Junge Frauen wollen ein freies und erfülltes Leben führen. Das Kinderkriegen wird häufig auf später verschoben. Ist das emanzipiert oder nur Symptom eines nicht endenden Egotrips? Eine Selbstbefragung in Zeiten der Lifestyle-Krise.
Ein Baby? Lieber später.
Ich war neun Jahre alt, als meine Mutter – sie war zu dem Zeitpunkt 32 – zum zweiten Mal schwanger wurde. Ich erinnere mich, dass ich dachte: sie ist zu alt, um noch ein Baby zu bekommen. Für mich als Neunjährige war meine Mutter uralt. Dafür schämte ich mich ein wenig vor meinen Schulfreundinnen, obwohl ich nun große Schwester sein konnte. Heute bin ich 34 Jahre alt. Und obwohl ich seit sieben Jahren in einer festen Beziehung lebe, bin ich kinderlos. Nicht etwa, weil ich mich gegen ein Kind entschieden habe, sondern weil ich immer mit mir selbst beschäftigt bin. Ist es nicht das, was Freiheit und Selbstbestimmung ausmachen? Das eigene Leben, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche kompromisslos zu erfüllen? Oder ist ein solcher Lebensentwurf am Ende nichts als ein endlos andauernder Egotrip? Mutter werden kann ich schließlich auch später noch. Doch wann ist das, dieses später?
Und wann ist es zu spät? „Ich mache mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt“ – frei nach dieser Zeile aus dem Lied der seit Kindertagen vertrauten Pippi Langstrumpf jagen die Frauen meiner Generation das ultimative Glück. Yogastunden, Wellness-Retreats, Ernährungswahnsinn und Reisen ans andere Ende der Welt zur Ayahuasca-Session. Bloß kein Stillstand. Das nächste Erlebnis muss noch größer, toller, weiter weg sein. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, all diese Aktivitäten sind am Ende nur Platzhalter für etwas, das viel simpler ist und leichter zu haben? Verlieren wir den Blick für das Wesentliche, weil wir von zu vielen Möglichkeiten abgelenkt sind? Schwer zu sagen. In unserer selbst erschaffenen Jahrmarktwelt gibt es kaum Platz für unangenehme Frage oder ernste Erörterungen. Es gibt doch soviel Schönes zu genießen. Doch ist das Lebenskonzept einer schwedischen Kinderbuchfigur tatsächlich auch das richtige für eine moderne, selbstbestimmte Frau?
Verabredungen, die wir eine Woche im voraus treffen? Unvorstellbar! Sich auf irgendetwas festzulegen, eine Entscheidung treffen, die langfristig Bedeutung hat, das sind nicht die Stärken unserer Generation.
Unsere Großmütter und Mütter haben für die Freiheit gekämpft, Familie und Karriere zu verbinden. Wir profitieren davon. Es ist kein Problem, eine Karriere und verrückte Lifestyle-Choices zu haben. Selbst in festen Beziehungen wollen wir frei und unkonventionell sein, suchen uns die Modelle aus, die zu unseren Lebensentwürfen passen. Unverbindlichkeiten ohne Ende. Verabredungen, die wir eine Woche im voraus treffen? Unvorstellbar! Sich auf irgendetwas festzulegen, eine Entscheidung treffen, die langfristig Bedeutung hat, das sind nicht die Stärken unserer Generation. Wie also eine Verabredung für das ganze Leben treffen? Wir leben in vollen Zügen, ohne Rücksicht auf Verluste. Das fühlt sich gut an – und manchmal eben auch sinnlos und leer. Die Welt mag voller Möglichkeiten sein, die uns hierhin oder dorthin locken, doch liegt es nicht auch in unserer Verantwortung, etwas zu schaffen, das mehr Substanz hat als ein vorbildlich geführter Instagram-Account? Etwas, das wir formen und prägen können, mit dem wir unsere Wert und unsere Erfahrungen teilen können? Leben wir am Ende so selbstbestimmt, dass wir bestimmen, nicht mehr für uns bestimmen zu müssen? Manchmal stelle ich mir vor, wie befreiend es sein muss, für einen an deren, sehr kleinen Menschen zu denken und zu handeln – und dabei di eigenen Bedürfnisse hinten an zu stellen. Einfach mal zu funktionieren, statt alles zu hinterfragen. Den Fokus verschieben. Nicht jeden Tag die Tollste, Beste und Schönste sein zu wollen, sondern eine liebevolle Mutter zu sein. Unter meinen Freundinnen hat sich bisher nur eine für so etwas entschieden. Doch die ist mir ein eindrucksvolles Vorbild und erinnert mich daran, worauf es im Leben wirklich ankommt. Auf bedingungslose Liebe zum Beispiel. Und ist es nicht das, wonach wir uns alle am Ende des Tages sehnen?
Text: Daniela Wilmer
Dieser Beitrag erschien zuerst in Fräulein-Ausgabe 1/2018