Cornelia Funke: Die Frau, die meine Bücher–Liebe entfachte.
Heldin der Traumwelten
Als ich zum allerersten Mal mit Frau Funke konfrontiert wurde, da habe ich Die wilden Hühner gelesen. Als ich zum zweiten Mal mit Frau Funke konfrontiert wurde, da habe ich Tintenherz gelesen. Die wilden Hühner haben wir alle, also unsere gesamte Grundschule gelesen, wir haben uns Ketten gebastelt, die so aussehen sollten, wie die von den echten Hühnern. Das heisst von Sprotte, Wilma, Frieda, Melanie und Trude. Für die, die nichts mit den wilden Hühnern zu tun hatten: Die wilden Hühner, das war eine Art Bande, bestehend aus fünf befreundeten Mädchen. Diese fünf Mädchen haben das gemacht, was man eben in einer Bande macht, inklusive Bandenrituale. Und ihr Wiedererkennungsmerkmal war eine Hühnerfeder, die an einen Faden gebunden wurde. Die schöne Melanie, sie wurde tatsächlich so genannt, ersetzte ihren Faden durch eine silberne Kette, ein Faden aus Wolle war ihr zu schnöde. Ihr Hauptquartier hatten sie in dem Hühnerstall von Oma Slättbergs Hof, Sprottes Oma. In der Textil und Werken Werkstatt meiner Grundschule, da lagen Fäden und manchmal auch lose Federn herum. Wenn man ganz besonders viel Glück hatte, fand man gleichzeitig eine Feder und eine Schnur, dann konnte man sich gleich eine wilde Hühner-Kette basteln. Wenn es gerade keine Federn gab, musste man eben warten, bis wieder welche geliefert wurden. Das Basteln der Kette erstreckte sich somit manchmal auf mehrere Wochen aus. Umso schöner war der Moment, wenn man sich endlich dieses Ding um den Hals legen konnte. Meine damalige 4. Klasse-Clique und ich waren besessen von dem gesamten Wilde Hühner Merchandise. Wir haben alle Bücher gelesen, alle Filme geschaut. Und als ich dann auf das Gymnasium gewechselt bin, ging es mit Tintenherz los. Wir haben uns die Inszenierung des ersten Buches der Trilogie im Theater angeschaut. Von den Büchern wusste ich nichts. Ich war so geflasht von dem Stück, dass ich gleich nach der Vorstellung mit dem Fahrrad in unsere örtliche Bibliothek gerast bin und das Buch ausleihen wollte. Gab es nicht. Ich konnte es vorbestellen. Wartezeit zwei Monate. Das gesamte Viertel schien eine Obsession mit Tintenherz entwickelt zu haben. Ich verschlang das Buch innerhalb von zwei Tagen. Funkes erfundene Parallelwelten, sei es die unserer Welt gleichenden Welt der wilden Hühner oder der fantastischen Welt der Tintenherz Trilogie, waren Bestandteil meines Lebens, angefangen bei der 3. und andauernd bis zur 7. Klasse. Bei den wilden Hühnern habe ich die Freiheit der Mädels geliebt, es war so, als stünde ihnen die ganze Welt offen. Die Hühner und ich, wir haben gemeinsam unsere kindliche vorpubertäre Unbeschwertheit genossen. Und dann, dann fingen allmählich die Probleme an. Tintenherz, mit seiner unheimlich packenden Story, hat mich in den Bann gezogen und mich dadurch vor aufkeimenden Unsicherheiten für erste abschirmen können. Das Größte ist aber: Ich wusste gar nicht, dass Cornelia Funke, für Die wilden Hühner und Tintenherz verantwortlich war. Ich wusste auch nicht, dass sowohl Die wilden Hühner als auch Tintenherz von der selben Person geschrieben worden. Damals habe ich beide Stories einfach hingenommen, mich bezaubern lassen und das war’s. In der 8. Klasse, da meinte jemand in der Schule: „Die Cornelia Funke hat die Zeichnungen für ihre Bücher ja alle selbst gemacht. Die ist schon krass.“ Ich habe dann gefragt, wer Cornelia Funke ist und dieser jemand meinte dann: „Na die, die Die wilden Hühner und Tintenherz erfunden hat.“ Und ich dachte mir: wow. Diese Person ist für meine Obsessionen der letzten fünf Jahre verantwortlich. Alles hat sich auf ein Mal zu einem Bild zusammengefügt. Es hat Sinn gemacht. In dem muffigen Klassenzimmer habe ich geistig Cornelia Funke für die letzten erfüllten Jahre gedankt. Sie hat mich auch dazu gebracht zu lesen. Also wirklich zu lesen. Meine Nase in ein Buch zu stecken und so von einer Geschichte gepackt zu sein, dass es schier unmöglich schien, sich davon zu trennen. Diese Bücher-Liebe habe ich heute immer noch und ich möchte an dieser Stelle Frau Funke dafür danken.
Bildercredit: Jörg Schwalfenberg
Text: Maria Kustikova