Wie aus dem Nichts tauchte Andra Day plötzlich auf der Bildfläche auf, wurde für zwei Grammys nominiert und performte im Weißen Haus.
Andra Day im Interview
Fräulein präsentiert das Konzert der US-amerikanischen Soul-Sängerin Andra Day am 13.04. im Bi Nuu in Berlin. Bevor Andra Day aber für das Konzert nach Berlin kommt, bekamen wir die Gelegenheit schon vorab mit der Sängerin am Telefon zu sprechen:
An einem müden Freitagnachmittag saß ich an meinem Küchentisch und wartete auf den Anruf von Andra Day. Nach nervösen Minuten des Wartens erreichte mich endlich der Anruf, doch die Verbindung brach immer wieder ab. Nach einem 20-minütigen hin und her höre ich endlich ihre tiefe und zugleich sanfte Stimme am anderen Ende der Leitung. Andra klingt gut gelaunt und auf Zack. Sie verabschiedet sich mit einem freundlichen “Thank you, and have a really nice day” vom Taxifahrer. Der Satz nimmt mir ein wenig die Anspannung, die man bei Telefoninterviews hat, da man sein Gegenüber nicht sieht und nicht einschätzen kann, was er oder sie gerade denkt. Mit Andra fühlte es sich jedoch an als würde ich mit einem Mädel quatschen, das ich vor fünf Minuten auf dem Club-Klo kennengelernt habe.
Wahrscheinlich ist das für dich mittlerweile eine absolute Alltagssituation, oder?
Andra: (lacht) Um ehrlich zu sein ist mein Alltag noch viel emsiger. Es hat sich so viel verändert, aber ich mag es! Es ist toll und ich habe viele wunderbare Möglichkeiten. Ich bin bei den Grammy Awards und im Weißen Haus aufgetreten.
Ja, es klingt wirklich verrückt wie dein Leben sich in den letzten Jahren verändert hat. Ich habe gelesen, dass du Stevie Wonders Frau zufällig getroffen hast. Hat das deine Karriere erst so richtig losgetreten?
Ja, das kann man schon so sagen. Milla (Stevie Wonders jetzt Ex-Frau) sah einen Clip von einem meiner Auftritte in Malibu, sie zeigte Stevie den Clip und er mochte meine Stimme. Daraufhin riefen sie mich an. Das war ein unglaubliches Gefühl. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich in meiner kleinen Wohnung saß, die ich mit meiner Mutter teilte und die mit allerlei Musik-Equipment voll war, weil ich sie auch als Studio nutzte. Stevie rief an und wir sprachen über Songwriting und die Möglichkeit einen gemeinsamen Song zu schreiben. Und er erzählte mir, dass ihm meine Stimme sehr gefiel. Stevie stellte mich dem Produzenten vor, mit dem ich letztendlich auch an meinem Album gearbeitet habe. Ich konnte es gar nicht abwarten anzufangen. Wir arbeiteten acht Monate lang, jeden Tag, sehr eng miteinander im Studio zusammen. Wir jammten am Klavier und schrieben Songs. Es war ein unglaubliches Erlebnis Stevie beim kreativen Prozess dabei zu haben. Wahrscheinlich werden wir auch für ein weiteres Projekt zusammenkommen. All das hat definitiv mein Leben verändert.
Ja, es ist wirklich unglaublich wie sich die Dinge manchmal fügen. In einem früheren Interview sagtest du, dass du dich als Person sehr verändert hast. Bis vor ein paar Jahren warst du einigen Menschen nicht immer ehrlich und respektvoll gegenüber. Wie kam diese Veränderung? Bist du eines morgens aufgewacht und hast entschieden, dass du ein besserer, anderer Mensch sein möchtest oder war es ein längerer Prozess?
Ich war damals ein komplett anderer Mensch. Ich war neun Jahre lang in einer Beziehung. Ich war nicht immer gut zu meinem damaligen Freund und auch nicht immer ehrlich. Ich denke es lag daran, dass diese Art von Leben einfach nicht zu mir passte, auch nicht zu meiner Karriere. Ich war emotional, mental und spirituell noch nicht bereit für so eine Beziehung. Und dann traf ich auch noch jemand anderen. Irgendwann realisierte ich was ich meinem Freund und mir selbst antat. Mein Glaube hat dabei auch eine große Rolle gespielt. Ich erinnere mich, dass ich für einen Job in New York war, mit dieser anderen Person, mit der ich meinen damaligen Freund betrogen hatte. Plötzlich spürte ich wie das Jahr voller Unehrlichkeiten und Lügen auf mir lastete. Dann wurde es mir glasklar. Ich war bereit für eine Veränderung.
Mir tat das alles sehr leid. Das erste was ich tun musste war mit meinem Freund zu reden. Ich musste ihm alles erzählen was vorgefallen war, was ich ihm und seiner Familie angetan hatte. Es war sehr schmerzhaft. Schmerzhaft für ihn, schmerzhaft für mich. Es war eine dieser Situationen in denen man mit sich selbst kämpft und einsehen muss, dass man wirklich diese Person ist. Das muss man akzeptieren. Es braucht eine Weile bis ich darüber hinweg kam. Hinweg über die Gefühle und dem Scham. Aber danach konnte ich wieder nach vorne schauen, er hatte mir vergeben. Das war für mich der Wendepunkt. Ich nahm mein Leben in die Hand und entschied, dass ich nie wieder so eine Person sein wollte und mich nie wieder in solche Situationen einkesseln lassen würde. Ich bin froh, dass ich über meine Fehler sprechen und die Wahrheit erzählen kann. Denn ich glaube, dass es einige da draußen gibt, die sich in Situationen und Beziehungen befinden, in denen sie sich nicht wohlfühlen. Vielleicht brauchen sie einfach jemanden der sagt: “Hey, alles wird wieder gut! Du musst einfach nur ehrlich sein, es wird dich nicht zerstören!”.
Ist das auch etwas, das du in deiner Musik verarbeitest?
Definitiv. Ich arbeite an meinen Gefühlen und Gedanken, um meine Geschichte zu erzählen und damit vielleicht anderen Menschen zu helfen. Das ganze Album fungiert gewissermaßen auch als Autobiografie. Wenn ich diese Lieder singe fühle ich mich emotional immer noch sehr verbunden, denn es ist mein Leben, nur dass es Erinnerungen sind und ich darüber reflektiere.
Es ist wahrscheinlich wie mit einem Buch in das man immer wieder hineinschauen kann. Was macht dich jetzt glücklich?
Die Menschen in meinem Leben, wie meine Familie und die Leute mit denen ich arbeite machen mich sehr glücklich. Letztere sind mehr als Freunde für mich geworden. Mein Manager ist einer meiner besten Freunde. Es macht mich glücklich andere Menschen glücklich zu sehen, die Menschen die ich liebe und die mir nahe stehen.
Sind sie was du brauchst um dich sicher und geborgen zu fühlen?
Morgens ist es sehr wichtig für mich, dass ich Zeit zum Lesen habe, zum Beten und Meditieren. Wenn ich Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringe fühle ich mich komplett frei und geborgen.
Wie ist es wenn du auf Tour bist? Es ist schwierig deine ganz Familie mitzunehmen.
Es wäre fantastisch, wenn ich meine Familie mit auf Tour nehmen könnte (lacht)! Ich würde aber wahrscheinlich kein Geld verdienen (lacht). Meine Band gibt mir ein gutes Gefühl. Wir sind alle sehr gleich gesinnt, unterstützen uns gegenseitig und nehmen uns die Zeit um miteinander zu reden und über schlechte Witze zu lachen. Ich fühle mich sehr privilegiert eine Band zu haben, die ich als meine Familie bezeichnen kann. Es ist nie dieses „Ich bin die Künstlerin und ihr die Band”-Ding.
Du warst für zwei Grammys nominiert und bist gemeinsam mit Ellie Goulding bei der Verleihung aufgetreten. Wo warst du als der Anruf kam?
Das war so witzig. Ich hatte am Abend vorher einen Gig und bin erst spät nach Hause gekommen. Ich schlief noch als der Anruf kam. Mein Handy hörte gar nicht mehr auf zu klingeln. Also schaltete ich es aus, um in Ruhe weiterschlafen zu können (lacht). Aber dann kam mein Freund rein und schrie: “Oh mein Gott, Babe, ich kann es nicht fassen, du bist für zwei Grammys nominiert!”. Ich war immer noch total schläfrig und meinte nur: „Schrei doch jetzt nicht so rum, sei bitte leise! Warte, was hast du gerade gesagt? Wiederhol das bitte!“. Das hat sich unglaublich angefühlt. In diesem Moment war ich einfach unendlich dankbar. Es war überwältigend! Den Anruf, dass ich bei den Grammys auftreten sollte, bekam ich in North Carolina während eines Radio-Interviews. Sie haben mich rauszogen und mir das Handy gegeben. Dann hieß es: „Hey, du trittst bei den Grammys auf! Aber du darfst es niemandem erzählen!“.
Und wie war es dann, als du Ellie Goulding trafst?
Ellie ist toll! Von Außen wie von Innen. Ihre Stimme, ihre Persönlichkeit, ihr Charakter. Ich sagte ihr, dass ich mir niemand besseren vorstellen kann um bei den Grammys aufzutreten. Sie ist eine sehr herzliche Person. Ich hoffe sehr, dass wir irgendwann Zeit finden um mal gemeinsam ins Studio zu gehen.
Das wäre ein perfektes Match! Ist es wahr, dass du Weihnachten mit der Präsidentenfamilie eingeläutet hast? Du bist im Weißen Haus aufgetreten und hast Obama getroffen…
Das stimmt. Es war ein unglaubliches Erlebnis den Präsidenten und die First Lady zu treffen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich mal nach Washington DC fliegen würde, um im Weißen Haus aufzutreten und das Präsidentenpaar zu treffen. Manchmal schaue ich mir die Fotos an und es ist immer noch ein absolut surreales Gefühl. Es gab diesen einen wahnsinnigen Moment. Die First Lady legte ihren Arm um mich und führte mich rüber zu Obama. Dann sangen wir zusammen (lacht). In diesem Moment dachte ich: „Ich hab’ sie alle reingelegt und an der Nase herumgeführt. Wer hat mich hier überhaupt reingelassen??“. (lacht)
Schon als Teenagerin wusstest du, dass du Musikerin werden wolltest. Du hast sogar eine Performance School besucht. Hast du diese Entscheidung jemals in Frage gestellt? Gab es eine Zeit in der du dachtest: „Das wird nicht passieren, ich brauche einen Plan B!“?
Es ist witzig, aber ich habe es nie in Frage gestellt. Ich hatte nie einen Plan B. Das verdanke ich aber auch meinen Eltern. Sie haben mich immer sehr unterstützt.
Waren deine Eltern auch Musiker? Was lief bei euch zuhause für Musik?
Nein, das nicht. Meine Eltern spielen keine Instrumente, aber sie singen beide in einem Kirchenchor, wenn auch nicht professionell. Beide lieben Musik, mein Vater liebt Sachen wie R’n’B, Motown Records, Sam Cooke und Rap. Meine Mutter hörte viel Diahan Caroll, Carole King, The Carpenters und Fleetwood Mac. Es gab also jede Menge unterschiedlicher Musik mit der ich aufwuchs. Als ich dann auf die Performance School ging, mit etwa 11 Jahren, habe ich Jazz kennengelernt. Das hat viel für mich verändert. Ich konnte meine dunkle Stimme richtig einsetzen. Das veränderte meine Vorstellung von dem was ich eigentlich machen wollte.
Dein Debütalbum Cheers To The Fall wird bald in Deutschland veröffentlicht.
Oh, gut zu wissen. Ich wusste nicht, dass es in Deutschland noch nicht veröffentlicht wurde. (lacht)
Ja, die Wege der Musikindustrie sind unergründlich. Du kommst bald für ein Konzert nach Berlin ins Bi Nuu. Es ist dein einziges Konzert in Deutschland. Warst du schon einmal in Berlin?
Ich war noch nie in Berlin, ich freue mich total! Ich kann das Konzert kaum abwarten. Ich hab auch einen Onkel und eine Tante die in Berlin leben, mit meiner Nichte die ich noch nie getroffen habe. Ich freue mich sehr sie alle zu sehen und beim Konzert dabei zu haben. Aber eigentlich möchte ich einfach nur die Stadt sehen (lacht).
Hast du Erwartungen an Berlin oder an Deutschland?
Ich weiß noch nicht genau was ich erwarten soll. Ich habe von Leuten gehört, die schon mal in Berlin waren, dass die Menschen dort die Musik sehr wertschätzen. Es gibt sehr viele ehrliche Reaktionen von meinen Fans, darauf freue ich mich schon sehr. Hoffentlich entdecke ich auch ein wenig neue Musik, vielleicht sogar Künstler aus Berlin.
Alle Fotos von Myriam Santos
Interview: Lone Gallus