Danilo Venturi, Leiter der Modeschule Polimoda in Florenz, verät uns im Interview so einiges über die Zukunft der Mode. Über die neuen Herausforderungen der Industrie, gegenwärtige Trends und den bedeutenden Wert von Bildung.
Im Interview: Danilo Venturi
Fräulein: Für Ihr Panel “Fashion Displacement” wählen Sie Berlin als dritten Standort nach New York und Florenz. Warum Berlin?
Danilo Venturi: Berlin hat es geschafft, sich als Stadt neu zu erfinden und zu dem zu werden, was sie heute ist. Als Konzept spiegelt das genau wieder, wie sich Mode- und Modemarken ständig verändern und an die aktuelle und zukünftige Gesellschaft anpassen müssen. Die Stadt Berlin hat eine starke Unterströmung von Individualismus, Vielfalt und Kultur. Dies sind allesamt Elemente, die bei Mode gewürdigt und überdacht werden müssen. In dieser Hinsicht vertritt die Stadt sehr genau die Philosophie unserer Schule sowie Ideen, die wir während unserer Podiumsdiskussion ansprechen wollen.
Sie waren selbst Schüler des Polimoda. Wie war es damals, als Sie dort studiert hast, was wollten Sie ändern und was hat sich seitdem verändert?
Als Schüler von Polimoda habe ich für die Geschichte und das Fundament der Schule, ihre Grundwerte und die Einzigartigkeit, die sie in ihren Unterrichtsmethoden bot, ein Verständnis bekommen können. Die Lage von Polimoda ermöglicht es, sich zwischen den weltweit führenden Luxusmode-Produktionen zu positionieren. Es gab schon immer eine kontrastreiche Mischung aus Alt und Neu, dies ist auch heute noch so. In der Wiege der Renaissance sind die Studenten im Schutz einer noch kleinen und sich entwickelnden Stadt untergebracht. Doch der Strom an internationalen Besuchern und der Mix aus Expats in der Stadt hilft, neues Leben in die Tradition vergangener Epochen zu bringen. Die Nähe zu den einflussreichsten europäischen Hauptstädten ermöglicht auch barrierefreien Forschungsreisen, die als Inspirationsquelle dienen. Gegenwärtig beschäftigt Polimoda hauptsächlich Lehrer, die aus der Industrie kommen, um den Studenten eine Balance zwischen Theorie und Praxis zu geben. Im vergangenen Jahr haben wir begonnen, bahnbrechende Kurspartnerschaften mit einigen der weltweit größten Modegruppen wie LVMH, Kering und Richemont zu implementieren. Dies alles ist Teil unseres Bestrebens, einen realistischen Übergang von der Ausbildung zur Industrie zu gewährleisten und gleichzeitig innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss des Programms eine Beschäftigungsquote von 91% beibehalten zu können.
In Europa gibt es Dutzende von Modeprogrammen, mit hunderten von Studenten, die
sich jedes Jahr anmelden. Aber nur ein Bruchteil wird es bis zum Ende der Ausbildungschaffen. Wie geht Ihre Schule mit dem Druck auf die Schüler um?
Einer der ersten Schritte, um als Absolvent Karriere zu machen, ist, sich selbst gut zu verstehen, zu wissen, wer du bist und was du willst. Der Bachelor-Abschluss dauert vier Jahre. Während dieser Zeit lernen die Studenten nicht nur die Hard Skills, die für den Einstieg in die Industrie erforderlich sind, sondern auch den Wert des eigenen Wachstums und der persönlichen Entwicklung, um auch Hindernisse in der eigenen Karriere überwinden zu können. Ein weiterer Vorteil unserer Schule sind die unschätzbar wertvollen Kontakte zur Modebranche sowie unser globales Netzwerk. Jedes Jahr veranstaltet Polimoda das Business Links Event, das als Plattform dient, um Studenten direkt mit Firmen, Personalvermittlern und Headhuntern zu verbinden. Darüber hinaus neigen wir immer dazu, ein Praktikum zu ermöglichen, welches obligatorisch in den Undergraduate-Kursen und freiwillig in den Masters ist. Wir kümmern uns um unsere Schüler, so dass nur 3% von ihnen ihre Kurse vorzeitig verlassen.
Was braucht es für einen Modestudenten, um es in der Modeindustrie zu schaffen?
Talent und harte Arbeit.
Wie schafft man es, Balance zwischen Kreativität, Vision und ständigem Wandel auf der einen und den Realitäten des Marktes und der Industrie auf der anderen Seite zu behalten? Viele Studenten träumen davon, ein Künstler in der Modewelt zu sein, während viele Marken für ihre nächsten Kollektionen massiv auf Kundenforschung setzen.
Die beiden müssen Seite an Seite arbeiten. Der Bereich Mode muss ganzheitlich betrachtet werden, wobei Photoshop genauso viel Gewicht hat wie Excel. Dies ist eine Philosophie und Lehrmethode, die wir stark unterstützen. Um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen, ist eine ausgewogene Sicht auf den Prozess erforderlich, da Sie keinen Kunden haben werden, wenn Sie keine Geschichte, Marke und Kleidung haben. Das gleiche Denken gilt auch andersherum. Wenn Sie nur im Design arbeiten oder strikt im Geschäft bleiben wollen, müssen Sie, um erfolgreich zu sein, ein gutes Verständnis für die Bereiche Ihrer Spezialisierung haben. Auf diesem Weg werden unsere Studenten gebeten, im Team zu arbeiten, zuerst mit anderen Studenten aus anderen Abteilungen, dann direkt für angewandte Projekte mit den Unternehmen. Das ist das Geheimrezept.
Da Sie alles kaufen können, ist die letzte Ware die Ausbildung.
Heute können Leute ihre Uhren, ihre Sneakers und ihre T-Shirts selbstständig anpassen. Ist der Kunde der Designer der Zukunft?
Der Kunde hätte nichts zum Anpassen, wenn es den Designer nicht gäbe. Wie Steve Jobs treffend zitierte: “Kunden wissen nicht, was sie wollen, bis wir es ihnen gezeigt haben.” Daher werden Design und Innovation immer eine Anforderung auf Seite der Marke sein. Was wir in Bezug auf Anpassung sehen, ist ein Trend, der aus dem Bedürfnis der Kunden nach Individualität stammt, in einer Welt, voller Logomanie und den Auswirkungen der Globalisierung. Anpassung ist die Wirkung, nicht die Ursache, also kann von heute auf morgen eine andere Form der Selbstdarstellung herrschen.
Wenn man Leute wie Virgil Abloh, Gosha Rubchinskiy und Vetements betrachtet, die nicht unbedingt eine klassische Modeausbildung haben, scheint es, als würde sich die Modeindustrie gerade stark verändern. Funktionale Mode und Kollaborationen etc. sind gerade massiv im Trend. Oft geht es mehr um den kulturellen Kontext als um den Schnitt eines Teils. Wie wirkt sich das auf die Ausbildung aus?
Alle oben genannten Designern haben gemeinsam, dass sie aus verschiedenen Branchen kommen, einige aus der Mode und andere aus anderen Designdisziplinen. Dies ermöglicht ihnen, die Modeindustrie aus eigener Perspektive und oft mit frischen Augen zu betrachten. Dies ist einer der Gründe, warum sie aus der Masse hervorstechen, warum sie uns Konzepte präsentieren, die wir nicht gewöhnt sind. Zum Beispiel kam Virgil Abloh über die Architektur in die Modebranche. Er hatte bereits eine Stärke für Design und höchstwahrscheinlich ein Verständnis für die Design-Tools und Programme, die oft involviert sind. Außerdem steht häufig ein Team von Modeindustrieexperten mit breitem Wissen über die Modeindustrie und einem traditionellem Skillset hinter diesen Designern. Der Trend zu funktionaler Mode zeigt, dass immer mehr Luxusmarken Wachstumsergebnisse zeigen müssen. Momentan sind Sneaker und Streetwear ein einfacher Wachstumsmarkt, der auch Marken anlockt, die oft nicht auf dieses Image ausgerichtet sind. Diese lancieren dann zum Beispiel einen eigenen dicken Sneaker. Um diesen verschiedenen Ansätzen der Mode gerecht zu werden, haben wir unsere Programme in vier Hauptbereiche unterteilt: Modebranche, Modedesign, Art Direction und Design Management. So können wir Hybridfiguren erstellen und uns gleichzeitig auf jeden Bereich spezialisieren.
Was ist mit Politik in der Mode? Punks, Rapper, Hippies: Viele Subkulturen wurden in der Vergangenheit von Musik beeinflusst und hatten einen starken politischen Aspekt. Ist alles nur noch zeitgenössischer Pop?
Ich denke, dass das stärkste Beispiel dafür in den neunziger Jahren zu sehen ist. In so vielen Sekten, Kulturen und Nationen gab es einen antikonformistischen Zugang zur Mode. Dieses Jahrzehnt war Zeuge des Aufstiegs von Grunge, Hip Hop und Britpop, um nur einige zu nennen, und gleichzeitig brachte es eine stille Revolution, die den Unterschied zwischen Mainstream und Gegenkultur abwandelte. Aufgrund des Internets, der Globalisierung und des Niedergangs von Ideologien erleben wir heute ein homogenes Modesystem, in dem Stil und Macht von wenigen getragen und diktiert werden. Dies entzieht dem Träger die Macht, ohne dass ihm die sozialpolitische Gewichtung bewusst ist. Der gegenwärtige Verbraucher interpretiert Bewusstsein heute hauptsächlich als eine Thema der Nachhaltigkeit, was für mich eher eine Vorbedingung ist, aber es muss mehr Wert darauf gelegt werden, zum Selbstausdruck zurückzukehren, sei es individuell oder gemeinschaftlich.
Wie sehen Sie die Zukunft der Mode- und Modebildung?
Da Sie alles kaufen können, ist die letzte Ware die Ausbildung. Ich denke, es ist an der Zeit, dass sich die Modeindustrie stärker mit Bildungseinrichtungen beschäftigt.
Polimoda_Berlin from Off One’s Rocker on Vimeo.
Bilder: PR