Unsere Autorin Laura fühlte sich tief inspiriert, als sie Shirin Ebadis Buch Mein Iran in die Hände bekam. Ebadis Geschichte hat auch mit ihrer eigenen zu tun – zumindest ein bisschen.
Revolution der Frauen
„Letzte Woche bin ich ohne [mein Kopftuch] weggefahren. Ich war schon mitten im Verkehr und hielt an einer Kreuzung an, als ich sah, dass alle Leute, mich anstarrten. Ich krempelte den Rock hoch und zog ihn mir übers Haar.”
Schon oft war mir der Titel auf dem Buchrücken im Regal meiner Eltern aufgefallen. Aber trotzdem hat es lange gedauert, bis ich tatsächlich danach griff und es mit zu mir nach Hause nahm: Mein Iran von Shirin Ebadi. Dann lag es wochenlang auf der Kiste neben meinem Bett. Ich hatte keine Zeit zu lesen, oder nahm sie mir nicht.
Irgendwann hörte ich davon, wie uns das blaue Licht der Bildschirme unserer elektronischen Endgeräte vom Schlafen abhält (als hätte ich das nicht ahnen können) und beschloss, diese auszuschalten und stattdessen ein Buch zu lesen (revolutionäre Entscheidung, ich weiß!). Es brauchte nur die Einleitung und ich war schon gefesselt. Nicht wegen Shirin Ebadis Schreibstil, sondern weil das, was sie in ihrer Biographie über ihr Leben im Iran und die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in der islamischen Republik schreibt, unter die Haut geht.
Die Revolution im Iran von 1979 richtete sich auch gegen die USA, die 1953 den Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh unterstützt und den Schah Reza Pahlavi an die Macht geputscht hatten. Was als politischer Protest begann wurde bald zu einem Kulturkampf. Die Lage im eher liberalen und säkular geprägten Iran veränderte sich durch die Revolution und den aufkommenden Fundamentalismus der Islamischen Republik drastisch. Vor allem für Frauen. So die Kurzform einer komplexen Geschichte.
Shirin Ebadi gibt uns die Möglichkeit, zumindest ihre Sicht auf den Iran und wie er sich verändert hat, zu verstehen. Das oben zitierte Beispiel ihrer Freundin, die eines Morgens aus mangelnder Gewohnheit ihren Hedjab, ihr Kopftuch, vergaß, erzählt von den Repressalien, mit denen sich Frauen im Iran konfrontiert sehen. Doch Ebadis Geschichte endet nicht mit der Beschreibung dieser diskriminierenden Lebensbedingungen. Sie vermittelt auch ihre tiefe Liebe zum Iran.
Ich lebe und studiere in Dresden. Eine Stadt, die in den letzten zwei Jahren einen so schlechten Ruf bekommen hat, dass viele Menschen mich fragen, wie ich es dort nur aushalten kann. Aber Dresden ist nicht nur PEGIDA, die Stadt ist mein Zuhause geworden auch wenn ich es manchmal hasse, durch die Stadt zu fahren und überall Deutschlandfahnen hängen zu sehen. Ich will Dresden nicht mit dem Iran vergleichen und ich finde es nur verständlich, wenn Menschen sich unwohl fühlen und ein besseres Leben an einem anderen Ort suchen. Doch sie müssen dazu ihre Heimat verlassen und das ist nicht leicht. Ein Grund mehr sie mit offenen Armen zu empfangen.
Shirin Ebadi beendete 1969 ihr Studium der Rechtswissenschaften und wurde als erste Frau Richterin im Iran. Damals war das noch möglich. Nach der Revolution zwang man sie Schritt für Schritt ihren Beruf aufzugeben. Frauen wurden im Gerichtssaal irgendwann einfach nicht mehr akzeptiert. Sie arbeitete als Sekretärin, darauf beharrend, selbst erwerbstätig zu bleiben. Erst später konnte sie wieder als Anwältin für Frauen und Kinderrechte kämpfen. Damit machte sich Shirin Ebadi in der Islamischen Republik viele Feinde. So viele, dass sie bei der Durchsicht von Akten eines Tages lesen musste, dass ihre Ermordung bereits geplant war. Rückschläge wie diese und die unmittelbare Gefahr, mit der sie konfrontiert wurde, hielten sie nicht davon ab weiter zu kämpfen. 2003 wurde Shirin Ebadi als erste muslimische Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Für ihren Kampf für die Rechte von Frauen und Kindern, in einem Land, in dem Recht nicht nach juristischen, sondern fundamentalistisch religiösen Maßstäben definiert wird.
Es kommt nicht oft vor, dass mich ein Buch zu Tränen rührt. Doch als Shirin Ebadi von ihrer Rückkehr in den Iran berichtet, war es soweit. Nachdem sie in Paris bei einer Vortragsreise erfahren hatte, dass sie den Friedensnobelpreis erhalten würde, kam sie im September 2003 am Flughafen in Teheran an. Seit 1979 waren nicht so viele Menschen dort versammelt gewesen, damals hatten sie den Ayatollah Khomeini in Empfang genommen. Shirin Ebadi wurde von einer Menge von Iranerinnen erwartet, die alle zum Flughafen gelaufen waren. Die Straßen waren durch den vielen Verkehr verstopft und so ließen sie ihre Autos kurzerhand einfach stehen und gingen zu Fuß. Tausende Frauen versammelten sich, in bunte Kopftücher gehüllt, hielten Plakate und sangen für Shirin Ebadi.
Aus Dankbarkeit für ihren Einsatz. Und aus Stolz, dass sie eine andere Seite des Iran gezeigt hatte. Die Seite der Frauen, die tatsächlich in diesem islamischen Land leben. Auf einem Plakat, das Shirin Ebadi an diesem Abend erblickte, stand einfach nur: DAS ist der Iran.
Text: Laura Greiff
Bild 1: During the Revolution of 1979
Bild 2: Buchcover via Piper