Die Liebe ist immer ein Kampf, eine „delikate Balance aus Nähe und Distanz“ sagt die französische Starfotografin Bettina Rheims. Trotz ihrer Verlustängste würde sie nie darauf verzichten. Eine Beichte.
So stell’ ich mir die Liebe vor mit Bettina Rheims
"Ich selbst besitze keinen Diamantring. Trotzdem glaube ich an die Ehe."
“Es klingt wie ein Klischee, aber ich könnte mir ein Leben ohne Liebe nicht vorstellen. Liebe ist das, was mich morgens aus dem Bett treibt. Liebe ist mein Motor, der mich und meine Arbeit voranbringt. Sie bedeutet für mich, das Leben mit anderen zu teilen. Mit meiner Arbeit möchte ich Menschen, die ich liebe, stolz auf mich machen. Das ging mir schon bei meinem Vater so. Dabei hatte ich eine merkwürdige Kindheit und eine ungewöhnliche Ausbildung. Das war in den 50er- und 60er-Jahren. Ich wuchs in den privilegierten Verhältnissen der französischen Oberschicht nahe Paris auf. Um uns Kinder kümmerte sich eine Nanny, denn es gab nicht viel Liebe in unserer Familie. Oder besser, meine Eltern waren nicht in der Lage, Liebe zu zeigen. Sie hatten keine Zeit, sie waren ständig beschäftigt; mit der Arbeit, mit sozialen Anlässen, sich mit ihren Freunden zu treffen. Wir Kinder kamen zu kurz. Meine Lebensrealität ist heute ganz anders. Liebe ist über all um mich herum, auch wenn mich ihre Symbole nicht interessieren. Ich vergesse immer wieder Geburtstage, der Valentinstag ist mir egal. Liebe ist etwas, das tiefer sitzt. Für mich bedeutet sie, für seine Nächsten da zu sein, wenn diese einen brauchen.
Ich liebe verschiedene Arten der Liebe: Ich liebe meinen Sohn, meinen Mann, mein Enkelkind. Ich gebe Liebe an die Leute, die ich fotografiere. Auch wenn nur für ein paar Stunden auf einem Fotoshoot. Deshalb bekomme ich so viel von meinen Modellen zurückgeschenkt. Das ist wie eine kurze, intensive Liebesaffäre zwischen uns. Ich kann gar nicht anders. Darum habe ich alle kommerzielle Arbeit schon vor Jahren aufgegeben. Seine Modelle zu lieben birgt natürlich auch die Gefahr, dass man sich gehen lässt, weil man dem Gegenüber schmeicheln, es erfreuen will. Am Ende hat man nicht das Foto, das man haben wollte. Es ist ein schmaler Grat, denn ich arbeite bestimmt und zielgerichtet. Zusammenarbeit ist so immer auch ein Kampf. Bei der Liebe kommt es überhaupt zu einer delikaten Balance aus Nähe und Distanz. Die französisch-bulgarische Philosophin Julia Kristeva hat diese wundervolle Beziehung mit dem Autor und Kritiker Philippe Sollers. Sie sind ein vertrautes Paar, leben aber getrennt.
Ich selbst besitze keinen Diamantring. Trotzdem glaube ich an die Ehe. Ich habe mehrfach geheiratet. Ich mag es, geheiratet zu werden. Das kommt wahrscheinlich von meiner Kindheit her. Ich habe immer die Sorge, verlassen zu werden. Zwar brauche ich auch Freiheit in einer Beziehung. Doch diese ist in meinem Kopf. Ich mag nicht ohne meinen Partner leben. Ich liebe den Alltag, liebe es, neben jemandem aufzuwachen, die Zahnbürste zu teilen. Als Künstlerin habe ich schon in meiner Arbeit das Privileg, frei zu sein, Nein zu sagen. Nein zu einer Person, nein zu Dingen, die ich nicht tun möchte. Das ist die ultimative Freiheit. Beim Verlieben aber verliert man auch mal die Selbstbestimmung, man ist seinen Gefühle ergeben. Das passiert bei mir in Bruch- teilen einer Sekunde. Jemand kommt in den Raum und plötzlich kann ich nicht mehr atmen. Ich verhalte mich dann total albern. Es ist schon seltsam, warum verliebt man sich? Es kommt oft vor, dass ich mich in Stimmen verliebe, in die Art, wie jemand spricht, die Worte. Ich bin sehr sensibel, was Sprache angeht. Ich schätze Worte mehr als alles andere in der Welt, sogar mehr als Bilder.
Ich liebe Geschichten und Bücher. Ein Buch, das ich immer wieder lese, ist Die Schöne des Herren von Albert Cohen. Wenngleich die Liebesgeschichte tragisch endet. Mir wurde selbst einmal das Herz gebrochen. Er war ein Schriftsteller. Ich verliebte mich sofort, seine Texte waren virtuos. Für drei Jahre hatte ich Liebeskummer. Das war das einzige Mal, dass mir jemand das Herz brach. Normalerweise breche ich es anderen. Liebeskummer und Eifersucht sind menschlich. Sie sind plötzlich da und man muss damit umgehen. Ich glaube niemandem, wenn er sagt, oh nein, ich bin gar nicht eifersüchtig. Natürlich bin ich eifersüchtig. Man muss irgendwie damit umgehen. Man kann sich nicht auf den Boden werfen und schreien wie ein Kind. Mit meinen 60 Jahren fühle ich mich inzwischen selbstsicher. Ich weiß, was ich will und was ich geben kann. Zudem glaube ich an Vertrauen. Ich habe noch nie die Leben meiner Partner überwacht, um zu kontrollieren, ob jemand fremdgeht. Mein Partner fragt mich nicht, was ich tagsüber gemacht habe, und ich frage ihn nicht. Und das ist gut so.”
Bettina Rheims‘ Fotografien weiblicher Akte waren stilbildend. 1994 wurde ihr der „Grand Prix de la Photographie“ verliehen. Aufgewachsen in einer großbürgerlichen Pariser Familie, ist Rheims mittlerweile in vierter Ehe mit dem Anwalt Jean-Michel Darrois liiert. Bettina Rheims wird u.a. von der Galerie Camera Work in Berlin vertreten.
Protokoll: Robert Grunenberg
Foto von Bettina Rheims aus der Serie „Rose – c’est Paris“
Dieser Beitrag erschien in Fräulein Ausgabe Nr. 14