Die Berlinale steckt in einer veritablen Midlifecrisis, dazu wurde auch noch das Wetter schlecht! Etwas Erlösung bringen nur die Chinesen.
Kaum ist sie los gegangen, ist die Berlinale auch schon fast wieder vorbei. Übermorgen werden die Bären vergeben. Nach dem starken Beginn, das pfeifen die Spatzen von der Dächern, hatte der diesjährige Wettbewerb eine veritable Midlifecrisis. Passend dazu wurde das Wetter schlecht. Mürrisch klammerten sich die Kollegen in der Presselounge an ihrem Nespresso-Cappuccino, traurig wiesen einem die Securities im Kino den Platz zu. Draußen kreischten Teenager am roten Teppich ins Nirgendwo. Etwas Glück schenkten nur die Chinesen. Aber der Reihe nach.
Im diesjährigen Festival gab es genau einen deutschen Beitrag, 24 Wochen von Anne Zohra Berrached. Und der löste gelinde gesagt gemischte Reaktionen aus. Die FAZ sah einen der stärksten Festivalmomente, Spiegel Online urteilte „schwach“, der RBB fand den Film gar fehl am Platz im Wettbewerb. Nun kommt es darauf an, warum man ins Kino geht. Aber wen nicht nur das Thema und dessen didaktische Aufarbeitung interessiert, sondern erzählen durch Bilder, Leben, Kraft und ästhetische Reflexion auf Welt, der verkümmert mit Blick auf Berracheds Bilder. Die tolle aber immer etwas unterspannte Julia Jentzsch spielt in 24 Wochen eine Art weibliche Mario Barth, die schwangere Comedian Astrid Lorenz, die mit ihrem Mann (und Manager) Markus aus einem glücklichen Vorortidyll heraus die Karriere plant. Erst wird Astrids ungeborenem Kind Trisomie 21, also das Downsyndrom diagnostiziert, dann ein lebensbedrohlicher Herzfehler. Als es beinahe zu spät ist, entscheidet sie sich für die Abtreibung, die minutiös gezeigt wird. 24 Wochen hat starke Momente. Etwa wenn die Kamera auf den (echten) Ärzten verweilt und man, marginalisiert von medizinischem Jargon und professioneller Überheblichkeit, die existenzielle Not der Eltern spürt. Als Zuschauer eines der wichtigsten Filmkunstfestivals der Welt aber stellt man sich tatsächlich die Frage, wie ein Film mit Affekten aus dem Standardrepertoire deutscher Samstag Abend Unterhaltung den Weg in den Wettbewerb gefunden hat. 2 1/2 Sterne
Der chinesische Beitrag Chang Jiang Tu / Crosscurrent ist eine traumwandlerische Odyssee von Shanghai den Jangtse Fluss hoch zur Quelle. Ein introvertiertes, mit teils überwältigenden Kameraeinstellungen gefilmtes Epos von Regisseur Yang Chao mit Hang zum Übersinnlichen – und leider auch zum Kitsch. Reisen den Flusslauf hinauf zur Quelle, zum Ursprung, nicht nur des Wasserlaufs sondern auch des Lebens, sind ein alter, wirkmächtiger Mythos. Er gibt Filmen wie Werner Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes oder Coppolas Apocalypse Now eine eigene innere Kraft. So magisch aber die Reise des jungen Kapitäns Gao Chun (Qin Hao) auch sein mag, so gerne man sich fallen lassen möchte in den trägen Rhythmus der Wellen und den zähen Fluss der Zeit, das Gefühl hier wurde mehr behauptet als wirklich gezeigt und wird stärker je länger der Film dauert. Eine schöne Blüte der Übersetzung noch: auf der Berlinale wurde der Film mit deutschen wie englischen Untertiteln gezeigt. Einmal leuchtet in Deutsch das Wort Taugenichts auf, in englisch aber Intellectual. Berliner Natives wirds freuen. 3 Sterne
Ein Tiefpunkt des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs ist schmerzlicher Weise Chi-Raq vom großen Spike Lee. Der Titel des Films setzt sich zusammen aus Chicago und Irak. In der West- und Southside von Chicago starben in den letzten Jahren mehr Amerikaner als im Irak, zumeist Schwarze, darunter viele Kinder und Jugendliche. It’s a tale of two cities reimt der als Conférencier durch den Film führende Samuel L. Jackson gleich zu Beginn im Geiste Charles Dickens. Eine Parabel auf eine Stadt also, in der die Klassen strickt getrennt sind nach Einkommen und Rasse. Chi-Raq basiert auf der Antiken Komödie Lysistrata von Aristophanes, in der die Frauen von Sparta und Athen ihren Männern den Liebesdienst verweigern, bis diese die Waffen niedergelegt und das Morden gelassen haben. Spike Lee meint es gut. Chi-Raq kommt als Aufklärungsstück für junge Afroamerikaner und als Anklage gegen das Establishment zugleich daher. Hört auf mit der Gang-Gewalt, baut Schulen, implementiert striktere Waffengesetze, zahlt bessere Löhne! Das alles wünscht man sich. Jemand sagte, Chi-Raq sei eine moderne West Side Story. Aber das stimmt nicht. Die Reime, der Look, der Hip Hop, die Kostüme, das alles ist kaum mehr als Pose und schlimmer noch: was Komödie sein soll ist bald nichts mehr als eine große Farce. 2 Sterne
CHI-RAQ Trailer from 40 Acres and a Mule Filmworks on Vimeo.
Von Ruben Donsbach
Foto 1: 24 Wochen, Regie Anne Zohra Berrached
Foto 2: 24 Wochen, Regie Anne Zohra Berrached
Foto 3: Crosscurrent, Regie Yang Chao
Foto 4: Crosscurrent, Regie Yang Chao
Foto 5: Crosscurrent, Regie Yang Chao
Foto 6: Chi-Raq, Regie Spike Lee
Foto 7: Chi-Raq, Regie Spike Lee
Foto 8: Chi-Raq, Regie Spike Lee
Foto 9: Chi-Raq, Regie Spike Lee
Foto 10: Crosscurrent, Regie Yang Chao