Was sind Models eigentlich ohne Mode, ohne Shooting und ohne Glamour? Und wie weit driften die Vorstellungen, die uns Werbewelten vermitteln von dem wirklichen Leben der scheinbar makellosen Projektionsflächen für Lifestyle- und Textilträume tatsächlich ab? Ein neuer Fotoband versammelt intime Porträts von Models in ihrem Zuhause.
Schönheit zwischen Junk Food und Umzugkartons
In den 20er Jahren führt der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung erstmals den Begriff ‘Persona’ ein. Er umschreibt damit das soziale Verhalten einer Person in der Öffentlichkeit. Wie eine Theatermaske setze man diese „angepasste” Persönlichkeit auf. Man schlüpft in eine Rolle, deren Verhalten mit den Erwartungen der Gesellschaft konform ist. Während eine solche Beobachtung damals neu war, gehört sie heute im Zeitalter von Sozialen Netzwerken, Werbung und Selfies zum Alltag.
Die Fotografin Hadley Hudson arbeitet schon seit vielen Jahren als professionelle Modefotografin. 2008 hat sie mit einem Projekt begonnen, das nun in Form eines Bildbandes bei Hatje Cantz erschienen ist: Über acht Jahre hinweg besuchte sie Models in ihren eigenen vier Wänden und fotografierte sie dort. Statt auf dem Laufsteg oder in inszenierten Shootingszenen sind die Models nun in ihren WGs, in Modelapartments oder bei ihren Eltern zuhause zu sehen. Die Publikation mit dem auf C. G. Jungs Theorie anspielenden Titel Persona versammelt die 80 eindringlichsten Aufnahmen dieser Werkserie nun erstmalig in einem Künstlerbuch.
Hudson will aufdecken und festhalten, was sich hinter der Maske befindet, die die Modeindustrie den Models aufsetzt – und das gelingt ihr sehr gut. Die in Berlin und New York lebende Fotografin studierte an der University of California in Los Angeles und an der Parsons School of Design in Paris. Ihr Markenzeichen ist die Verbindung von Erotik und Punk, womit sie sich als Fotografin bekannter Musikgrößen bereits einen Namen machte.
Inspiriert davon, wieviel Persönlichkeit und Lebensgeschichte sich in privaten Räumen zeigt, lässt Hudson die Models sich in jedem Bild selbst inszenieren. Auf dem ungemachten Bett, dem durchgesessenen WG-Sofa oder zwischen Junk Food: Es entstehen Fotografien von jungen Menschen, deren schöne Gesichter losgelöst von Werbeslogans und Modekollektionen zunächst einmal fehl am Platz wirken. Die Bilder irritieren. Außergewöhnliche Schönheit passt nicht zu einer unglamourösen Umwelt. Sie wirkt fehl am Platz.
So sehr ist der Betrachter an ein passendes Arrangement und an Schönheit im Zusammenhang mit Perfektion gewöhnt, dass er ins Stutzen gerät. Hudson durchbricht unsere durch Werbung geschulten Blick- und Denkmuster. Man ertappt sich selbst dabei, etwas anderes erwartet zu haben. Erst so wird es möglich, die eigenen Wahrnehmungstrukturen aufzudecken, zu verstehen und vielleicht sogar zu verändern. Auch wenn es aufgrund unserer alltäglichen Eingespanntheit in verschiedene visuelle Kosmen von Instagram über Werbung bis hin zu Schaufenstern wahrscheinlich unmöglich ist – zumindest wünschenswert wäre es, die eigene Wahrnehmung ein Stück unabhängiger zu machen.
Denn die Models in diesen Fotografien sind nicht fehl am Platz. Sie sind nur frei von Zuschreibungen einer bildmächtigen Konsumwelt. Und stehen allein als das dort in ihren Zimmern, was sie eigentlich sind: Junge Menschen mit einer persönlichen Geschichte.
Fotos: Hatje Cantz Verlag, Model apartment, 2012 | New York City, © Hadley Hudson
Hatje Cantz Verlag, Adrien at his mother’s, 2008 | Paris, © Hadley Hudson
Hatje Cantz Verlag, Giedre, 2012 | Wall Street, New York City, © Hadley Hudson
Beitrag: Alicja Schindler