Seit einem Jahr lebt die Schauspielerin Johanna Wokalek in Paris. Was sie überrascht hat: Alle Klischees sind wahr! Ein Gespräch über die Liebe der Franzosen zum Kino, das Leben im permanenten Ausnahmezustand und das Herbeirufen romantischer Gespenster im Geist der Musik.
Die Geisterbeschwörerin
Fräulein: Johanna, du wohnst seit einem knappen Jahr in Paris, einer Stadt, nach der du schon während deines Studiums am Max Reinhardt Seminarin Wien „Neugier und Sehnsucht“ verspürt haben sollst. Haben sich deine Erwartungen erfüllt?
Johanna: Natürlich hatte ich eine romantische Vorstellung von Paris, vor allem von der Liebe der Franzosen zum Film. Aber die hat sich auch bewahrheitet. Ich wohne mit meinem Mann und meinem kleinen Sohn im 5. Arrondissement nahe des Panthéon. Es gibt hier sehr viele Kinos. Ständig läuft eine Retrospektive oder ein Minifestival und die Leute strömen in diese Filme mit größter Selbstverständlichkeit. Ganz anders als in Deutschland, wo man eher vor dem Fernseher sitzt.
Woher kommt das wohl?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber diese Selbstverständlichkeit haben die Franzosen gegenüber allen schönen Dingen des Lebens. Man bestellt sich im Bistro ein paar Austern, weil man Lust darauf hat, das ist keine Riesensache. Man zeigt eine Lust an Kultur, Musik, Malerei wie auch an der Mode. Vielleicht ist es tatsächlich das „Savoir-vivre“.
Ich habe gelesen, dass es für dich eine besondere Erfahrung war, am Burgtheaterin Wien in einem Kleid von Vivienne Westwood zu spielen. Das war die Dreigroschen Oper von Brecht. Was bedeutet dir Mode?
Ich ziehe mich gerne überlegt an und es fällt mir immer auf, wenn andere einen gelungenen Look tragen. Gelungen in dem Sinne, dass er die Persönlichkeit unterstreicht und mir etwas über die Person erzählt. Mich interessiert weniger das Modische an sich. Ich würde auch nie über mich selbst sagen, dass ich modisch sei. Aber ich finde, dass es eine große Kunst ist, Mode zu entwerfen, Schnitte zu kreieren. Am Theater und im Film arbeite ich immer eng mit den Kostümbildern zusammen, da bin ich sehr pingelig. Wenn Mode für einen entworfen wird, entwickelt man schnell eine Blick für sich und seinen eigenen Körper, für Details wie die Ärmellänge und wie die Nähte sitzen müssen.
Hast du ein Stilvorbild?
Nein eher nicht. Es wechselt. Da bin ich sprunghaft, weil ich so neugierig auf die Menschen bin. Aber ich erinnere mich z.B. an ein sehr langes Interview mit Sonia Rykiel. Sie liegt dort mit ihren roten Haaren in einem langen Kleid auf einer Chaiselongue und spricht über Mode und ihr Leben. Ihre ganze Erscheinung ist fesselnd und macht mich neugierig. Sie hatte eindeutig ihren ganz eigenen Stil. Oder wenn man das Haus Chanel in Paris besucht, trifft man dort auf Stil und Eleganz. Das reicht bis hin zur weißen Serviette, die auf dem Tablett liegt, auf dem das Wasser gereicht wird. Auch die Mitarbeiter haben eine Zurückhaltung, die Stil hat. Stil ist also mehr als Mode, Stil hat mit der Haltung dem Leben gegenüber zu tun.
Dein Sohn ist mittlerweile vier Jahre alt, wie sehr hat er dein Leben verändert?
Sehr. Ich habe 37 Jahre nur gemacht was ich wollte und wie ich es wollte. Gerade als Schauspielerin möchtest du immer unabhängig sein und frei deinen Weg gehen. Nun ist da noch jemand, und der hat Bedürfnisse die ich nicht ignorieren kann und natürlich auch nicht will.
Ich frage auch wegen deiner Hauptrolle in dem Anfang 2017 im ZDF ausgestrahlten Fernsehfilm Landgericht, der zur Zeit des Dritten Reichsspielt. Dein Mann Richard Kornitzer ist Jude. Ihr verschickt eure beiden Kinder zu Beginn mit einem sogenannten Kindertransport nach England, um sie in Sicherheit zu bringen, trennt euch womöglich für immer. Wie sehr hat dich diese Szene berührt, gerade als junge Mutter?
Es war sehr bewegend das zu spielen, spielen zu müssen … aufwühlend. Es ist zwar „nur“ auf Film, aber trotzdem in dem Moment existentiell und schrecklich. Ich war wirklich froh als die Szene vorbei war.
Wenig später flieht auch Richard, nach Kuba. Deine Protagonistin Claire bleibt zurück, lässt sich nicht in Abwesenheit scheiden, wie es opportun wäre, erduldet dafür Erniedrigung und den Verlust ihres Eigentums.
Ja, aber ich habe Claire schon beim Drehbuch lesen als ungemein stark empfunden. Sie ist Opfer ihrer Umstände, aber kein Opfer per se. Sie hofft beharrlich auf die Besserung ihrer Lebensumstände und hält bis zum Ende daran fest. Darin ist sie ungemein stark.
Flucht und Vertreibung waren für viele Deutsche eine Realität im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges. Mag die teils mangelnde Solidarität mit Flüchtlingen heute auch daher kommen, dass diese Generation langsam ausstirbt und ihre Erfahrungen nicht mehr weiter geben kann?
Das ist schwer zu beantworten. Die Ängste, die es heute gibt und teils widersprüchlich und schrecklich zum Ausdruck kommen, sind im Kern menschlich. Ich meine damit die Angst vor dem Anderen, den man nicht kennt, dessen Sprache man nicht spricht, der einem etwas wegnehmen könnte. Diese Ängste resultieren nicht aus Weitblick sondern sind ein ganz unmittelbarer Affekt. Es ist wichtig, dass wir miteinander und untereinander sprechen, um diese Ängste auszuräumen. Geschieht das nicht, bekommt unsere Gesellschaft immer mehr Schlagseite. Für mich persönlich ist es keine Frage, dass man Menschen aus Ländern, in denen grausame Kriege herrschen, helfen muss.
In Frankreich ist die Polarisierung der Gesellschaft so weit fortgeschritten, dass eine rechte Demagogin wie Marine Le Pen Chancen auf höchste Ämter hat.
Die Franzosen haben den Fehler gemacht sich nicht ausreichend und ernsthaft um die Integration ihrer Zuwanderer gekümmert zu haben. Diese leben heute in der Peripherie der Städte , in den Banlieues. Sie bilden dort Parallelgesellschaften, die mit dem Leben im Zentrum der Stadt nichts zu tun haben. Ich frage mich, wie diese auch räumliche Spaltung der Gesellschaft jemals aufgehoben werden soll. Die Terroranschläge der letzten zwei Jahre waren ein schockierendes Erlebnis für uns alle.
Du hast dich als Schauspielerin in Filmen wie Baader Meinhof Komplexoder Die kommende Tagemit der Psychologie des Terrorismus beschäftigen müssen. Was hast du gelernt?
Vor allem bei Gudrun Ensslin gab es eine unheimliche Radikalität des Denkens, die fokussiert nur noch einen Gedanken zugelassen hat und alles andere, auch das moralische Empfinden, ausschloss. Das kann schreckliche Konsequenzen haben und war natürlich auch nicht einfach zu spielen.
Was macht den Extremismus so attraktiv, gerade für junge Menschen?
Junge Menschen, die keine Zukunft für sich sehen und keine Gemeinschaft haben, in der sie sich aufgehoben fühlen, können leicht radikalisiert werden. Darum nochmals: man darf den Kontakt zu den Menschen nicht verlieren. Vor allem nicht zu den Jungen.
Als Richard in Landgerichtaus dem kubanischen Exil zurück nach Deutschland kommt und der Bauersfrau begegnet, bei der Claire Unterschlupf gefunden hast, sagt diese unter vorgehaltener Hand:„Der sieht ja gar nicht aus wie ein Jude, der ist ja ganz stattlich“.
Genau. In solchen Sätzen ist auf einmal alles da. Man versteht: die größten Vorurteile entstehen dort, wo kein aufklärendes Miteinander mit dem vermeintlich Unbekannten stattfindet.
Zusammen mit deinem Mann, dem Dirigenten Thomas Hengelbrock, und dem Balthasar-Neumann-Ensemble, hast du das Album Nachtwache – Chorwerke und Lyrik der Romantik heraus gebracht, auf dem du u.a. Gedichte von Brentano, Eichendorff oder Heine sprichst. Was hat dich an diesen Texten interessiert?
Das Zusammenspiel.
Sprache und Musik brauchen einen inneren Bogen, der trägt.
Man muss die Künste zusammenführen und eine innere Verbindung schaffen. Wir spielen dieses Programm bereits vier Jahre und es wächst mehr und mehr zusammen. Dazu kommt, dass diese Lyrik zu lesen für mich „Königsklasse“ Ist. Diese Romantischen Gedichte sind so humorvoll wie sehnsüchtig und zerrissen. Rhythmus, Reim und inhaltlicher Gedanke bilden eine Einheit. Was für eine unglaubliche Mischung.
Hast du einen Lieblingstext?
Also die Lore Lay zu Bacharach am Rheine von Brentano ist einfach dafür da, vor Publikum gelesen zu werden. Wie sie vor den Bischof tritt, fast ins Kloster geht und sich schließlich vom Felsen stürzt. Die Menschen kennen diese Texte, haben sie aber seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Wir entdecken sie gemeinsam neu.
Gleicht das Sprechen dieser alten Texte nicht immer auch einer Form der Geisterbeschwörung?
Ja, aber die Geister sind immer da, schlafen nur, werden nicht oft genug geweckt. Ich empfinde sie ganz unmittelbar wenn ich diese Texte spreche. Gerade in Verbindung mit Musik gelingt das gut. Schauspieler, Musiker und Chor arbeiten zusammen, um diese Geister zu beschwören und auch dem Publikum sichtbar zu machen.
In der Nachtwache wird Chormusik von Robert Schumann gesungen, etwa An die Sterne. Schumann ist im Irrenhaus geendet. Es ist ein Topos gerade der Romantik, dass der Wahnsinn und die Kunst sehr nahe beieinander liegen.
Wahnsinn ist ein großes Wort. Wer bestimmt, wann jemand wahnsinnig ist? Sind nicht gerade diejenigen wahnsinnig, die vorgeben, normal zu sein und dabei die Welt durch wahnsinnige Kriege verwüsten? Für mich als Künstlerin gehört eine kleine Portion Wahnsinn einfach dazu. Mich in jemanden anderen zu verwandeln, in eine andere Haut zu schlüpfen, ist ja nicht wirklich in dem Sinne „normal“.
Braucht es dazu den Selbstzweifel?
Ja, der Zweifel gehört immer dazu; und auch die Angst, die wir alle in uns tragen, mit der wir umgehen lernen, die wir überwinden müssen. Das gehört zum Menschsein einfach dazu.
Fotos: Irina Gavrich
Styling: Götz Offergeld, Sina Braetz
Text: Ruben Donsbach
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Fräulein Ausgabe 2/ 2017