Eine Hommage an die Frau, die sich so leidenschaftlich artikulieren kann wie keine Zweite.
Gesungen wie geschrieben: Patti Smiths Wortkunst
Bis zu meinem 18. Geburtstag hatte ich noch nie etwas von Patti Smith gehört. Einige ihrer Songs wie die Coverversion von Springsteens „Because the Night“ kamen mir zwar bekannt vor, ich widmete dem Ganzen aber keine weitere Aufmerksamkeit.
Als ich also das Erwachsenwerden feierte, bekam ich von einer Freundin ein Buch geschenkt und beim Lesen der ersten Seite stiegen mir bereits Tränen in die Augen. „Ich stand da wie erstarrt, dann ging ich langsam, wie in einem Traum, zu meinem Sessel zurück. In diesem Moment begann Toscas große Arie Vissi d’Arte. Ich lebte für die Liebe, ich lebte für die Kunst. Ich schloss die Augen und faltete die Hände. Die Vorsehung hatte bestimmt, wie ich Abschied nehmen würde“, heißt es in den ersten Zeilen von Patti Smiths Roman Just Kids. Wie gefesselt von ihren Worten, ihrem Wissen und ihrer Geschichte, las ich das Buch innerhalb eines Tages.
Patti Smith ist eben nicht nur Musikerin, sondern auch Autorin, Künstlerin und Stilikone – die personifizierte Kreativität. Auch ist sie die Verkörperung des wilden und aufregenden New Yorks der 70er-Jahre, in das sie, wie sie es in ihrem Buch beschreibt, in einem Alter von gerade einmal 20 Jahren zog. Voller Träume und Erwartungen.
Es sind vor allem ihre Worte und ihre Wortwahl, die ich niemals vergessen werde. Denn Worte waren für die heute 71-Jährige schon immer das Bedeutsamste; sowohl bei ihrem eigenwilligen Sprechgesang, der später als Vorreiter der Punkmusik gelten sollte, als auch in ihren Gedichten und Romanen. Um ihre Worte – gesungen wie geschrieben – hängt eine Art mystischer Schleier, der knallharte Realität mit kulturgeschichtlichen Ereignissen vereint und somit die Kraft besitzt, ihre Zuhörer (oder Leser) in einen gewaltigen Bann zu ziehen.
In Just Kids geht es um die Geschichte der Beziehung zwischen Smith und dem verstorbenen Fotografen Robert Mapplethorpe. Lebenspartner, Seelenverwandter, aber in erster Linie Freund war Mapplethorpe für sie – seit sich die beiden in Smiths ersten Monaten in New York kennenlernten – und das blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1989. Eine Geschichte voller Glück, Freude, Leid und Schmerz, die so aufregend und ehrlich ist, dass sie niemand anderes hätte nacherzählen können.
Mapplethorpe war es auch, der wohl das berühmteste Bild der Musikerin fotografierte – das Cover ihres Albums Horses, welches gleichzeitig die Geburtsstunde der klassischen Patti-Smith-Uniform war: ein lockeres Baumwollhemd, kombiniert mit Lederjacke oder Herrensakko. Ein Look, der so prägnant war, dass die belgische Modedesignerin und Smiths enge Freundin Ann Demeulemeester ihm ganze Kollektionen widmet.
Patti Smith ist eine lebende Legende, pure Inspiration. Eine Heldin, deren Geschichte zeigt, dass das Leben unberechenbar und gleichzeitig wahnsinnig aufregend ist. Eine Frau, die alles, was sie anfasst, leidenschaftlich und authentisch zu Ende bringt, und der Welt etwas hinterlässt, was noch lange von Bedeutung sein wird. Als im Jahr 2015 ihre Memoiren M Train erschienen, verschlang ich diese in nur drei Stunden. Smiths Worte flossen wie Wasser und brannten sich für immer in mein Gedächtnis.
Text: Pia Ahlert
Bilder: Melodie McDaniel