Für viele ist es das Erste, was sie morgens in die Hand nehmen und das Letzte, was sie abends aus der Hand legen. Das Smartphone. Aber irgendwann ist es zu viel des Guten.
Digital Detox
Seien wir mal ehrlich: Sind wir nicht alle irgendwie abhängig von unseren Handys? Sie sind überall. Auf dem Nachttisch, oder gar im Bett, auf dem Esstisch, im Büro, im Auto, im Urlaub. Überall und zu jeder Zeit. Wir verlassen uns auf sie. Sie sind unser Navigationsgerät, unser Wecker, unsere Bank, unser Fahrkartenautomat, unser Menstruationskalender.
Kommt die U-Bahn erst in drei Minuten, so wird das Handy gezückt, erhält unser Gegenüber eine Nachricht, so wird das Handy gezückt. Ist man auch nur für einen Moment allein, beispielsweise weil die Begleitung im Restaurant kurz zur Toilette geht, kommt direkt das Handy zum Vorschein. Es ist mittlerweile zu einem Automatismus geworden: Das Letzte, was ich abends aus der Hand lege und das Erste, was ich am nächsten Tag wieder in die Hand, nehme ist mein Smartphone. Angeblich, weil ich keinen analogen Wecker besitze.
Das Hauptproblem stellt für mich persönlich Social Media dar. Die mittlerweile von Werbemaßnahmen aller Art durchtränkten sozialen Netzwerke liefern uns einen sehr unrealistischen Einblick in das Leben der Anderen. Die Manipulation unseres vermeintlichen Schönheitsideals mittels Photoshop wird schon länger kritisiert und so verschwindet das Bild des dünnen, blonden Models (sehr) langsam. In der uns auf den sozialen Netzwerken zugeschalteten und dank des Algorithmus ganz persönlich auf unsere Interessen zugeschnittenen Werbung hingegen, sind es keine unrealistisch aussehenden Models, die uns auffordern etwas zu kaufen. Diese Werbung sieht zum Teil aus wie ein normaler Beitrag, der das normale Leben zeigt. Normale Menschen, die dafür bezahlt werden, Beiträge zu posten und kaum eines der platzierten Produkte selbst bezahlt haben. Normale Menschen, die unsere Ideale gleichermaßen manipulieren. Sie nennen sich Influencer und ihr Einfluß geht über unser Kaufverhalten hinaus. Obwohl sich die meisten Instagram-User dessen bewusst sind und Werbeanzeigen mittlerweile auch entsprechend markiert werden müssen, verspüren insbesondere junge Leute dennoch häufig den Wunsch, nicht nur so auszusehen, wie die Personen denen sie folgen, sondern vielmehr deren Leben zu führen. Wir sind ständig damit beschäftigt uns darzustellen, zu vergleichen und gegenseitig zu bewerten. Gibt es kein Foto von dir, warst du praktisch nicht da(bei). Selbstverständlich dienen die sozialen Netzwerke auch Gutem, Menschen und Themen, denen sonst niemals die Plattform mit solch einer Reichweite gegeben würde. Glaubt man den Studien, so scheinen letztlich jedoch die negativen Auswirkungen zu überwiegen und so trägt Social Media zu einer steigenden Zahl von Angstzuständen, Depressionen und gestörtem Schlafverhalten bei.
Laut einer 2017 durchgeführten Onlineumfrage der Projektgruppe ARD/ZDF-Multimedia zur Internetnutzung sind wir durchschnittlich 2,5 Stunden am Tag mit scrollen beschäftigt. Andere Studien ergaben, dass wir durchschnittlich rund 80 Mal am Tag unser Smartphone entsperren. Das bedeutet ca. alle 12 Minuten, wenn man von acht Stunden Schlaf ausgeht. Fast jede*r Zweite zwischen 18 und 29 Jahren schätzt die persönliche Internetnutzung als zu hoch ein, so eine Befragung der Techniker Krankenkasse.
Wer etwas dagegen tun möchte, kann ironischerweise auf Apps zurückgreifen: QualityTime oder Offtime sollen dabei helfen, sich und seinen Smartphone-Konsum im Griff zu behalten und sich weniger ablenken zu lassen. Wer es richtig ernst meint, kann sogar ein Seminar oder einen Urlaub buchen, alles unter dem Motto „Digital Detox“. Viele Nutzer bzw. Teilnehmer zählen noch zu der Generation, die auch noch Zeiten ohne Internet kennenlernten. Die Stadtpläne, statt Google Maps nutzten und die Verabredungen als verbindlich erachteten, weil es schlichtweg nicht die Möglichkeit gab, kurz vor knapp „Sorry, wird etwas später!“ zu schreiben.
Schnelllebigkeit, ständige Erreichbarkeit und geringe Verbindlichkeit. Unter anderem diese Attribute zeichnen die heutige Zeit und unsere Generation aus. Persönliche Treffen wurden von Telefonaten abgelöst, Telefonate von Sprachnachrichten und so reiht sich mittlerweile ein Monolog an den anderen. Gruppenchats mit zig neuen Nachrichten pro Minute, ständig neuen Fotos und entweder sieben Sekunden oder aber sieben Minuten langen Sprachnachrichten üben Druck auf uns aus. Zum einen der Druck, nicht schnell genug zu antworten, zum anderen der Druck etwas zu verpassen.
Viele macht es nervös, außer Haus zu sein und plötzlich zu bemerken, das Handy zu Hause vergessen zu haben. Nicht einmal die Möglichkeit zu haben, kurz auf das Display schauen zu können. Es gibt einem das Gefühl irgendwie nackt zu sein, weil ein essentieller Teil fehlt. Um dieses Gefühl zu vermeiden, gibt es Handyhüllen, die an einer ca. 1,5 m langen Kordel befestigt sind, damit man das Handy gar nicht erst in der Tasche verstauen muss, sondern es direkt am Körper tragen und so non-stop griffbereit haben kann.
Ich für meinen Teil liebe das Internet. Als ich aber bemerkte, dass mich mein Surfverhalten regelmäßig vom Schlafen abhielt, beschloss ich zunächst Instagram zu löschen. Nicht das komplette Profil, das wäre ja wahnsinnig. Aber zumindest die App. Und ich muss sagen, dass ich mich nach ein bis zwei Tagen damit arrangiert hatte. Wenn ich ehrlich bin, habe ich die App zwar mittlerweile wieder auf dem Smartphone, aber ich scrolle weniger ausdauernd. Die Zeit ohne Instagram mag meiner Sucht also kein Ende gesetzt haben, mein Nutzerverhalten hat sich allerdings verändert. Und wenn es doch wieder zunimmt, lösche ich die App. Zur Not auch nur für einen Tag. Das hilft tatsächlich. Man kann alternativ auch Zeit mit Freunden, den Esstisch oder das Schlafzimmer als Sperrgebiet etablieren und dort das Handy irgendwo verstauen. Einfach ausprobieren und ein paar Apps löschen, Sperrzonen einrichten, oder zumindest die Push-Nachrichten deaktivieren. Und wer sich traut kann sogar so weit gehen und das Handy komplett ausschalten.
Übrigens habe ich noch immer keinen analogen Wecker, mittlerweile aber auch so gut wie keine Apps mehr auf dem Handy.
Bild: Sayo Garcia via Unsplash
Beitrag: Penelope Dützmann