Fräulein traf den Chefdesigner von Levi’s Vintage Clothing, Paul O’Neill, exklusiv zum Interview in London. Er sprach mit uns über seine Liebe für Vintage Kleidung, seine Quelle der Inspiration, über Ziele für die Zukunft und schwelgte dabei in Kindheitserinnerungen.
Levi’s Vintage Clothing – Chefdesigner Paul O’Neill im Interview
Levi’s Vintage Clothing hat es sich zum Ziel gesetzt, den Zeitgeist und das Erbe amerikanischer Arbeiterbekleidung der vergangenen 140 Jahre wiederaufleben zu lassen. Die amerikanische Jeans-Kultmarke produziert und interpretiert zwei Mal jährlich Mode aus vergangenen Zeiten neu.
Wir sprachen mit dem Chefdesigner von Levi’s Vintage Clothing, Paul O’Neill, über die neue „Rockers“ Kollektion. Inspiriert vom Jamaika der 70er Jahre ist diese Kollektion eine gekonnte Kombination aus bunten Farben, Cord und natürlich Jeans. Im Rahmen der Recherche auf Jamaika begegneten Paul O’Neill und sein Team inspirierenden Persönlichkeiten, die auch im Lookbook der Herbst/ Winter Kollektion in Form von Portraits verewigt wurden. Die Kollektion ist eine Hommage an den internationalen kreativen Einfluss Jamaikas, an den Film „Rockers“ und an die Helden aus Paul O’Neills Kindheit. Das ist es, was Levi’s Vintage Clothing auszeichnet: Die Authentizität und die persönliche Note.
Fräulein: Paul, erinnerst Du Dich noch an Dein allererstes Stück von Levi’s?
Paul: Ja, auf jeden Fall! Ich weiß noch genau, wann und wo ich meine ersten 501’s kaufte. Es war kurz vor Weihnachten, ich war 12 Jahre alt und ging mit einem Freund in ein Geschäft in Dublin. Wir hörten damals ausschließlich Heavy Metal und waren dementsprechend gekleidet. Das ist lange her…
Fräulein: Was für eine Jeans trägst Du gerade?
Paul: Eine originale Levi’s aus den 60er Jahren. Ich habe keine Ahnung wer diese Hose früher getragen hat, setze mich aber gern mit solchen Dingen auseinander. Vintage hat für mich immer eine besondere Schönheit, eine besondere Geschichte. Diese Hose beispielsweise ist einzigartig. Du kannst natürlich eine ähnliche Jeans haben, aber die Farbe wird anders aussehen oder sie wird einen Fleck an einer anderen Stelle haben. Genau das ist es, was mich an Vintage so fasziniert. Im Grunde genommen mag ich eigentlich alles was Vintage ist. Ich sammle beispielsweise Schallplatten und versuche auch dabei immer die originale Platte zu finden. Was das angeht bin ich ein kleiner Geek…
Fräulein: Was genau steckt hinter Levi’s Vintage Clothing?
Paul: Levi’s Vintage Clothing ist eine kleine Kollektion, die Teil der Marke Levi’s ist und in der wir die Geschichte der Marke reproduzieren. Levi’s konzentriert sich schon immer auf Qualität und hat es sich zum Zeil gesetzt, langlebige Kleidung zu produzieren, wobei es selbstverständlich auch modische Teile gibt, die aktuell sind. Bei Levi’s Vintage Clothing ist das etwas anders: Unser Ziel ist es Mode so zu produzieren, wie sie auch im Original produziert wurde. Wir haben ein Archiv in San Francisco mit über 20.000 gesammelten Kleidungsstücken aus den 1870er Jahren bis heute. Alle sechs Monate wollen wir mit den uns aus dem Archiv zur Verfügung stehenden Teilen eine neue Geschichte erzählen. Jedes Kleidungsstück wird dabei Stich für Stich rekonstruiert, es steckt also sehr viel Arbeit in jedem Teil.
Fräulein: Wie kommt es, dass Jamaika gerade jetzt zum Thema der aktuellen Kollektion wurde?
Paul: Eigentlich war ich schon immer von der jamaikanischen Kultur und Musik fasziniert. Die aktuelle Kollektion konzentriert sich auf Jamaika, auf die 1970er Jahre und war als eine Art Hommage an die Rocker-Szene gedacht. Es gibt einen fantastischen Film von 1978 namens „Rockers“, der als Ausgangspunkt dieser Kollektion diente. Im Grunde genommen geht es bei der aktuellen Kollektion um die Art und Weise, wie amerikanische Mode von anderen Kulturen reinterpretiert wurde. So wie Jamaikaner die amerikanische R&B Musik zu Ska, und Soul zu Rock Steady und letztlich zu Reggae verwandelten, haben sie auch amerikanische Mode neu interpretiert. Als ich nach Jamaika kam, hörte ich zum ersten Mal Geschichten über die Leute aus der Karibik, die sich in New York niederließen. Sie füllten Fässer voller Kleidung und versuchten so viele Klamotten wie möglich, oder was auch immer sie in New York kaufen konnten, zurück nach Jamaika zu schiffen. In Jamaika probierten dann alle die Klamotten an und stellen ihre Outfits zusammen. Es war sozusagen ihre eigene Interpretation des amerikanischen und britischen Stils. Durch die Art und Weise wie sie die Klamotten kombinierten, repräsentierten sie sich und ihre Kultur in einzigartiger Form. Und genau das war meine Idee hinter dieser Kollektion. In der Vergangenheit haben wir uns bei Levi’s Vintage Clothing beispielsweise mit der Zeit der Cowboys oder der kalifornischen Surf-Bewegung der 1940er befasst. Diese Kollektion ist die erste, die sich außerhalb der USA bewegt, die sich damit beschäftigt, wie amerikanische Mode in anderen Ländern interpretiert wurde. Meiner Meinung nach ist das eine besonders spannende Herangehensweise an amerikanische Mode. Irgendwie fühlte es sich einfach richtig an, Jamaika jetzt zum Thema der Kollektion zu machen.
Fräulein: Du erwähntest bereits das Thema Musik – nimmst Du Deine Inspiration aus Deinem persönlichen Leben?
Paul: Ja, absolut. Die Inspiration zur aktuellen Kollektion beispielsweise hat ihren Ursprung in meiner Kindheit: Zum ersten Mal habe ich den Film „Rockers“ mit 14 oder 15 gesehen und war sofort hin und weg! Ich wollte unbedingt einen solchen jamaikanischen Zylinder haben, wie den, den alle im Film tragen. Klar, dass er mir niemals gestanden hätte (lacht). Ich fand aber schon immer, dass die Jungs in dem Film großartig aussehen. Das ist also ein Weg, über den ich meine Inspiration bekomme. Andererseits kann ich aber auch ein Buch lesen, eine Ausstellung besuchen oder mich mit jemandem unterhalten. Ich versuche einfach mich weiterzubilden und auch andere durch die Kollektion weiterzubilden. Unser Ziel ist es, etwas Interessantes zu finden von dem vielleicht noch nicht jeder weiß. Wir versuchen eine gewisse Botschaft zu übermitteln, statt einfach nur nach kommerziellen Ansätzen zu gehen.
Fräulein: Fällt es Dir schwer Teile für eine Kollektion auszuwählen, wenn Du ein derart großes Archiv von 20.000 Kleidungsstücken zur Verfügung hast?
Paul: Mittlerweile, da das Archiv digitalisiert ist, ist es nicht mehr ganz so schwierig. Früher mussten wir Kiste für Kiste durchsuchen. Aber auch diese Methode hatte ihre Vorteile, da man dabei oft ganz zufällig auf wahre Schätze stieß. Im Grunde genommen muss das Konzept einmal stehen, dann wird die Suche auch etwas einfacher. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass man ein bestimmtes Kleidungsstück schon zig Mal gesehen hat und es immer uninteressant fand. Plötzlich sticht es dir dann ins Auge und ist genau das richtige Teil für die Kollektion. In der nächsten Saison, wenn das Konzept ein anderes ist, würde dieses Kleidungsstück dann aber überhaupt nicht mehr rein passen. Unser Ziel ist es nicht Modetrends zu verfolgen, wir wollen vielmehr relevante Mode zeigen und fresh bleiben.
Fräulein: Wie viel Raum für Kreativität bleibt Dir bei dieser Vorgehensweise?
Paul: Wir versuchen zwar so viel wie möglich aus unserem Archiv zu holen, es gibt aber auch Stücke in der Kollektion, die keine Reproduktionen aus unserem Archiv sind, die wir vielmehr hinzufügen, um die Kollektion zu vervollständigen und abzurunden. Zum einen kommt hier die Kreativität ins Spiel zum anderen ist es aber auch die Auswahl der einzelnen Teile. Im Grunde genommen besteht meine Hauptaufgabe darin, eine Kollektion authentisch zu kuratieren.
Fräulein: Wenn Du eine Ära wählen könntest, die mit Levi’s Vintage Clothing noch nicht reproduziert wurde – welche wäre es?
Paul: Ich wäre an den 80er und 90er Jahren interessiert. Zwar ist diese Zeit aktuell auch sehr angesagt in der Mode, das wäre aber nicht der Grund, weshalb ich diese Ära wählen würde. Damals, als ich ein Kind war – das war in den 1990er Jahren – waren die 60er Jahre für mich „Vintage“. Also eine Ära, die damals über 20 Jahre zurück lag. Heute liegen die 90er Jahre über 20 Jahre zurück.
Fräulein: Gibt es irgendwelche Ziele die Du mit Levi’s Vintage Clothing noch erreichen möchtest?
Paul: Ich möchte das Konzept gern einem größeren Publikum zugänglich machen. Wir sollten auf diese Marke, die eine derart großartige Geschichte hat, in noch größerem Maße aufmerksam machen. Überall erscheinen neue Jeansmarken, die mit unserer Geschichte nicht mithalten können. Wir aber haben dieses fantastische Erbe und wir sollten es zelebrieren. Niemand sonst kann von sich behaupten, bereits vor 140 Jahren Jeans produziert zu haben.