Intelligenter Konsum kann die Welt besser machen, davon ist unsere Kolumnistin überzeugt. Worauf warten wir noch?
Kauft klug ein
Im Moment würde wohl niemand behaupten, mit dem Zustand der Welt zufrieden zu sein – dabei sind wir weder so ohnmächtig und machtlos, wie wir glauben, noch die Opfer, für die wir uns manchmal halten. Jeder von uns trägt durch seine Handlungen (oder Nicht-Handlungen) dazu bei, dass alles schlimmer oder zumindest nicht besser wird. Dabei ist es ganz leicht, etwas zu unternehmen, indem man einfach etwas unterlässt. Die Grab-your-Wallet-Bewegung hat gezeigt, dass Konsumenten die Macht haben, wenn nicht die Welt, so doch kleinere Missstände darin zu verändern. Grab Your Wallet rief dazu auf, alle Marken, an denen die Trump-Familie beteiligt ist, zu boykottieren – was dazu führte, dass die amerikanische Luxus-Kaufhauskette Nordstrom das Modelabel Ivanka Trump aus dem Sortiment nahm. Der Boykott war medienwirksam, das Image des Kaufhauses hätte zu großen Schaden nehmen können, als dass es sich gelohnt hätte, weiterhin Trump-Mode zu verkaufen. Auf die im Vergleich zum Gesamtumsatz popeligen 14,3 Millionen, die das Trump-Label Nordstrom in einem Jahr einbrachte, also weniger als 0,1 Prozent des Umsatzes der Kaufhauskette, konnte man gut verzichten. Selbst der TwitterProtest des Präsidenten hat die Entscheider bei Nordstrom nicht beeindruckt – Ivanka musste draußen bleiben. Erst kommt König Kunde, dann der Präsident – wer hätte das gedacht?
Ein weiteres Beispiel ist die Protestaktion #deleteuber. Kritische Nutzer von Uber hatten dazu aufgerufen, die App zu löschen, nachdem ein firmeninternes Memo bekannt wurde, in dem Sympathien für Trump ausgedrückt wurden, und Uber-Fahrer sich geweigert hatten, an einem Taxi-Streik gegen dessen Muslim Ban am New Yorker Flughafen teilzunehmen. Das hundertausendfache Löschen seiner App hätte das amerikanische Unternehmen wirtschaftlich sicher überstanden. Trotzdem entschied Uber-CEO Travis Kalanick recht schnell nach Boykott-Beginn, ein Berater-Gremium von Trump zu verlassen. Wieder stand der Kunde weit über jeder Firmen-Ideologie.
Auch wenn wir in Zeiten leben, in denen sich die Welt surreal anfühlt wie eine Episode der Simpsons, in denen Witzfiguren regieren und dreiste Lügner ganze Völker manipulieren, gibt es doch Hoffnung. Nicht für die Regierungen, aber für die Menschen. Reichte es bei den meisten in den vergangenen Jahren zu nicht mehr als dem richtigen Hashtag, wie zum Beispiel #BringBackOurGirls, #Imwithher oder #Refugeeswelcome, haben viele Menschen in den letzten Monaten ein paar Dinge kapiert: Dass wir Verantwortung für das eigene Schicksal übernehmen müssen und auch können, dass Schafherden-Apathie nicht akzeptabel ist, falls uns etwas an Veränderung, an unseren Rechten, Freiheiten und an einem bewohnbaren, gesunden Planeten liegt. Beteiligung am politischen Prozess ist wieder modern und interessant. Im Jahr 2017 funktioniert sie über globale Märsche, über friedliche, aber penetrante Proteste – und eben über den Boykott bestimmter Produkte und Dienstleistungen.
Natürlich ist die neue Liebe zum Waren-Boykott mit Vorsicht zu genießen. Apple, Starbucks oder Google erkannten ihren Vorteil und positionierten sich schnell gegen Trump, aber wollen wir diese Giganten wirklich als unsere neuen Helden feiern? Nicht unerwähnt bleiben sollte auch der erst durch den Boykott zustande gekommene Gegenboykott, dank welchem Produkte wie Trump-Wein dieses Jahr einen Rekordumsatz verbuchen werden. Dennoch hat der moderne Konsument zuletzt deutlich vorgeführt, welchen Einfluss er im wirtschaftlichen System hat. Mit diesem Einfluss kommt Verantwortung. Dabei muss man gar nicht über den Pazifik schauen, bleiben wir doch mal in unserem Land. Auch hier funktioniert die Macht der Konsumenten. Nachdem bekannt wurde, dass bereits mehrere Veranstaltungen der Alternative für Deutschland (AfD) in Tagungsräumen der Maritim-Hotels stattgefunden hatten, und auch der kommende Parteitag in Köln in einem stattfinden soll, kam es zu Protesten und Mahnwachen – und schließlich zur öffentlichen Distanzierung des Hotels von der Partei. Nach dem Parteitag im April werde man keine Räumlichkeiten mehr an die Partei vermieten. Na also, denkt man sich. Warum nutzen wir unsere Macht nicht mehr! Jetzt, da wir wissen, dass wir sie haben, gibt es auch eine moralische Verpflichtung, sie zu nutzen. Die Entscheidung, was wir kaufen, kann die Welt verändern, doch im Moment sind wir gerade dabei, sie mit unserem Konsumverhalten zu zerstören.
Warum kaufen wir unseren Kaffee in Aluminiumkapseln und hinterlassen 9.000 Tonnen Müll? Warum kaufen wir Fleisch von Marken wie Wiesenhof, Birkenhof oder Mühlenhof und unterstützen so die Schlachtung von jährlich 30 Millionen in barbarischer Massentierhaltung gehaltenen Schweinen? Und warum zahlen wir nicht vier Cent mehr für ein Frühstücksei, damit man in Deutschland nicht jährlich 50 Millionen männlicher Küken schreddert? Wir könnten all diese Dinge gleich morgen verändern und unsere Welt zu einem besseren Ort machen. Worauf warten wir noch?
Beitrag: Violet Kiani
Bild: Charles Etoroma / Unsplash
Dieser Beitrag ist in Fräulein-Ausgabe 2/2017