Es braucht großen Mut, wider alle Vernunft dem Herz zu folgen. Aber Milen Till glaubte an die Kunst. Sie war seine Rettung.
„Die Kunst ist mein Zuhause“
Zusammen mit seinem Bruder Amédée startete Milen Till Ende der Nuller-Jahre das bald legendäre DJ-Duo Kill the Tills. Ausgehen und Exzess wurden plötzlich zum Gesamtkunstwerk, zur einer Erfahrung, die über das rein Körperliche hinaus zu gehen schien. Die Süddeutsche Zeitung nannte sie die „Neue(n) Helden der Nacht“. Fans erschienen in selbst gestalteten Kill the Tills-Shirts zum Gig. Nur, irgendwann wurde es zu viel, die öffentliche Persona begann das eigene Ich zu überlagern. Auf dem Höhepunkt konnte und wollte Milen Till nicht mehr – und zog die Reißleine. Heute arbeitet er als Künstler in München und hat vor kurzem seine Kiss-Cuts-Collagen in der Galerie The Curve von Valerie von Meiss in Berlin ausgestellt.
Fräulein: Milen, vor etwa einem Jahr hast du dich aus dem Nachtleben verabschiedet um dich ganz der Kunst zu widmen. Wie kam es dazu?
Milen: Ich dachte eine Weile, dass ich mich über unsere Events finanzieren und dabei trotzdem Künstler sein könnte. Aber das klappte einfach nicht. Ich habe so nie einen echten Fokus für meine Arbeit gefunden, wurde immer wieder aus der Bahn geschmissen.
Wann wusstest du: es reicht, es muss sich etwas ändern?
Ich hatte irgendwann einfach verstanden, dass ich zu einer öffentlichen Kunstfigur geworden war, einer Projektionsfläche für andere. Die Menschen, die mich lieben, haben das eine ganze Weile lang akzeptiert. Ich war ja erfolgreich. Aber als meine jetzige Freundin in mein Leben getreten ist, war sie sehr ehrlich zu mir. Sie sagte: „Milen, ich habe dich ganz anders kennengelernt, das bist nicht du!“ Da wurde mir klar, wieviel Zeit ich schon verloren hatte. Zeit, die es nachzuholen galt. Aber dafür brauchte es den Bruch mit meinem früheren Leben.
Du bist in die Klasse des Künstlers Gregor Hildebrandt an der Akademie der Bildenden Künste München aufgenommen worden. Wie kam es dazu?
Das Künstlerische war mir und meinem Bruder Amédée schon immer wichtig. Wir planten unsere Events vom Flyer, über die Gästeliste bis zum Konzept komplett durch und investierten eine Menge Arbeit in Musikvideos. Damals begann ich, die Schaufenster von Concept-Stores zu gestalten. Eine Arbeit bestand aus verschiedenen Turntables. Auf zwei dieser rotierenden Plattenspieler setzte ich ein Skateboard. Die Freundin meines Bruder kannte Hildebrandt. Er kam vorbei und war begeistert. Er macht ja selber viel mit dem Material Vinyl und ist früher Skateboard gefahren. Die Arbeit wurde in der Jahresausstellung seiner Klasse gezeigt. Kurz darauf nahm man mich dort auf.
Viele Menschen Anfang Dreissig haben heute das Bedürfnis, sich noch einmal komplett neu zu erfinden …
… total! Der Alkohol und das Feiern waren zwischenzeitlich extrem salonfähig geworden. Man musste man sich fast dafür schämen, keine Drogen zu nehmen. Das kippt gerade, gottseidank! Denn die Folgen bleiben ja sie selben: die Zähne werden schlecht, der Körper fängt an erste Macken zu zeigen. Sich für diesen Lebensstil umzubringen macht doch keinen Sinn. Obwohl wir Kill the Tills hießen (lacht). Wir dachten, wir machen das till the end.
Deine Kiss-Cut-Kollagen haben viel mit dem DJing zu tun. Auch da cutted man und fügt verschiedene Tracks aneinander.
Das stimmt. Für mich war der Film Hass (La Haine) von 1995 und die hier dargestellte Hip-Hop-Kultur extrem wichtig. Und die Basis des Hip Hop ist der Cut. Wenn man zwei Dinge aneinander fügt, ob nun Tracks oder Bilder, entsteht etwas völlig Neues, Aufregendes. Das Sampling ist letztlich nur eine Spielart davon. Meiner Meinung nach ist auch die Malerei grundsätzlich nichts anderes. Auch hier fügst du zwei Dinge aneinander: die Farbe und die Leinwand.
Wie kam dir die Idee zu den Kiss Cuts?
Das war ein Prozess. Zunächst spielte ich mit einer App und fügte wahllos Bilder aneinander. Später arbeitete ich dann auch mit Postkarten. Das glich einer Art Memory. Als ich und mein Bruder unseren zweiten Laden in München aufgemacht haben, das Kiss, stellte ich dafür verschiedene Motive zusammen. Etwa ein altes koloriertes Bild aus Tunesien mit einem iPhone Foto. Diese Elemente sind mit der Zeit immer mehr zusammen gewachsen. Für Collagen sind Küsse natürlich perfekt, weil sie zwei Elemente komplett aneinander schmiegen. Die Arbeiten wurden dann über Umwege in der Berliner Galerie The Curve von Valerie von Meiss ausgestellt – und sind allesamt verkauft.
In einem Interview hast du mal gesagt, die Profis unterscheidet im Nachtleben von den Amateuren, dass sie auf dem Höhepunkt angekommen runter schalten.
Man versteht, dass der Raum, in dem man arbeitet, nicht zerstört und die Beziehungen zu den Menschen, mit denen man arbeitet, nicht unwiderruflich beschädigt werden dürfen. Ich habe lange nach der Maxime gelebt, dass es kein Zurück geben darf und mir immer die Freiheit genommen, so zu feiern, als gäbe es kein Morgen. Aber dennoch fand ich immer den Übergang, den Exit, an dem man vom Gas gehen musste. Irgendwann gelang mir das nicht mehr und ich merkte, das ist nicht mehr mein Ding.
Sonst kollabiert man?
Ja genau. Und das ist dann auch passiert.
Die Kunst war somit deine Rettung?
Mir wird immer noch gesagt, was willst du denn, du warst doch schon so toll und erfolgreich in dem, was du mit Kill the Tills gemacht hast. Diesen Leuten sage ich: für mich bedeutet die Kunst nach Hause zu kommen – und von hier möchte ich nicht mehr weg gehen.
Info: Die Arbeiten von Milen Till findet man via Instagram @milentill