“Gegen meine Natur“: Charlotte Gainsbourg im Interview

vor 7 years

„Wenn ich nur machen würde, was mir liegt, dann würde ich morgens nie aus dem Bett kommen“, sagt Charlotte Gainsbourg. Das klingt kokett, wenn man ihr Leben von außen betrachtet: Als Schauspielerin und Sängerin hat sie sich von ihren übermächtigen Eltern Jane Birkin und Serge Gainsbourg emanzipiert.

Mit mutigen Rollen wie etwa in Lars von Triers „Antichrist“ und stilvollen Popalben wie ihre neue Live-Platte „Stage Whispers“ ist sie selber zur Pop-Ikone geworden. Dass die 40-Jährige trotzdem zweifelt und ihre Schüchternheit immer wieder neu überwinden muss, macht sie nicht nur sympathisch, sondern aus diesen Widersprüchen zieht sie ihre Kraft als Künstlerin und als Mensch.
Das Bewundernswerte an Charlotte Gainsbourg ist, dass sie nicht nach Perfektion und Kontrolle strebt, dass sie, kurz nachdem sie im Juli ihr drittes Kind bekommen hat, im Interview mit Fräulein sagt: „Natürlich bin ich eine schlechte Mutter.“ Nicht, weil sie wirklich eine wäre, sondern, weil jede Mutter Fehler macht, egal, wie sehr sie sich bemüht sie zu vermeiden. Charlotte Gainsbourg zeigt uns, dass Leben kämpfen bedeutet – mit sich selbst und den Erwartungen anderer. Trotzdem strahlt sie eine besonnene Leichtigkeit aus; das Grundvertrauen, dass am Ende alles gut ausgeht.

Fräulein: Es ist nicht das erste Mal, dass Sie von Nan Goldin fotografiert werden. Was unterscheidet sie von anderen Fotografen?

CHARLOTTE GAINSBOURG: Sie arbeitet sehr ungewöhnlich. Sie hat eine sehr menschliche Art, sich dem, den sie porträtiert, zu nähern. Normalerweise merkt man schnell, dass es für jemanden bloß Arbeit ist, dich zu fotografieren. Mit ihr ist es mehr. Sie legt viel von sich selbst in ihre Bilder.

Würden Sie das auch über sich und Ihre Arbeit sagen?

Das ist kompliziert. Ich bin ganz gut in der Lage, mich selber zu schützen, meine Arbeit und mein Leben zu trennen. Natürlich versuche ich trotzdem, so viel wie möglich zu geben. Manchmal ist schwer zu erkennen, wo die Grenze liegt.

Sie standen bereits als junges Mädchen auf der Bühne. Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit dem Alter besser wissen, wo sie diese Grenze ziehen sollten?

Weil meine Eltern so berühmt waren, habe ich früh gespürt, dass ich Geheimnisse brauche, meine Intimität. Man soll nicht alles über mich wissen.

Trotzdem spürt man im Film oder auf der Bühne gerade bei Ihnen, dass Sie sich selber an Ihre Grenzen als Schauspielerin und Sängerin bringen. Wie passt das zusammen?

Ich habe oft das Gefühl, das ich Dinge tue, die eigentlich gegen meine Natur sind. Wenn ich nur machen würde, was mir liegt, dann würde ich morgens nie aus dem Bett kommen und meine Wohnung nicht verlassen. Ich fordere mich selber heraus. Ich brauche das, aber ich mag es auch.

Seit Beginn Ihrer Karriere haben Sie eine Fragilität ausgestrahlt. Man empfindet sie schon in dem Song „Lemon Incest“, den Sie mit ihrem Vater Serge Gainsbourg aufgenommen hatten. Ihre Stimme klingt darin vor allem deshalb so berührend, weil sie nicht perfekt singen.

Mein Vater hat nach dieser Natürlichkeit gesucht. Ich war zwölf Jahre alt, als ich den Song gesungen habe. Man spürt im Gesang meine Unschuld, dass ich mich im Leben noch neu fühlte, meine Jugend. Das macht „Lemon Incest“ sehr pur und ehrlich. Mein Vater liebte die Stimmen von Schauspielerinnen – aber nicht die von ausgebildeten Sängerinnen. Mein Vater wollte diesen sozusagen rohen Ausdruck.

Ist dies ein künstlerisches Ideal, das auch für Sie eine Rolle spielt?

Ich glaube, ich komme wieder dahin zurück. Ich habe versucht, mich als Künstlerin zu finden, meine Stimme zu finden. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gelungen ist. Das Problem ist: Wenn man etwas zu sehr will, dann klingt es erzwungen. Aber so langsam fühle ich mich ganz gut mit mir. Ich bin ok. Manchmal muss ich meine Höflichkeit noch in den Griff bekommen. Ich finde, es liegt immer noch zu viel davon in meiner Stimme.

„Alles muss heute so sauber, angemessen und anständig sein. Ich mag das nicht. Ein bisschen Perversion, ein paar böse Gefühle, das ist doch gut.“

Ihre neue Platte heißt ‚Stage Whispers“, das klingt ziemlich höflich. Und schüchtern. 

Mir ist es wichtig, die Erwartungen der Leute nicht immer zu erfüllen. Nach meiner ersten Tour fragte ich Beck Hansen, ob er mir einen Song schreiben kann, der fröhlicher und lockerer ist als meine Musik bislang klang. Er schrieb „Terrible Angels“, denn er hatte perfekt verstanden, was ich wollte. Auf meinem neuen Doppelalbum konnte ich beide Seiten miteinander verbinden: „Terrible Angels“ und Songs wie „Memoire“, die ich mit meiner eigenen, natürlichen Stimme singen kann.

Auf „Stage Whispers“ ist eine sehr schöne Coverversion von Bob Dylans „Just like a woman“. Warum haben Sie diesen Song ausgewählt?

Ich hatte 2007 in dem Film „I’m Not There“ mitgespielt, der lose auf Bob Dylans Leben basiert. Der Regisseur Todd Haynes fragte mich, ob ich ein Stück für den Soundtrack singen wollte. Ich konnte zwischen fünf Songs auswählen, „Just Like A Woman“ war einer davon. Ich dachte, es wäre interessant, wenn genau dieses Lied von einer Frau gesungen wird, denn es liegt etwas Bösartiges in ihm. Bösartig gegen über der Frau, um die es in dem Stück geht. Worauf Dylans Text von 1966 genau abzielt, weiß ich nicht, das müssten Sie ihn fragen. Ich kann aber sagen, dass ich „Just Like A Woman“ sehr gerne singe. Es fühlt sich an, als würde ich mich mit dem Stück an mich selbst als Frau richten.

Es gibt den Refrain „She takes just like a woman, she makes love just like a woman, and she aches just like a woman, but she breaks just like a little girl.” Glauben Sie, Dylan wollte etwas Allgemeines über Frauen sagen?

Es liegt ein bisschen Frauenverachtung in dem Text, da bin ich mir sicher. Und es wäre interessant, mehr über Dylans Motive zu erfahren. Aber im Endeffekt ist es mir egal. Mir geht es darum, was ich aus dem Song mache, was mit ihm passiert, wenn ich ihn singe. Ich analysiere ihn nicht. Wüsste ich ganz genau, wovon er handeln würde und warum ich ihn singe, dann wäre er für mich nicht mehr so interessant.

Sie singen „Just Like A Woman“, obwohl es einen frauenverachtenden Text hat?

Ja, weil ich eine Frau bin, weil ich ihn singen kann. Es ist, als ob ich durch ihn Selbstkritik übe. Mich stört die Bösartigkeit in dem Song nicht. Alles muss heute so sauber, angemessen und anständig sein. Ich mag das nicht. Ein bisschen Perversion, ein paar böse Gefühle, das ist doch gut. In der Kunst kommt man mit vielem davon, und die dunklen Seiten des Lebens sind doch viel interessanter als die heile Welt. Mein Vater hat, glaube ich, mal gesagt: Schlechtes Wetter ist besser als strahlend blauer Himmel. Das Imperfekte, das Hässliche hat einen Reiz. Ich selber bin natürlich nicht misogyn, aber ich kann den Song trotzdem so interpretieren, dass er für mich einen Sinn ergibt. Ich mag es, wenn etwas Rätselhaftes bleibt, ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt.

 

Lernen Sie etwas von Ihren Kindern?

Jeden Tag. Mit meinen Kindern entdecke ich das Leben noch mal neu. Es ist wunderbar, mit ihnen wieder in die Kindheit zurückzukehren.

Denken Sie dabei über Ihre eigene Kindheit und das Verhältnis zu Ihre Mutter nach?

Nein, eigentlich nicht. Ich vergleiche mich nicht mit ihr. Ich mag das Berechnende nicht, das darin liegen würde. Ich will mich nicht ständig hinterfragen. Ich möchte spontan und intuitiv handeln, auch wenn ich dadurch Fehler mache. Mein Job als Schauspielerin und Sängerin ist sowieso schon ein sehr selbstbezogener: Ich muss ein Ego aufbauen, um auf die Bühne zu gehen. Es hat etwas Surreales, ständig darüber nachzudenken, wie man wirklich denkt, und was man dem Publikum davon zeigt. Jeder Moment, in dem ich nicht beobachtet werde, ist gut für mich. Deshalb versuche ich, mich im Kreis meiner Familie so frei wie möglich zu fühlen.

Ist es noch immer so, dass Sie das Gefühl haben, Sie würden so tun, als wären Sie Schauspielerin oder Sängerin – anstatt wirklich eine zu sein?

So langsam akzeptiere ich meine Rolle. Doch als professionelle Schauspielerin oder Sängerin sehe ich mich immer noch nicht so richtig. Ich habe beide Berufe nicht in einer Schule, einer Ausbildung gelernt. Sondern ich genieße es einfach, vor der Kamera oder auf der Bühne zu stehen. Es ist schön, wenn sich in meinem Leben und meinem Beruf Dinge zufällig ergeben, wie nebenbei. Ich mag die Vorstellung, dass etwas zwar aus einem bestimmten Grund geschieht, aber trotzdem jenseits meiner Kontrolle liegt.

Ist es nicht völlig normal, bloß so zu tun, als ob man etwas kann? Sind wir nicht alle Pretender?

Natürlich! Ich habe dieses Gefühl bereits, wenn ich morgens aufwache. Sobald wir uns um etwas bemühen, werden wir falsch, unecht. Ich meine das im positiven Sinne: Indem man so tut, als wäre man jemand anderes, entkommt man sich selbst. Später kehrt man zu sich selbst zurück und versteht besser, wer man ist.

Ihr Bruder Lulu hat gerade eine Platte herausgebracht, auf der er Lieder Ihres Vaters covert. Was dachten Sie, als er Ihnen davon erzählt hat? Haben Sie ihm Ratschläge gegeben?

Ich gebe nie Ratschläge. Das Recht habe ich gar nicht. Aber es stimmt natürlich, er hat den absolut gegensätzlichen Weg zu mir eingeschlagen. Es ist sehr mutig von ihm, so anzufangen. Ich wollte dem Vergleich mit meinem Vater immer aus dem Weg gehen und vermeiden, dass die Leute zu viele Fragen über meine Eltern fragen.

Hatten Sie früh den Wunsch, sich von Ihren Eltern zu emanzipieren? Erinnern Sie sich an eine Gelegenheit, bei der Sie ganz bewusst einen anderen Weg eingeschlagen?

Mein Vater konnte nicht verstehen, dass ich nicht wollte, dass Fotos von mir abgedruckt werden. Er liebte sowas, er kaufte sich jeden Tag die Zeitungen, und es freute ihn, wenn jemand über ihn geschrieben hatte, wenn er ein Bild von sich entdeckte. Das war für ihn einer der Gründe, warum er den Job machte. Er hatte ein aufrichtiges Vergnügen daran. Ich dagegen war damals sehr schüchtern, mir war es absolut egal. Für ihn war ich in dieser Hinsicht wie eine Außerirdische. Spätestens da haben wir gemerkt, dass wir sehr verschieden waren. Die Schüchternheit, dass ich nicht alles teilen wollte, das war ich, das war meine Persönlichkeit.

Ihre Berufe erfordern aber, ein öffentliches Leben zu führen. War für Sie immer klar, dass Sie diesen Weg einschlagen wollten? Hatten Sie mal die Sehnsucht, einen ganz normalen Job zu machen?

Ich hatte schon früh Angst, dass meine Karriere irgendwann vorbei sein könnte und die Leute sich nicht mehr für mich interessieren, wenn ich älter werde. Doch obwohl es mir heute noch schwer fällt zu sagen, dass ich Schauspielerin oder Sängerin bin, wusste ich immer schon, dass ich nichts anderes machen wollte. Für mich ist das ein produktiver Widerspruch. Viele Schauspieler und Schauspielerinnen sind sehr zurückhaltend; als ob es gegen ihre Natur sei, auf der Bühne zu stehen. Aber dieses Dilemma treibt uns an.

Denken Sie jenseits des Songs darüber nach, wie Sie als Frau sein oder wirken wollen?

Nein, darüber denke ich nicht nach. Natürlich bin ich mir meiner femininen Seite bewusst, aber ich kann mich mit dem Wort Frau nicht identifizieren. Vielleicht ändert sich das eines Tages, aber zurzeit fühlt es sich für mich noch fremd an.

Sie haben über die Figur, die Sie in dem Film „Antichrist“ spielten, mal gesagt, dass die eine schlechte Mutter wäre. Gibt es bestimmte Werte, die Sie selbst als inzwischen dreifache Mutter haben?

Mit Sicherheit bin auch ich eine schlechte Mutter. Ich will mich nicht aufgrund des Begriffs Mutter und allem, was damit verbunden ist, analysieren und bewerten. Ich kann Ihnen nicht mit Sicherheit sagen, wie gut ich meinen Job als Mutter mache. Perfekt ist man nie, als Mutter wird man unzählige Fehler machen. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht moralisch bin oder Werte habe. Meine Kinder und meine Familie sind das Wichtigste für mich.

„Ich habe das Gefühl immer wieder neu anzufangen und etwas zum ersten mal zu lernen. So lange ich kann, will ich mir ein bisschen Unschuld bewahren.“

Was bewundern Sie an anderen Künstlern?

Man sagt mir sehr oft, ich wirke als Schauspielerin sehr natürlich. Das ist etwas, das mir nicht reicht. Nur natürlich zu sein ist nicht interessant. Ich bewundere zum Beispiel Meryl Streep. Man sieht, dass sie Spaß an ihrem Beruf hat, dass sie ihn liebt und in einer Art und Weise annimmt, wie ich das nie könnte. Ich halte sie für eine richtige Schauspielerin. Wenn man ihr dabei zusieht, wie sie zwischen ihren Rollen hin und her springen kann, dann spürt man die Freiheit, über die sie dank ihrem schauspielerischen Handwerkszeug verfügt. Wenn sie auf der Leinwand etwas tut, dann habe ich nie das Gefühl, es sei zufällig. Sie trifft ganz bewusst Entscheidungen. Bei mir ist das nicht so. Es passiert eher zufällig.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie diese Unsicherheit irgendwann überwinden können?Oder gehört sie zu Ihrer Persönlichkeit?

Ich mag es nicht,wenn etwas endgültig ist. Ich will mir nicht zu bewusst darüber sein, wie ich arbeite, wie ich mich vorbereite. Immer wenn ich einer bestimmten Methode folge, dann fühlt sich das nicht richtig an. Ich habe das Gefühl, immer wieder neu anzufangen und etwas zum ersten Mal zu lernen. So lange ich kann, will ich mir ein bisschen Unschuld bewahren.

Wären Sie trotzdem manchmal lieber wie Meryl Streep?

Eigentlich bin ich zufrieden. Doch wenn du jedes Mal neu anfängst, bist du natürlich auch immer wieder verunsichert. Ich hätte gerne ein bisschen mehr Kontrolle über mich und meine Fähigkeiten, denn wenn alles immer vage und unsicher bleibt, kann das auch etwas Beängstigendes haben. Ich werde immer zweifeln. Darin werde ich mich nie ändern. Mittlerweile verstehe ich mich in dieser Hinsicht aber besser. Und ich fühle mich wohler mit mir.

Sie wirken stets ruhig und ausgeglichen und Sie sagten mal, dass Sie schwer zu schockieren sind. Was schockiert Sie?

Auf jeden Fall keine Darstellung von Sexualität oder so etwas. Was mich wirklich schockiert, ist Eitelkeit und Angeberei. Das verachte ich. Ich glaube meine Eltern hatten große Angst davor, dass ich eingebildet und arrogant werden würde, also haben sie mir früh beigebracht, dass Bescheidenheit etwas Gutes ist.

Es klingt seltsam, dass ausgerechnet Ihr Vater Ihnen Bescheidenheit beibrachte. Er lebte ausschweifend, er liebte es, in den Schlagzeilen zu sein…

Mein Vater war sich seines Talents, seines Genies sehr bewusst. Das stimmt. Aber er konnte auch demütig und dankbar sein. Er war aufrichtig erfreut, wenn vor allem junge Menschen ihn bewunderten und zu seinen Konzerten kamen.

Auch Ihnen werden viele Komplimente gemacht. Gibt es eines, das Sie nicht mehr hören können?

Nein, überhaupt nicht. Komplimente sind toll! Sie ermutigen mich, weiterzumachen. Aber sobald ich sie gehört habe, vergesse ich sie. Ich glaube ihnen nicht.

 

Interview: Hendrik Lakeberg

Bilder: Nan Goldin

Dieser Beitrag erschien zuerst in Fräulein Nr. 01/2017

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