Wie ich mit 22 zu einem Fangirl wurde.
Heldin der Hingabe
Ohne je ein Album veröffentlicht zu haben, füllte Tash Sultana in den letzten zwei Jahren etliche Konzerthallen. Als ich sie das erste Mal live erleben durfte, spielte sie in Berlin vor 200 Leuten. Nach der Show gesellte sie sich zu den Zuschauern, quatschte mit ihnen und machte Fotos. Als ich vor ihr stand, fühlte ich mich wie ein 13-jähriger Justin Bieber-Fan, unfähig einen sinnvollen Satz herauszubringen. Ich konnte nicht fassen, dass die Frau, deren Videos ich mir Monate immer wieder anschaute, jetzt wirklich vor mir stand. Ich wurde zum Fangirl und das mit 22 Jahren. Dabei wirkte sie ganz normal, fast ein bisschen schüchtern. Die Traube von Fans um sie bat sie noch feiern zu gehen oder ein Bier zu trinken, sie winkte lächelnd ab. Sie mache das alles nicht mehr, es ginge ihr nüchtern besser.
Noch vor einigen Jahren befand sich das Ausnahmetalent in einem Strudel von Drogen und Psychose. Sie experimentierte viel, erzählte sie während eines Tedtalks. Als sie sich eines Abends halluzinogene Pilze auf ihre Pizza streute, verlor sie fast den Verstand. Sie konnte nicht mehr klar denken, wusste nicht mehr wer sie war. Die darauffolgenden sechs Monate war Tash nicht im Stande alleine zu Essen, hatte Panikattacken und Warnvorstellungen. Mit Hilfe von Musiktherapie schaffte sie es zurück zu ihrem alten Ich. „Ich spielte und spielte und spielte, überall, egal wo, zu jeder Zeit und ich begann mich wieder zu sortieren.“, verriet sie dem Vice-Magazin letztes Jahr.
Der Schlüssel zu ihrem Erfolg war ein einfaches Weihnachtsgeschenk, eine Gopro. Mit der Kamera nahm die damalige Straßenmusikerin ihre Auftritte im eigenen Wohnzimmer auf und stellte sie online. Über Nacht gewann die 23-Jährige 10.000 neue Follower auf ihrem Youtube-Kanal. Seitdem haben ihre Videos über eine Millionen Klicks bekommen. So viele sind von der gerade mal 1,65 Meter großen Frau begeistert, die in ihren Videos selbstgeschriebene Songs performt. Dabei singt, rappt und beatboxt sie, während sie über 10 verschiedene Instrumente zu einem Song loopt. Seitdem Tash drei Jahre alt ist, spielt sie Gitarre. Mit der Zeit brachte sie sich selbst weitere Instrumente, wie Schlagzeug, Trompete, Querflöte oder Violine bei. Das alles zusammen ergibt einen einzigartigen Sound.
Wer ihr zuschaut, ist von ihrer Hingabe gebannt. „Wenn ich spiele, gehe ich in mich selbst hinein. Ich merke gar nicht mehr, was um mich herum passiert. Ich mache einfach mein Ding.“, erzählte sie gegenüber Vice. Sie begeistert die Massen mal mit lauten, rockigen, mal mit melancholisch gefühlvollen Songs. Mit einer Stimme die an Amy Winehouse erinnert, singt sie über das Großstadtleben, Verlust und Entfremdung.
Wahrscheinlich ist das der Grund, warum Tash mich vom ersten Moment an zu meiner Heldin wurde. Ohne Angst und Schamgefühle redet und singt sie über ihre dunkelsten Momente. Keine Maske, kein Schönreden. Ihr Mut inspirierte mich, mich so zu zeigen wie ich bin. Dass es okay ist, wenn man mal vom Weg abkommt und möglich sich wieder zu fangen. Ganz offen geht sie auch mit ihrer Homosexualität um und postet stolz Bilder mit ihrer Freundin auf Instagram. Ihre Furchtlosigkeit ermutigt mich selbst offener und stolz zu zeigen. Stolz auf meine ganz eigene Art, meine Fehler oder meine Sexualität zu sein. Tash fand ihren ganz eigenen Weg mit ihren Problemen umzugehen und wandelte sie zu etwas Großartigem. Immer weiter arbeitet sie an sich selbst und ihrer Musik.
Was als Straßenmusik begann, führte zu einer Welttournee und nun zum ersten Debütalbum Flow State, das sie in ihrem eigenen Studio aufnahm. Dabei bleibt sie ihrem Stil immer treu, während sie ihn weiter verbessert. Ihre Songs haben nicht die übliche dreiminütige Länge eines Popsongs. Das Intro dauert manchmal mehrere Minuten oder Mitten im Song wechselt sich der Sound von seichten Violinen zu dröhnender E-Gitarre. Sie klingen unangepasst und selbst nach mehrmaligen Hören immer noch spannend. Flow State steht für den Zustand von völligem Eins-sein mit dem was man tut. Für völlige Hingabe.
I guess I’m just changing with the wind
Turning in, a different direction,
again and again and again
No I’m sorry I don’t have to spell it out for you my friend
I just got a few things I gotta get off my chest
I know it’s hard to digest
Why don’t you come inside and pull up a chair
Turn the music up loud and sit over there
Don’t you see I got myself into a bit of a pickle over here
Why don’t you invite the devil inside to dance around my living room
Only got table for two
I put my face inside my hands
‘Cause I fucking hate the things you do
I said the road is long
Keep carrying on
I don’t need your loving for my Salvation
I found myself between the dirt
And desperation
I don’t need you for my own validation
I said the road is long
Keep carrying on
Salvation (2018), Tash Sultana
Beitrag: Nadja von Bossel
Bild: Dara Munnis