Im Interview: Female Photographers

vor 6 years

Auf unabhängige, gemeinnützige und unhierarchische Weise inspirieren uns diese Frauen mit ihren Fotografien.

Mit Female Photographers.org hat sich ein nicht hierarchisches, non-profit Kollektiv aus weiblichen Fotografinnen gegründet. In der weiterhin stark männlich dominierten Fotografie-Szene ist dies ein wichtiger Schritt für mehr Sichtbarkeit von Fotografinnen. Das Kollektiv hat sich zum Ziel gesetzt durch die Produktion von Kunstbüchern und jährlichen Shows diese Sichtbarkeit herzustellen. Andere Fotografinnen sollen durch den Zusammenschluss bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung gefördert und inspiriert werden. Im Folgenden könnt ihr das Interview mit einigen der Gründerinnen lesen. Zusätzlich könnt ihr über Kickstarter das erste gemeinsame Buch der Gruppe unterstützen.

 

Fräulein: Wieso seid ihr ein Künstlerkollektiv, wie definiert ihr eure Identität?

Kirsten Becken: Das Schöne daran ist, dass sich schaffende Künstlerinnen unabhängig zusammentun, um etwas gleichzeitig füreinander und für viele zu bewegen. Die historischen Kollektive aus der Kunst, die wir kennen, sind meist männlich – also schadet es nicht hier einen weiblichen Zusammenschluss aufzubauen. Gerade in der Fotografie ist es spannend, dass unterschiedliche Arbeitsweisen und Persönlichkeiten aufeinander treffen und auf schnellem Wege neue Verbindungen und Wechselwirkungen entstehen. Durch unsere Gruppe möchten wir unsere Kräfte bündeln, gemeinsam Publikationen realisieren und dazu Gastbeiträge einladen. Wir möchten durchlässig sein und uns so zu einem aktiven Raum entwickeln, der Sichtbarkeit generiert ohne davon von Galerien, Messen oder Agenten abhängig zu sein.

 

Fräulein: Was sind eure Themen und wie entwickelt ihr eure Publikationen?

Kirsten Becken: Wir planen eine fortlaufende Buchreihe mit Titeln, die Neugier auslösen und mit denen jede/r etwas anfangen kann. Uns allen gemeinsam ist das Interesse am inszenierten Körper, der ja bildhaft für die Frau in der Gesellschaft interpretiert werden kann. Die Ansätze sind breit gefächert und reichen von Selbstinszenierung und feinfühligen Körperbildern zu ironischer Überspitzung und gesellschaftskritischen Arbeiten. Dabei sehen wir die Arbeit mit dem Körper als Ausgangssituation für eine erweiterte Beschäftigung mit Frauenbild und Fotografie, die konzeptuelle, dokumentarische und experimentelle Positionen umfasst, entlang der Buchtitel: Body, Mind, Love, Pain, Life.

 

Fräulein: Wie habt ihr zueinander gefunden und seid auf die Idee gekommen, zusammen zu arbeiten?

Veronika Faustmann: Fotografie und Netzwerken gehört für mich einfach zusammen. Es geht nicht ohne. Gerade jetzt in einer Zeit, wo wir für unseren Berufsstand wirklich eintreten müssen, damit wir weiterhin unseren Lebensunterhalt verdienen können. Ich hatte Glück schon seit dem Beginn meiner Selbständigkeit als Fotografin und vor allem durch das Assistieren bei anderen Fotografen, viele tolle Kollegen/innen zu treffen und dadurch ein großartiges Support-Netzwerk aufbauen zu können. Mit dem Mutter werden kamen für mich aber noch eine andere Ebene und neue Herausforderungen dazu, so dass das Bedürfnis mich mit anderen Fotografinnen auszutauschen und zusammenzuschließen irgendwie ein ganz natürlicher Prozess war. Mit Kirsten hatte ich seit einigen Jahren über genau solche Themen immer wieder per E-Mail diskutiert und wir beide hatten den Eindruck, dass es sicher noch mehr Fotografinnen gibt, die sich einen solchen ehrlichen und authentischen Austausch wünschen würden. Es sollte aber mehr und anders sein als eine bloße Facebook Gruppe oder statische Webseite mit ein paar Namen drauf. Wir wollten auch nach Außen hin eine Wirkung erzielen und als Gruppe sichtbar sein. So entstand Schritt für Schritt die Idee zu Female Photographers.

 

Fräulein: Ihr habt unterschiedliche Herangehensweisen an Fotografie und verschiedene Themen, die ihr behandelt – was verbindet euch?

Kirsten Becken: Uns verbindet die Tatsache, dass wir unsere Position in der Welt untersuchen. Das klingt erst einmal sperrig, ist aber bei allen Fotografinnen des Kollektivs der Fall. In der Fotografie ist es fast immer so, dass man eigentlich mit der Kamera auf die Reise geht und observiert. Egal ob es sich dabei um künstlerische Fotografie handelt oder um Dokumentarfotografie oder redaktionelles Arbeiten. Paula Winkler untersucht die Sichtweise auf den weiblichen Akt, indem sie sich den männlichen Akt vornimmt und eine Art Rollentausch vornimmt. Dieser Perspektivwechsel ist selten gesehen und genau deshalb so spannend. Einen Perspektivwechsel nimmt auch Katharina Bosse vor, indem sie sich als arbeitende Mutter und gleichzeitig als Künstlerin selbst in ihren Fotografien inszeniert. Dadurch unterwandert sie das Tabu der Mutterschaft in der Kunst, indem sie ihre Kinder zum Gegenstand ihrer Arbeit werden lässt. Bex Day beschäftigt sich mit Gender Equality und gesellschaftlichen Vorurteilen. Sie geht einen Perspektivwechsel ein indem sie sich völlig einlässt, sie möchte verstehen wie ihr Gegenüber denkt. Bex arbeitet immer am Rande ihrer Komfortzone und entdeckt auf diese Weise neue Geschichten und Inspiration. Wir sind also sehr vielseitig und stark aufgestellt und legen einen hohen Wert auf die freien, künstlerischen Projekte, um unsere Ideen zu transportieren und in Bildern sichtbar zu machen.

 

Fräulein: Ihr interessiert euch für Arbeiten, die Labels hinterfragen und sich mit weiblicher Perspektive auseinandersetzen. Wie kann eine weibliche Perspektive in der Fotografie aussehen? Gibt es Unterschiede zwischen dem weiblichen und männlichen Blick in der Fotografie?

Kirsten Becken: Wir möchten nicht differenzieren, wir rotten uns nur zusammen, weil es notwendig ist. Es geht darum die Bildfläche zu erobern. Und das machen gerade viele unterschiedliche Plattformen. In Deutschland zum Beispiel der Female Photoclub (http://femalephotoclub.com/), der sich auf ein großes Netzwerk innerhalb Deutschland konzentriert und beratend und stärkend zur Seite steht, Women Photograph (https://www.womenphotograph.com/), für die Dokumentarfotografie und so viele Organisationen mehr. Es gibt eine hohe Vielfalt und unterschiedliche Schwerpunkte und diese Bewegung ist als Ganzes zu sehen. In unserer Buchreihe möchten wir uns mit unterschiedlichen Themen befassen – der erste Band wird „Body“ heissen. Es geht uns um die Perspektive, Paula Winkler untersucht kritisch männliche und weibliche Akte und die Schieflache, in der weibliche Körper in den Medien präsent werden. Der vorherrschende männliche Blick auf weibliche Akte ist dafür verantwortlich, wie wir zB Sexualität sehen. Die sogenannte weibliche Perspektive ist im Vergleich dazu noch zu wenig gezeigt worden. Es geht uns aber nicht darum Geschlechterrollen zu illustrieren, sondern um einen Mehrwert in der Perspektive und darum Sichtbarkeit zu generieren.

 

Fräulein: Ihr beschäftigt euch mit dem Thema “Body” – welche Konversation möchtet ihr starten?

Paula Winkler: Ich beschäftige mich in meiner Arbeit besonders mit dem männlichen Akt aus meiner Perspektive als heterosexuelle Frau. Diese Sichtweise ist weitaus seltener vertreten als ihr Pendant: die Darstellung des weiblichen Aktes. Ich denke diese Schieflage sagt etwas über das Verständnis von Sexualität in unserer Gesellschaft aus. Wer schaut wen wie und warum an? Das reizt mich als Künstlerin sehr. John Berger bemerkte einmal “In der Kunst ist die Nacktheit der Frau nicht Funktion ihrer Sexualität, sondern der Sexualität jener für die das Bild verfügbar ist.” Mich interessiert neben dem Akt an sich auch immer die Frage: Wer wird hier eigentlich von wem für wen dargestellt?

 

Fräulein: Ihr sagt es geht euch um Sichtbarkeit – welche Strategie legt ihr hierbei an den Tag?

Lilly Urbat & Claudia Holzinger: Unser Zusammenschluss zu einem Kollektiv ist gleichzeitig unsere Strategie: “Wir treffen uns wir schlagen uns gegenseitig neue Leute vor, wir haben keine Vorurteile und unterstützen uns. Wir nutzen uns gegenseitig und unsere Kontakte als Multiplikator_innen für die Anderen. Die größte Strategie ist es wohl die Anderen nicht als Konkurentinnen zu betrachten, sondern als Unterstützerinnen. Wir schreiben Frauen an die im Business schon weiter gekommen sind wir fragen offen nach Unterstützung und supporten Andere. Wir labeln uns, um erkannt zu werden. Am Ende mündet das alles in Ausstellungen und Publikationen. Innerhalb der Publikationen ist es die Idee, dass jede aktive Fotografin noch eine Andere vorschlagen soll, die ebenfalls Teil der Publikation wird. Wir geben uns gegenseitig Raum, wir denken die Anderen mit. Unsere Strategie ist die Forderung nach einer generellen Umstrukturierung in der Denkweise und die Schaffung einer Plattform, welche die vielfältigen Inhalte und Bildsprachen internationaler Fotograf_innen zeigt.

 

Fräulein: Was möchtet ihr uns sonst noch sagen?

Kirsten Becken: Wir möchten die Gelegenheit nutzen und Netzwerke und Bewegungen nennen, die am gleichen Strang ziehen. In der Dokumentarfotografie gibt es WeWomen. Dann gibt es natürlich Amy Alkins und Cara Phillips, die 2008 “Women in Photography” beziehungsweise WIPNY in New York gelauncht haben und auch non-profit und systemunabhängig aufgestellt sind. Aware Women Artists ist ein Team aus Frankreich, dass sich interdisziplinär aufgestellt hat und ebenfalls ehrenamtlich arbeitet. In der Fotografie gibt es aktuell Alessia Glaviano von der Vogue Italia; sie feuert Instagram mit ihrem Account an und zeigt Profile unzähliger weiblicher Fotografinnen, die bisher unbekannt waren. Eine große Inspiration sind natürlich die Guerilla Girls, die sich 1985 zusammengetan haben, deren Auftritt sicher alle kennen. Und in Deutschland gibt es den “Female Photo Club”, der professionelle Berufsfotografinnen zeigt und ein riesiges Netz innerhalb Deutschland spannt, Meet-Ups veranstaltet und aktiv zu vielen Fragen informiert (aktuell hörbar im Pic Drop Podcast).

Text: Rina Kasumaj & Stefanie Triebe 
Fotografien: Female Photographers

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