Inspiration aus einem Leben, das von Schmerz geprägt war, aber nicht in ihm versank.
Heldin einer anderen Wirklichkeit: Frida Kahlo
Meine Schwester wurde am selben Tag geboren, an dem Frida Kahlo starb – jedoch 44 Jahre später. Heute trägt sie ein selbstgestochenes Tattoo mit der Zahl 44 an ihrer Hüfte, welches symbolisch ihre Verbindung zu der gleichermaßen tragischen wie ermutigenden Künstlerin ausdrückt, die ich erst kennenlernte, als ich sie nach der Bedeutung der rätselhaften Nummer fragte. Es ist jedoch mehr als eine Kombination aus Tintenpunkten, ein paar Sekunden wie Bienenstiche auf der Haut, die die mexikanische Revolutionärin zu unserer Heldin und der einer neuen Generation machte, nachdem sie zu Lebzeiten vielmehr im Schatten ihres berühmten Ehemanns, dem Künstler Diego Rivera, stand.
So war Frida Kahlos Tod eher das Ende eines langen Prozesses des „lebenden Sterbens“, seit sie sich mit 18 Jahren bei einem Busunfall ein Metallrohr durch Brustbein und Schambein stieß, welches ihr nicht nur lebenslange Schmerzen bereitete, sondern auch zu ihrer Unfruchtbarkeit führte. Ein Bild Frida Kahlos zu zeichnen aber, welches sie nur als „Königin der Schmerzen“ darstellt, als Bestreiterin einer Odyssee, die von Unfällen, Eheproblemen, Affären, Krankheit und Fehlgeburten gezeichnet ist, wird der Malerin nicht gerecht. Denn so sehr sich in ihrem künstlerischen Schaffen ihr Schmerz, ihr intensives Empfinden von Leben und Tod, sowie Motive wie Sexualität und Persönlichkeitsentwicklung zeigen, sosehr halfen sie ihr gleichzeitig an ihrer lebenslustigen, humorvollen Art festzuhalten – die Dinge zu betrachten, mit einem „Viva la Vida“: Es lebe das Leben! Besonders in ihren Selbstbildnissen, in welchen die mexikanische Künstlerin mit deutschen Wurzeln ihre „innere Wirklichkeit“ dokumentiert, bringt sie ihre Emotionen durch den Einsatz von Farben, Pinselstrichen und mythischen Elementen zum Ausdruck. Klassischerweise sind ihre Bilder daher dem Surrealismus zuzuordnen, eine Kategorisierung, die Frida ablehnte. So sagte sie: „ Ich habe niemals Träume gemalt. Was ich malte war meine Wirklichkeit“.
Kaum eine Künstlerin ist so untrennbar mit ihrem Werk verbunden wie Frida: 55 ihrer 143 Werke sind Selbstportraits, in welchen sie häufig markante männliche Merkmale wie den Damenbart oder ihre Monobraue hyperbolisch hervorhebt, in denen sie aber auch Bezug nimmt auf indigene, mexikanische Traditionen, ihre politischen Ideale des Marxismus oder ihre feministischen Vorstellungen.
Frida besaß zwei Affen, sie trank, litt und erzählte unanständige Witze – sie zeigte uns, wie man ein Leben führt, das weit entfernt vom Perfekten ist, aber doch durchsetzt von einem Lebenshunger, einem Drang nach dem intensiven Erleben des Moments, nach dem Lieben, dem Festhalten an Traditionen und gleichzeitig dem Streben nach neuen Idealen im Privaten wie im Politischen: Für uns war sie eine Heldin, oder eine Revolutionärin der alten Schule in einem neuen Mexiko.
Beitrag: Theresa Bareth
Bild: Frida Kahlo im Altern von 25 Jahren, porträtiert von ihrem Vater Wilhelm Kahlo (1932)