Designer finden eine Plattform

vor 6 years

Interview mit dem wohl inklusivsten Designer des Jahrhunderts, Alfredo Orobio.

Mit AWAYTOMARS hat Alfredo Orobio den klassischen Weg in die Modeindustrie demokratisiert. Sein 2015 gegründetes Label ermöglicht Designern aus der gesamten Welt zu einem bestimmten Thema ihre Entwürfe einzureichen. Die darauffolgenden Kollektion wird anschliessend aus den vom Publikum und von dem Designteam des Labels ausgewählten Ideen zusammengestellt. Der brasilianische Designer verändert auch das klassische Produktionsmodell: bevor die Kleidungsstücke produziert werden, findet online eine Vorbestellung durch die Kunden statt. Wir haben Alfredo auf der #FASHIONTECH in Berlin interviewen dürfen. Im Rahmen der verschiedenen Talks dieser international veranlagten Konferenz stellte er sein revolutionäres Konzept vor. Er kann stolz verkünden, in seiner Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Schuhhersteller Melisa das grösste Kollektiv zusammengebracht zu haben, dass jemals an einer Schuhkollektion mitgewirkt hat. Nach dieser erfolgreichen Kooperation kündigte Alfredo vor seinem Talk eine für diesen Sommer geplante Zusammenarbeit mit dem italienischen Modehaus Missoni an. Gespräch mit einem Designer, der wie alle anderen nicht alleine an der Front seines Labels steht und darüber auch transparent ist.

Der Markenname AWAYTOMARS klingt futuristisch und optimistisch zugleich. Wie bist du darauf gekommen? 

Ich hatte schon als Kind grosses Interesse für das Weltall, die Sterne und Astronomie. Mein erstes Spielzeug war ein Teleskop. Meine Eltern haben ein Haus auf dem Land in Brasilien, dort haben wir nachts die Sterne beobachtet. Schon damals war ich auch von dem Planet Mars fasziniert. Als ich an der Entwicklung von AWAYTOMARSgearbeitet habe, wollte ich einen Ort schaffen, wo alle gleich sein würden. Weder „Ich war auf der Central Saint Martins“, noch „Ich bin zum Studio Berçot gegangen“. Falls wir eines Tages zum Mars gelangen sollten, werden wir als Menschen dort hingehen. Wir werden die Population sein, die einen neuen Planeten bevölkert hat. Wenn deine Ideen gut sind, wirst du bei AWAYTOMARS Erfolg haben, nur daran liegt es. Es ist ein neuer inklusiver Weg in die Modeindustrie.

 

Mit wie vielen Menschen arbeitest du also jeden Tag?

Im Büro sind wir acht. Aber wir arbeiten mit einem sehr grossen Netz an Designern. Pro Kollektion kriegen wir ungefähr zwischen 500 und 2000 Ideen. Zehn bis fünfzehn Designer werden jeweils ausgesucht, um die Kollektion zu ko-kreieren. Also kommuniziert unser Team mit zehn bis fünfzehn Leuten jeden Tag. Wenn die Shows näher rücken vergrössert sich das Team auf einmal, weil wir dann alle Schnitttechniker und Produktionsleiter mit einbringen.

 

Wo findet die Produktion statt?

Insgesamt produzieren wir in drei Ländern. Unser Tailoring findet in Italien statt, Jersey und einen Teil unsere Hosen lassen wir in Portugal produzieren, die Stoffe werden in Frankreich bedruckt. Last-minute Prototypen stellen wir in London her.

 

Was ist der Hintergrund der Designer, die Euch ihre Arbeit schicken?

Es ist eine Mischung. Wir kriegen Arbeiten von Leuten, die zwischen 14 und 96 sind. Name und Alter werden uns auch im Auswahl-Prozess nicht angezeigt. Es sind viele, die bereits in der Industrie für Firmen wie Burberry, Off-White oder Karl Lagerfeld arbeiten. Die moisten arbeiten in den Design-Teams und haben dort nicht wirklich die Freiheit, ihre Designs durchzusetzen. Bei uns finden sie eine Plattform, auf der sie ihre Ideen abgeben können. Dadurch entsteht eine sehr interessante Niche. Wir kriegen Designs von Leuten, die bei Chanel an Kleidern arbeiten, die tausende von Dollars kosten, gleichzeitig aber auch für uns arbeiten. Es ist also eine ganz interessante Narrative, die sich dadurch aufbaut.

 

Arbeitet ihr mit den gleichen Designern mehrmals hintereinander?

Wir versuchen so demokratisch wie möglich zu sein. Es findet zuerst ein öffentliches Auswahlverfahren statt, bevor unser Team die Designs sieht. Und es ist super interessant zu sehen, dass viele Designer oft zu uns zurückkommen. Ein Designer zum Beispiel, schickt uns schon seit vier Saisons seine Ideen. Also kenne ich seine Zeichnungen und Ästhetik und erkenne ihn dadurch wieder. Und dann behalten wir auch Designer mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben auch. Wir versuchen gleichzeitig mehr neue Leute an Bord zu bringen. Momentan produzieren wir jährlich zwei Kollektionen, idealerweise möchte ich auf acht pro Jahr kommen und noch mehr Leute an Bord bringen.

Durch die Zusammenarbeit mit euch bekommen Designer mehr Visibilität. Inwiefern hat es ihre jeweiligen Karrieren beeinflusst?

AWAYTOMARS  ist jetzt drei Jahre alt. Also können wir auch langsam sehen, wo die Designer mit denen wir kooperiert haben jetzt sind. Viele bleiben in den Firmen, in denen sie arbeiten, aber von zwei wissen wir, dass sie jetzt bei großen Modehäuser sind und sich ein ordentliches Portfolio aufgebaut haben.

 

Habt ihr in Zukunft vor, mehr technologische Aspekte in eure Kleidungsstücke einzubauen? So wie 3-D Drucken oder innovative Materialien?

Wir versuchen, so nachhaltig wie möglich zu sein. Unsere Stoffe sind ziemlich innovativ. Wir arbeiten mit recyclebarem Polyester und Wolle sowie organischer Baumwolle. In der Herstellung dieser ist Technologie mit einbezogen. Was 3-D Druck angeht, würde ich unheimlich gerne nur auf einen Knopf drücken und ein Kleidungsstück zuhause drucken können. Ich glaube aber, dass wir noch 20 bis 30 Jahre davon entfernt sind

„Am liebsten wäre mir, man würde unser Business Modell kopieren.“

Inwiefern bist du persönlich in den Designprozess involviert? Beruht deine Aktivität eher auf Koordination als auf Design?

Es ist eine durchgängige Kooperation und ich bin in diesem Prozess einer der Mitarbeiter. Ich bin mehr auf der Business-Seite aktiv. Meine Geschäftspartnerin Marilia, die Designerin ist, achtet darauf, dass unsere Marken-Ästhetik im finalen Kleidungsstück erhalten ist. Sodass wenn wir an Messen wie der Premium teilnehmen sehen, dass alle Teile nebeneinander auf einer Stange eine kohäsive Entität ergeben. Wir ändern nicht die Designs, legen aber eine kreative Direktion für die Kollektion fest.

 

Ihr invertiert die klassische Verkaufsmethode, indem ihr die Kleidung zeigt und vorbestellen lasst, bevor sie produziert wird. Ist Kopie ein Thema, mit dem ihr euch auseinandersetzen müsst?

Wir hatten dieses Problem noch nicht. Würde das passieren, wäre ich aber sehr stolz und interessiert. In meinen Augen ist Kopie eine riesige Hommage. Wenn wir etwas als erste machen und jemand kopiert uns, sehe ich da kein Problem, sondern eher ein Kompliment. Am liebsten wäre mir, man würde unser Business Modell kopieren. Wenn die Leute wie wir handeln und das Wachstumspotenzial dahinter sehen würden.

 

Cédric Charbit, der CEO von Balenciaga, hat vor zwei Wochen in einem Interview auf Business Of Fashion gesagt, dass Luxus-Marken mehr auf die Kreation einer Gemeinschaft um ihre Brand achten sollten. Auf diesem Prinzip hast du bereits vor drei Jahren deine Firma aufgebaut. Können wir im Fall der Luxuskonglomerate von Green-Washing sprechen? 

Ich würde es ein Community-Wash nennen. Wir müssen echt aufpassen, wenn dieses Argument für Marketing-Zwecke genutzt wird. Ich habe etwas Angst vor dem, was Demna Gvasalia sagt. Er ist ein Marketing-Genius und wir wissen nicht, was stimmt und ob Balenciaga überhaupt als Community zusammenarbeitet oder nicht. Sein Konzept für Vetements fand ich sehr cool. Er hat unheimlich schnell ein gutes Kollektiv aufgebaut. Wir wollen aber nicht nur Anhänger haben, sondern Leute in den kreativen Prozess mit einbinden.

 

 

Euer Business Modell vermindert das Risiko von Über-Produktion. Wie ist Deine Position zu Sale und Preis-Reduzierungen?

Wir vermeiden Sale in jeglicher Hinsicht. Erstens weil wir nicht genügend dafür produzieren. Manchmal mögen wir ein bestimmtes Teil aber zu sehr und das Produktionsminimum ist höher als die Anzahl an Stücken, die wir in der Vorbestellung verkauft haben. Dann kommt es manchmal zu Überproduktion. In diesen Fällen schenken wir die Teile aber lieber Influencern oder unseren Designern. Zweitens gefällt mir die Idee von Sale einfach nicht, weil ich das Gefühl habe, den Kunden zu hintergehen. Ich möchte lieber von Anfang an den richtigen und fairen Preis angeben. Unsere Marge ist halb so groß wie die anderer Marken. Wir nehmen unsere Gehälter, bezahlen die Designer fair. Es gibt keine Logik hinter der Aktion, ein Balenciaga T-Shirt für 300 Dollar zu kaufen, wenn die Produktion davon acht gekostet hat. Da ist die Gewinnspanne zu groß, das ist ein Scherz. Es gibt einen sehr coolen Artikel von Eugene Rabkin auf Business Of Fashion über sogenannte ‚premium mediocre’ Kleidungsstücke. Teile die in der Produktion nichts kosten, aber für Millionen verkauft werden. Die Kunden wissen zum größten Teil gar nicht, wie viel Geld Modemarken machen. Ich verurteile das nicht, finde aber, dass ein Kunde darüber informiert sein müsste.

Wir können dem Kunden, der ein T-Shirt für fünf Dollar kauft, nicht die Schuld geben. Die Firma, die das herstellt sollte beschuldigt werden.

Glaubst du, dass die Fast Fashion komplett verschwinden muss, damit die Welt der Mode ethisch korrekt wird? Wäre das eine Lösung?

Ich denke nicht, dass sie verschwinden kann, weil diese Industrie viele Jobs bringt. Es ist ein Segment für sich mit einem eigenen Markt. Wir sollten sie eher verlangsamen und mehr regulieren. Es ist nicht möglich, dass H&M, Primark, COS und Zara Kleidung in Bangladesh herstellen und sie dann verbrennen. Es gibt einfach keine Menschenrechte in dieser Industrie. Niemand achtet darauf. Wir können dem Kunden, der ein T-Shirt für fünf Dollar kauft, nicht die Schuld geben. Die Firma, die das herstellt sollte beschuldigt werden. Und das Problem der Kopie ist ja auch ein großes Problem der Fast Fashion. Mode wird nicht mehr mit Passion geschaffen. Wir sind alle vernetzt. Ich habe gestern die Prada-Show in Mailand gesehen und jetzt ist sie bereits alt. Sie ist noch nicht mal in den Läden, aber für mich, für alle, sind das schon keine neuen Nachrichten mehr. Dafür müssen wir eine Lösung finden. Weil man leider auch nicht Social Media entkommen kann.

 

Ist see-now-buy-now eine Lösung für dieses Problem?

Ich glaube nicht. Das Problem mit see-now-buy-now ist die Überproduktion. Du weisst nicht, ob du genügend verkaufen wirst. Das Konzept wird eines Tages klappen, wenn wir nur anhand von Vorbestellungen produzieren und nur noch ein Knopf gedrückt werden muss, um alles zuhause zu drucken. Aber jetzt, als kleine Marke, ist es nicht möglich. Ich habe nicht genügend finanzielle Mittel dafür, in Stoff zu investieren, bevor ich produziere. Das ist viel zu riskant.

 

Und wie wird A Way To Mars in der UK, wo ihr auch basiert seid, wahrgenommen?

Grossbritannien ist unser hauptsächlicher Markt, weil wir auch dort basiert sind. Die Leute sind dort sehr an Nachhaltigkeit und neuen Produktionswegen interessiert. Manchmal werden wir gefragt, wieso jemand 50 Pfund für unsere T-Shirts ausgeben sollte, wenn er das gleiche für ein Zehntel davon bei Primark kaufen kann. Da müssen wir dem Kunden immer wieder erklären, dass wir wissen, woher die verarbeitete Baumwolle stammt, die Namen der Näherinnen aufzählen und versichern können, dass die Produktion vollkommen nachhaltig ist. Wir zahlen unsere Arbeitskräfte nicht nur 10 Cent pro Stunde. Hier ist eine Parallele zur Plastik-Industrie auch echt interessant. Alle wollen auf einmal aufhören, Plastik zu benutzen. Ich weiss nicht wieso, aber irgendwie sind die Menschen mehr an die Schildkröten im Meer als an sterbende Menschen gebunden. Es ist schon traurig. Natürlich denke ich auch, dass wir weniger Plastik benutzen sollten, aber dass Menschen mehr über Schildkröten als ihre Mitmenschen nachdenken, finde ich schon faszinierend.

Danke für das Gespräch, Alfredo!

awaytomars.com

Mehr Infos zur #FASHIONTECH unter fashiontech.berlin

 

Interview: Juliane Clüsener-Godt

 

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