen wir schnell einen Low Carb Riegel, in der Mittagspause sind wir am tindern und die Emails beantworten wir abends noch im Bett über unser Tablet. Keine Zeit für sentimentale Worte der Natur gegenüber. Alles was nicht heruntergeladen, gespeichert, kopiert oder geliked werden kann, ist nur Unkraut in unserer Existenz. So scheint es jedenfalls, wenn wir uns die neu eingeführten Begriffe im Duden 2018 anschauen.
Doch wenn der Regen nach einer langen Trockenzeit fällt und man tief einatmet, dann formt sich ein Verlangen, den Moment in einem Wort festzuhalten. Einem Wort, dass der Anmut der Natur gerecht wird- Petrichor.
Beitrag: Anna-Maria Blatt
Bild: Unsplash