Ausflüge in Tokios Szeneviertel Harajuku oder Surfen am Strand von Waikiki: Terrace House gibt uns einen wunderbaren Einblick in das japanische WG-Leben und beweist, dass Reality-TV auch ganz ohne Skandale funktioniert.
Inspiration: Terrace House
Dass das Konzept einer japanischen Reality-TV-Show so unfassbar spannend und fesselnd sein kann, erschien mir im ersten Moment als nahezu unmöglich. Reality-TV kennen wir aus Deutschland und den USA in unzähligen Formaten. Dabei sind Shows wie Big Brother oder Ich bin ein Star – Holt mich hier raus, neben ihrem hohen Maß an Peinlichkeit, auch einfach nur langweilig.
Das Konzept von Terrace House jedoch ist anders. Sechs junge Männer und Frauen ziehen in eine WG. Es wird nur ein Haus und Auto gestellt, ansonsten gibt es keinerlei Skript. So unspektakulär das klingt, umso spannender ist das Ergebnis. Die Zuschauer beobachten das Zusammenleben der sechs Protagonisten.
Terrace House wird in Japan bereits seit 2012 ausgestrahlt. Nachdem das Format dort unglaublich populär wurde, kaufte sich Netflix in die Produktion ein. Terrace House – Boys and Girls in the City lautet der Titel der ersten Netflix-Staffel, die seit 2015 in insgesamt 190 Ländern ausgestrahlt wird. Im Januar 2017 folgte die erste internationale Staffel Terrace House – Aloha State welche in Hawaii spielt.
Nach nur 30 Minuten hatte mich die Serie bereits voll und ganz in ihren Bann gezogen. Was auf den ersten Blick langweilig und platt erscheint, erweist sich nach einer Weile jedoch als sehr erfrischend: Es gibt keine Skandale oder Zickenkrieg, ebenso wenig gibt es Challenges oder langweilige C-Prominente. Die Show dokumentiert das WG-Leben, zwischen den Büroangestellten, Tänzer, Bauarbeiter, Musiker oder Studenten, die nicht wie etwa bei Big Brother zusammen eingesperrt sind. Hier wird das Zusammenleben zwischen unterschiedlichen Charakteren geschildert, wie sich jeder von ihnen täglich auf den Weg zur Arbeit macht, wie sie gemeinsam Ausflüge unternehmen oder sich gegenseitig zu Dates einladen. Die Bewohner beziehen die Wohnung mit dem Ziel neuen Leuten zu begegnen, Erfahrungen zu sammeln und vielleicht sogar die große Liebe zu finden. Jeder kann das Haus aus eigenem Entschluss wieder verlassen, eine Zuschauerabstimmung gibt es nicht. Zieht eine Person aus, zieht ein neuer Bewohner ein, sodass innerhalb einer Staffel der ganze Cast einmal wechselt.
Was die Show so besonders macht ist schwer zu beschreiben. Vermutlich ist es diese vermeintliche Authentizität, die man von den gewöhnlichen Reality-Shows nicht kennt. Wir begegnen hier Menschen, die sich im echten Leben wahrscheinlich nie kennengelernt hätten. Plötzlich leben sie zusammen und schließen Freundschaften. Dabei wird der Zuschauer regelrecht Teil des WG-Lebens und fühlt mit den Protagonisten mit: Wer verliebt sich in wen? Wer gerät aneinander und wer hat Probleme im Job?
Parallel zu den Geschehnissen im Haus gibt es eine Gruppe von sechs Kommentatoren. Alles bekannte Größen aus dem japanischen Showbusiness, die aus Zuschauerperspektive von den Ereignissen und Entwicklungen berichten. Sie kommentieren die Geschehnisse im Haus und analysieren die entstehenden Liebesbeziehungen wie auch Freundschaften. Was auf den ersten Blick ein wenig seltsam wirkt, wird ziemlich schnell zu einem weiteren Highlight der Show. Die Bemerkungen der Kommentatoren sind ehrlich und recht amüsant. Die Kommentatoren sprechen über ihre persönlichen Favoriten und die Missgeschicke der Bewohner. Jene Szenen unterbrechen für einen Moment die eigentliche Handlung, was man anfangs als störend empfindet, doch regen die Bemerkungen gleichzeitig zur sofortigen Reflexion an. Das hilft nicht nur die einzelnen Szenen besser zu verstehen, sondern auch seine eigene Meinung zu verfestigen.
Hinzukommt die unglaubliche Höflichkeit, mit der sich die Japaner begegnen, die wir in unserem Alltag nicht immer finden. Diese Freundlichkeit, die sich die Bewohner entgegenbringen, ist irritierend und faszinierend zugleich. Als sich etwa zwei der Frauen in den gleichen Mann verlieben, kommt es nicht zum Streit. Eine der beiden entscheidet auszuziehen, um so den Konflikt zu vermeiden. Sie bedankt sich höflich bei allen für die schöne gemeinsame Zeit und verlässt das WG-Leben.
Und auch das Dating-Verhalten ist so ganz anders, als man es von der westlichen Welt kennt. So ist es meist der Mann, der die Frau auf eine Verabredung einlädt, um sich einander besser kennenzulernen. Entwickelt sich daraus ein Gefühl des Verliebtsein, so gesteht man dem Gegenüber seine Gefühle. Auf die Frage: „Willst du meine Freundin sein?“, müssen die jungen Frauen aber nicht gleich antworten. Man erlaubt sich Bedenkzeit und seine Antwort erst dann mitzuteilen, wenn man dazu bereit ist. Und auch zu Körperlichkeiten kommt es erst, wenn man fest zusammen ist. Eine der Bewohnerinnen stellt sogar klare Regeln für das erste Date auf: Kein Händchen halten, keine Dates in Yukatas (einem traditionellen japanischen Kleidungsstück) und ebenso sei ein Feuerwerk für das erste Date nicht angemessen. All dies seien Dinge, die nur in einer Beziehung Platz finden sollten.
Es ist wohl diese Absurdität, gepaart mit kleinen Eigenheiten eines jeden Bewohners, welche die Show so authentisch wirken lässt. Denn jene Ereignisse und alltäglichen Konflikte, die wir in Terrace House beobachten können, sind Geschehnisse, die auch in unserer Lebenswirklichkeit stattfinden, weshalb wir uns mit den Charakteren in Terrace House so leicht identifizieren können. Das dort gezeigte WG-Leben wirkt so ehrlich, dass wir den Tränen nahe sind, als eine Teilnehmerin von ihrem Schwarm zurückgewiesen wird oder sich die Wege der neu gewonnenen Freundschaften wieder trennen müssen.
Terrace House ist eine Show, die uns ein wunderbares Gefühl für eine Kultur bietet, die so ganz anders ist als die, in der ich aufgewachsen bin. Die Serie zeigt zudem etwas Existenzielles: es sind die kleinen Dinge, die uns Menschen ausmachen und gegenseitiger Respekt, dessen Bedeutung wir uns immer bewusst sein sollten. Und auch wenn es oftmals nicht so scheint, so ist unser Leben, auch mit den kleinen Momenten des Alltags und unerwarteten Begegnungen, immer wieder ein Abenteuer und wahnsinnig aufregend.
Beitrag: Pia Ahlert
Bild: Still aus Terrace House