Ein Startup kämpft gegen Versorgungsprobleme bei psychotherapeutischen Behandlungen.
Im Interview: Selfapy-Gründerin Nora Blum
Wer an einer psychischen Krankheit leidet braucht Hilfe – überall und sofort. Leider wartet man in Deutschland im Schnitt drei Monate auf einen Therapieplatz. Um diese Zeit zu überbrücken und sofortige Hilfe anzubieten haben Nora Blum, Kati Bermbach und Farina Schurzfeld das Startup Selfapy gegründet, das erste Online-Therapie-Portal. Rund ein Jahr nach der Gründung, wird einer ihrer Onlinekurse bereits von deutschen Krankenkassen erstattet. Gründerin Nora Blum sprach mit Fräulein über die Online-Therapie und darüber, was man tun kann um die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten aufzuheben.
Fräulein: Nora, erklär mir doch kurz, worum es bei Selfapy geht.
Nora: Kati und ich sind beide Psychologinnen. Wir haben Psychologie studiert und auch während des Studiums verschiedene Einblicke erhalten in Psychiatrien und psychotherapeutischen Praxen. Schnell haben wir gemerkt, dass es ein riesiges Versorgungsproblem gibt in dem Bereich. Es gibt in Deutschland lange Wartezeichen auf einen Therapieplatz, im Schnitt sind es drei Monate, in ländlichen Regionen wartet man oft auch mal ein halbes Jahr, weil es dort einfach wenige Psychotherapeuten gibt. Zudem kommt, dass es immer noch ein wahnsinnig stigmatisiertes Thema ist. Viele melden sich gar nicht beim Arzt oder Psychotherapeuten und wissen gar nicht ob sie Hilfe benötigen. Wir wollten Menschen die Möglichkeit auf sofortige Hilfe geben und das Ganze natürlich auch anonym. Daraufhin haben wir dann Selfapy gegründet, um diese erste schwierige Zeit zu überbrücken.
Warum sind die Wartezeiten auf einen Therapieplatz eigentlich so lang?
Zum einen ist es ein strukturelles Problem, in ländlichen Regionen gibt es einfach nicht genügend Psychotherapeuten oder Hausärzte. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass es in Deutschland nur einen begrenzten Teil an Kassensitzen gibt, das heißt Sitze, die Psychotherapeuten brauchen um Kassenpatienten abrechnen zu können. Die Wartezeiten sind sehr lang, meine Mutter, die auch Psychotherapeutin ist wartet bereits seit 10 Jahren auf so einen Kassensitz. Das heißt, bis dahin kann sie nur mit Privatpatienten abrechnen.
Wie genau funktioniert die Teilnahme an Selfapy? Braucht man eine ärztliche Überweisung?
Nein, man muss nicht beim Arzt gewesen sein. Man kommt auf unsere Seite und bekommt dann erstmal die Möglichkeit einen Selbsttest zu machen: Welche Probleme treffen auf mich zu und habe ich überhaupt Symptome? Man kann auch eine kostenlose psychologische Beratung in Anspruch nehmen, von 8-22 Uhr sind unsere Telefone von Psychologen besetzt. Wenn man sich dann für einen unserer Kurse entscheidet, loggt man sich ein und es kann direkt losgehen. Unser Programm besteht aus zwei Elementen: Zum einen haben wir Onlinekurse, in denen gibt es Videos, Texte, Übungen und Hausaufgaben. Jede Woche gibt es ein neues Kapitel. Ein Basiskurs ist in neun Wochenmodule gegliedert, und jedes Modul beschäftigt sich mit einem Thema. Das ist der sogenannte Selbstmanagement-Teil des Programmes, da braucht man viel Mithilfe vom Patienten selbst. Der zweite Part ist, dass man die Möglichkeit hat einen persönlichen Psychologen zugeteilt zu bekommen der auf das Störungsbild spezialisiert ist und einen dann über die Zeit der neun Wochen begleitet. Es finden wöchentliche Gespräche statt, entweder per Telefon oder Chat, je nachdem wie man möchte. Dieser kann dann gezielt Feedback geben und die Wochenmodule besprechen. Und so wird der Patient dann über diese neun Wochen begleitet.
Wie viel Zeit muss der Patient in einen Selfapy-Kurs investieren?
Es kommt natürlich hier auf die Mitarbeit des Patienten an, nicht jeder beschäftigt sich gleich viel mit dem Programm. Ein ganzes Wochenmodul durch zu machen dauert etwa eine Stunde und dann gibt es Wochenaufgaben, mit denen sich der Patient jeden Tag beschäftigen sollte, wie z.B. seine Gedanken zu notieren und so ein bisschen Tagebuch zu führen. Damit sollte man sich schon fünf bis zehn Minuten pro Tag zu beschäftigen. Aber das kommt natürlich auch auf jeden Patienten individuell an.
Nicht nur lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind ein Problem sondern auch die Scham, die oftmals damit verbunden ist, sich öffentlich zu einer Therapie zu bekennen. Was kann man tun, um diese Scham langfristig zu überwinden?
Das ist ein großes Problem. Besonders in ländlichen Gegenden. Da herrscht die Sorge, dass wenn man es dem Hausarzt erzählt, es gleich das ganze Dorf weiß. Es hat sich schon viel getan in den letzten Jahren. Aber leider immer noch nicht genug. Am wichtigsten ist es wohl erstmal das Verständnis dafür herzustellen, dass eine Depression oder eine psychische Krankheit auch wirklich eine Krankheit ist. Und die Leute damit vertraut zu machen. Wir versuchen das mit Events, zu denen Betroffene und jeder der sich interessiert, kommen kann. So versuchen wir den Menschen das Thema nahe zu bringen. Es ist wirklich etwas, das viele Leute betrifft und den Menschen geht es furchtbar schlecht. Da hilft es nicht zu sagen: „Ach jetzt reiss dich mal zusammen.“ Dieses Verständnis zu kreieren ist der erste Schritt in die richtige Richtung.
Gibt es auch Menschen für die die Online-Therapie nicht geeignet ist?
Bei schweren Symptomen, das heißt schweren Depressionen oder Suizid-Gedanken, da kann ein Selbstmanagement-Programm nicht helfen. In schweren Fällen muss der Patient in eine Klinik. Wir verweisen dann an Partner, die sich diesen Fällen dann wirklich annehmen können.
Wie geht es nach dem neunwöchigen Online-Kurs für die Patienten weiter?
Wir sind gerade dabei die Online-Therapie zu verlängern, damit die Patienten weitermachen können. Da viele nach neun Wochen auch noch Bedarf haben, aber immer noch keinen Therapieplatz wahrnehmen können oder wollen. Aktuell besteht die Möglichkeit ein Portfolio an Folgekursen zu machen, in denen man die Arbeit noch einmal vertiefen kann. Viele machen danach auch noch den Stresspräventions-Kurs, da der auch von den Krankenkassen erstattet wird.
Für welchen Kurs melden sich tendenziell die meisten Leute an?
Depression ist ganz klar unser bestgebuchter Kurs, kurz danach kommt die Binge Eating Störung, also eine Esssucht. Und erst dann kommt der Stresskurs, obwohl der ja bereits von den Krankenkassen erstattet wird.
Was möchtet ihr zukünftig noch mit Selfapy erreichen?
Ganz wichtig ist, dass noch mehrere Krankenkassen unsere Kurse erstatten. Es gibt erste Privatversicherungen, die mittlerweile auch all unsere Kurse erstatten. Was für uns natürlich schon ein großer Meilenstein ist. Unser Ziel ist es aber in Zukunft mit mehreren Versicherungen und Krankenkassen zu kooperieren, sodass auch die unsere Kurse anbieten können. Das liegt uns sehr am Herzen. Was wir uns auch wünschen ist, weitere Störungsbilder dazu zu nehmen. Wir entwickeln gerade einen neuen Kurs, für traumatisierte Patienten und auch Kurse für unterschiedliche Suchterkrankungen. Es kommen immer wieder neue Patienten zu uns, für die wir im Moment kein passendes Programm haben. Da wollen wir einfach noch mal unsere Produktpalette erweitern. Das sind so die Ziele, die wir in naher Zukunft erreichen wollen.
Interview: Pia Ahlert
Bild: PR