Frauen, die Bodybuilding betreiben, gelten als unweiblich. Dabei ist niemand weniger sexy als die Magermodels von Heidi Klum.
Metaphysik der Muskelberge
Die Architektin Reka Lajgut hat sich dafür entschieden, ihren Körper zu einem Kunstwerk zu formen. Wir haben sie während eines Tourniers in der westdeutschen Provinz begleitet.
Die Besucher, die sich an diesem Sonntag vor der Stadthalle in Rheinbach versammeln sind für Mitte April ungewöhnlich gut gebräunt. Rheinbach, 30 Minuten südlich von Bonn gelegen, ist tiefste westdeutsche Provinz. Hier heißen Event-Spaces noch Mehrzweckhallen und in genau so eine muss man sich begeben, wenn man minutiös ausgearbeitete Körpermuskulatur bestaunen will. Reka Lajgut ist aus Frankfurt angereist, um hier an der westdeutschen Meisterschaft für Bodybuilding und Fitness teilzunehmen. Für die Vizeweltmeisterin in der Disziplin „Bikini-Fitnessathletinnen“ geht es heute um viel. Als Erstplatzierte qualifiziert man sich für die Deutsche Meisterschaft, außerdem gilt es einen Titel zu verteidigen. Noch merkt man Reka die Anspannung nicht an. Das liegt vielleicht daran, dass sie den Sport nach wie vor als Hobby begreift. Es ist ein teures Hobby, aber Reka sieht das so: „Andere Leute gehen Tauchen, das kostet auch viel“.
Als sich vor fünf Jahren ihr damaliger Freund von ihr trennte, begann sie zweimal täglich ins Fitnessstudio zu gehen. Ein Coach wurde auf die Architektin aufmerksam und bot ihr an sie für die Bühne zu trainieren. So wurde aus der anfänglichen Trotzreaktion eine Wettkampfdisziplin. Heute ist Reka 34 und kann sich ein Leben ohne den Sport nicht mehr vorstellen. Dabei ist der Sport im Bodybuilding lediglich Mittel zum Zweck. Jeden einzelnen Muskel nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können: um nichts anderes geht es. Für Außenstehende ist Teil des Faszinosums Bodybuilding, dass sich dieses Aussehen dem vorherrschenden Köperideal völlig entzieht. Und so fühlt man sich in Rheinbach ein wenig wie in ein ästhetisches Paralleluniversum versetzt. In diesem Paralleluniversum gibt es statt dem sonst bei Sportveranstaltungen üblichen obligatorischen Bratwurstgrill Verkaufsstände für alle möglichen Nahrungsergänzungsmittel. Dazwischen Athletinnen und Athleten, deren Haut sich mit der Hilfe von Bräunungsöl und Streichrollen aus dem Baumarkt binnen weniger Minuten in eine glänzende dunkelbraune Oberfläche verwandelt. Das Prozedere hat etwas Sakrales. Es ist die letzte Veredelung dieser skulpturalen Körper, bevor sie sich auf der Bühne dem kritischen Blick von Jury und Zuschauern aussetzen. Bis es soweit ist wandeln sie wie zum Leben erweckte griechische Statuen zwischen Proteinriegelständen und Schaulustigen umher.
Während der Muskelaufbau bei Männern als natürlich empfunden wird, irritiert Bodybuilding bei Frauen oftmals als eine vermeintliche Aufgabe des weiblichen Körpers. Dabei hat der von Mode und Medien propagierte Magerlook bei Models auch nichts feminines an sich, ist gesellschaftlich nur längst im Mainstream angekommen. Zwar sorgt es regelmäßig für Empörung, wenn Heidi Klum wieder viel zu junge und viel zu dünne Mädchen über den Laufsteg scheucht – passieren tut es trotzdem, zur besten Sendezeit, seit elf Jahren. Die Darstellung eines verschwindenden Frauenkörpers scheint massentauglicher als die eines überformten und ausgebildeten. „Ich fand diese Strichmenschen immer häßlich“, sagt Reka darauf angesprochen. Bevor sie mit dem professionellen Training begann, wog sie bei einer Größe von 170cm 51 Kilo. Heute sind es während der Wettkampfzeit 10 Kilo mehr.
"Die Seele muss sich in diesem Körper wohlfühlen, nur dann kann es ihr gut gehen“
Was man auf dem Wettbewerb in Rheinbach sofort versteht: Das Verhältnis zum eigenen Körper ist hier ein fundamental anderes. Der Körper ist Werkzeug und Herausforderung zugleich. Er wird als formbare Masse idealisiert und objektiviert. „Beine und Po sind meine Defizite. Da muss ich hart dran arbeiten“ sagt Reka trocken während aus der Halle derweil eine Mischung aus Tom Jones und EDM dröhnt. Die Zuschauerreihen sind gefüllt, das Licht der elektrischen Kronleuchter ist gedimmt. Als die Athleten auf die Bühne kommen bricht Jubel aus. Es ist unmöglich in diesem Moment keine irritierende Faszination für diese Körper zu empfinden. Die Männer reihen die ikonischen Posen aneinander: Arme seitlich angewinkelt mit angespannten Bizeps, Drehung zur Seite und leichtes in die Knie gehen, während die Hände sich über dem Kopf treffen. Auf dem Publikum schallt es „Auf Andi, Arsch runter“ und „Ja, sehr schön“. Die Körper auf der Bühne gleichen sich ausdehnenden Hohlräumen. Die Gesichter der Athleten versuchen derweil, die körperliche Anstrengung mit einem vehementen Grinsen zu vertuschen. Es sind freundliche Fratzen die einen entgegengucken und von denen man den Blick nicht abwenden kann. Aus dem Lautsprecher schallt „It’s the eye of the tiger, It’s the thrill of the fight“.
Als die ersten Athletinnen die Bühne betreten fällt der Jubel noch euphorischer aus als bei den Männern. Das Prozedere ist ähnlich: Erst werden Posen in der Gruppe durchchoreografiert, wer weiter kommt hat noch einen Soloauftritt. Bei einigen Kategorien gibt es noch eine Art Körper Slam-Jam, in dem jeder so posen darf wie er oder sie will. Es ist die totale Reizüberflutung. Dabei sind es nicht einfach nur die Muskeln, die hier der Bewertung ausgesetzt werden. Was zählt ist die Gesamtperformance und dazu gehören bei den Frauen auch Haare, Bikini und ein ehrliches Lächeln. Am wichtigsten ist jedoch eine Maßgabe, die auch außerhalb des Fitnesswelt Gültigkeit besitzt: auf die Proportionen kommt es an. Rekas Körper ist nicht der mit den krassesten Muskeln und trotzdem wird sie an diesem Nachmittag den ersten Platz holen. Ihrer ist der harmonischste Körper. Ein Wort, was in Anbetracht der ausgestellten körperlichen Drastik etwas deplatziert wirkt. Reka drückt es so aus: „Wenn du als Frau auf die Bühne kommst und dein Gesicht sieht aus wie das eines Jürgen, dann gibt das Punktabzug“. Soll heißen: wenn offensichtlich wird, dass du mit Stereoiden vollgepumpt bist.
Dass Steroide im Bodybuilding im großen Stil benutzt werden ist allerdings auch allen klar. Schließlich ist es ein Sport dessen Kernsubstanz der Effekt ist. Wenn man wie Reka einen eher nachhaltigen Ansatz verfolgt, steckt hinter diesem Effekt noch mehr Disziplin und Arbeit. Für sie ist die Ernährung und Auseinandersetzung mit den Funktionsweisen ihres Organismus Teil des Sports. Sie weiß, dass Reiswaffeln Blödsinn sind, wie sie ihren Glykogenspeicher am besten auffüllt und dass eine nur auf den Effekt ausgerichtete Ernährung Lebensjahre kosten kann. Sie versucht gesund zu leben, das ganze Jahr über. Das ist äußerst löblich, für den Wettkampf an sich aber irrelevant. Denn hier zählen nur die harten Fakten und die sprechen nicht unbedingt für gesundes Mittelmaß. So erstaunt es nicht, dass viele der Athleten außerhalb der Saison wie unförmige Schwämme aussehen. Erst in der Vorbereitungsphase werden aus ihnen die 0% Fett-Köpermaschinen.
Ihren Job im Architekturbüro hat Reka längst geschmissen. Sie wollte nicht länger zehn Stunden am Schreibtisch sitzen, auch weil ihr Berufsumfeld wenig Verständnis hatte für ihre Verwandlung: „Ich hatte keine Lust mehr auf die blöden Kommentare von meinen Kollegen“. Jetzt hat sie ihren eigenen Fitnessladen in Frankfurt und trainiert andere Athletinnen. Manchmal bleiben Frauen an ihrem Laden stehen und kommentieren das Poster, was Reka während eines Wettkampfes im Bikini zeigt: „Wie kann man das nur schön finden? Ist doch eklig.“ Reka steht daneben, raucht eine Zigarette und schmunzelt. Die Frauen haben sie in Jeans und Parka gar nicht erkannt. Ab und zu arbeitet sie noch an kleineren Innenarchitekturprojekten, der Job macht ihr nach wie vor Spaß. Und vielleicht ist diese Analogie gar nicht so verkehrt: Der Körper als Haus unseres Geistes. Die Seele muss sich in diesem Körper wohlfühlen, nur dann kann es ihr gut gehen.
Das Verhältnis von Seele und Körper ist in der christlichen Kulturgeschichte immer wieder verhandelt worden. Nicht alle Gläubigen scheinen mit dieser Betonung des Körperlichen einverstanden zu sein. Nicht anders ist die Szene zu erklären, die sich am Ende des Wettkampftages vor der Stadthalle abspielt: Drei junge Frauen und ein älterer Mann, die eben noch auf den Zuschauerplätzen im hinteren Teil der Halle saßen, haben einen Halbkreis gebildet. Beim Näherkommen wird deutlich, dass sie beten. Sie beten für Erlösung und Vergebung für die Menschen in der Halle, die sich dort dem Kult der Körpers verschrieben haben. Es ist eine absurde Szene an diesem sowieso schon ungewöhnlichen Tag in der westdeutschen Provinz. Eines kann man aus Rheinbach auf jeden Fall mitnehmen: Menschen finden in den unterschiedlichsten Dingen Schönheit und Erfüllung. Und das ist gut so.
Text: Antonia Märzhäuser
Bilder: Miriam Klingl
Dieser Beitrag erschien in der Fräulein Nr. 22.