Was an dem Mythos der erfolgreichen Ostfrau dran ist und wie sich der Frauenmangel im Osten Deutschlands auswirkt.
Was an dem Mythos der erfolgreichen Ostfrau dran ist und wie sich der Frauenmangel im Osten Deutschlands auswirkt.
Nach der vergangenen Europawahl wurde wieder einmal deutlich, wie stark die AfD in vielen Regionen Ostdeutschlands ist. Bei der Suche nach möglichen Gründen für den Wahlerfolg werden gerne Klischees über Ostdeutsche ausgepackt, die unter anderem nicht gebildet oder tolerant genug seien. Dass die Ostdeutschen allerdings auch ganz anders sein können, zeigt das Bild der ostdeutschen Frauen. Die Idee der erfolgreichen und flexiblen Ostfrau besteht seit längerem. Doch was ist dran am Mythos und welche Zusammenhänge könnten mit dem Erfolg der AfD in ostdeutschen Gebieten bestehen?
Ostdeutsche Frauen gelten als stark, emanzipiert und flexibel. Sie sind es seit der DDR gewohnt zu arbeiten und sollen sich besonders gut an die Veränderungen nach der Wende angepasst haben. Statistische Untersuchungen zum Thema Gleichstellung in Deutschland geben teilweise überraschende Informationen, die die These der erfolgreichen Ostfrauen stützen. Während Ostdeutsche in Führungspositionen immer noch sehr unterrepräsentiert sind, gibt es überdurchschnittlich viele Frauen unter den Ostdeutschen, die es in hohe Positionen geschafft haben. In vielen Bereichen erreichen Frauen unter ostdeutschen Führungspersonen bereits 50 %, wovon westdeutsche Frauen weit entfernt liegen. Während unter den 30 deutschen DAX-Vorständen nur 4 Ostdeutsche vertreten sind, sind drei davon weiblich – also 75 %. Von den westdeutschen DAX-Vorständen sind wiederum nur 10 % Frauen.
Unter den aktuellen Ministerinnen und Ministern der Bundesregierung sind 74 % der Ostdeutschen weiblich – und damit auch besonders viele Ministerinnen ostdeutsch. Vielleicht steht dies teilweise mit der ostdeutschen Bundeskanzlerin im Zusammenhang, sicherlich aber auch mit der Rolle der Frau in der DDR und ihrer Anpassung an das neue System nach der Wende.
Emanzipation in der DDR?
Der MDR hat in Zusammenarbeit mit dem RBB in diesem Jahr eine dreiteilige Dokumentation über den Mythos Ostfrauen herausgebracht. Darin erzählen sehr unterschiedliche, erfolgreiche Frauen aus den sogenannten neuen Bundesländern, wie sie das Leben als Frau in der DDR wahrgenommen haben und sich die Bereiche Arbeit und Beziehungen besonders stark vom Leben im Westen unterschieden. In der DDR war es normal, dass Frauen arbeiteten, es wurde sogar von ihnen erwartet. Während die DDR bereits 1950 ein Gesetz verabschiedete, dass Frauen durch eine Eheschließung nicht daran gehindert werden dürfen einen Job auszuführen, mussten Frauen in der BRD noch bis 1977 um die Erlaubnis des Ehemannes fragen, um arbeiten zu können. Für ostdeutsche Frauen undenkbar. Doch die Gleichstellung von Mann und Frau lief nicht in allen Bereichen rund. Die Frau war gleichzeitig immer noch für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig. Zwar erhielten ostdeutsche Frauen den selben Lohn wie Männer, eine Kinderbetreuung und einen monatlichen Haushaltstag, doch letzteres zeigt bereits welche Rollenbilder weiterhin vorherrschten.
Die Dokumentation stellt sehr gut dar, wie erst im Laufe der Jahrzehnte die Gleichstellung nach und nach voranschritt. Vor allem eine Ausbildungsoffensive von Frauen in den 1960er Jahren sollte es ihnen ermöglichen höhere Berufe einzunehmen und immer mehr finanziell vom Mann unabhängig zu werden – allerdings profitierten nicht alle davon und Menschen mit nicht passender politischer Überzeugung oder bestimmten religiösen und familiären Hintergründen wurde der Zugang zum Studium meist verwehrt. Des Weiteren gab es eine sehr offene Sexualerziehung in der Schule, freie FKK Kultur und viele Frauen entwickelten einen emanzipierten Umgang mit ihrer Sexualität. Frauen waren den Männern oft voraus und wollten sich nicht mehr von ihrem Ehemann zuhause bestimmen lassen – diese mussten oft erst noch lernen machistisches Verhalten abzulegen, welches natürlich bis heute auch im Osten noch vorzufinden ist. Dies äußerte sich auch in steigenden Scheidungsraten. Jedoch wurde es für viele im Osten eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen arbeiten und einen großen Teil des Geldes mit nach Hause bringen.
Mit der Wende brach ein Großteil der Wirtschaft zusammen und auf eine riesige Deindustriealisierung folgte die Massenarbeitslosigkeit, welche vor allem die Frauen hart traf. Eigentlich hätten die ostdeutschen Frauen besonders als Verlierer der Wende hervorgehen müssen. Die Politiker damals sprachen sogar davon, dass sich die Erwerbsorientierung der Frauen sicher wieder legen würde – im Sinne von “Zurück an den Herd.” Doch so sollte es nicht kommen.
Die ostdeutsche Frau als Vorbild der Flexibilisierung
Viele Ostdeutsche begaben sich in den frühen 1990ern auf den Weg nach Westdeutschland – darunter besonders viele Frauen auf der Suche nach neuer Arbeit. Andere Frauen in Ostdeutschland nahmen an Weiterbildungsmaßnahmen und Umschulungen teil, um einen neuen Beruf zu erlernen. Es wird den ostdeutschen Frauen nachgesagt, dass sie sich besonders flexibel an die neuen gesellschaftlichen Umstände anpassten, während die Männer öfters Probleme damit gehabt hätten.
Es scheint als fiele es vielen Frauen etwas leichter mit den neuen Anforderungen und Ungewissheiten umzugehen – wahrscheinlich geprägt durch ihre Erfahrung von Mehrfachbelastung in der DDR, welche das Managen von Arbeit, Haushalt, Kindererziehung und oft sogar noch gesellschaftlichem Engagement beinhaltete. Hierdurch hatten die Ostfrauen bereits ein recht ausgeprägtes Verständnis und Händeln von Flexibilitäts-Anforderungen erlernen müssen, welche im neuen kapitalistischen Deutschland Bedingung für Erfolg wurden.
Erwerbsfähigkeit wurde von der ostdeutschen Frau in der DDR erwartet und entwickelte sich für viele Frauen zu einem wichtigen Ideal, um finanziell unabhängig von einem Ehemann leben zu können und so wollten sie sich auch nach der Wende ihre Freiheit nicht nehmen lassen. Die Frauen im Osten waren es gewöhnt sich den ihnen gesetzten Herausforderungen zu stellen, ohne sich zu beschweren. Einerseits zeugt dies von Stärke und einem unglaublichen Management, gleichzeitig verhindert diese Einstellung, dass gesellschaftliche Verhältnisse sich verändern können. Auch heute kennen viele Frauen die Mehrfachbelastungen und es erscheint manchmal so, als hätten einige Angst sich über ihre Situation zu beklagen oder zu kritisieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, gesellschaftlichen Anforderungen nicht zu genügen und damit zu versagen. Vielleicht haben sich auch einige ostdeutsche Frauen mit Kritik zurückgehalten, um nicht in das Klischee des Jammer-Ossis gesteckt zu werden.
Schließlich haben die ostdeutschen Frauen es oft geschafft, wieder eine Arbeit zu finden und viele von ihnen haben nach der Wende Karriere gemacht. Natürlich konnten sich aber nicht alle von den damaligen Vorgängen erholen, insbesondere ältere Menschen.
Frauenmangel im Osten
Die Arbeitssuche und das Abwandern von insbesondere gut ausgebildeten ostdeutschen Frauen haben aber auch Nachwirkungen mit sich gebracht. In vielen ländlichen ostdeutschen Regionen fehlen heute die Frauen. In manchen Regionen gibt es einen Männerüberschuss von bis zu 25 %. Bereits im Jahr 2009 bezeichnete eine Studie des Berlin-Instituts den Frauenmangel im Osten als eine europaweite einzigartige Lage und erklärte, dass 20 % der Männer im Osten eine schlechte Ausbildung, keinen Job und keine Partnerin hätten.
So sind es meist die besser Ausgebildeten, die in größere Städte, wie Berlin, Leipzig oder nach Westdeutschland gingen und auch heute noch gehen – egal ob Männer oder Frauen. Dass diese demographischen Entwicklungen Auswirkungen haben, ist recht naheliegend. Es bleiben oft diejenigen in Gegenden mit wenig Arbeitsangebot und schlechter Infrastruktur zurück, für die es nicht viele Perspektiven gibt. Dies könnte vielleicht auch – neben anderen Gründen – das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei wie der Afd begünstigt haben.
Doch es gibt auch Fälle von ostdeutschen Frauen, die nach ihrer Ausbildung in ostdeutsche Gegenden zurückkehren und dort die örtliche Wirtschaft durch ihre Ideen aufmischen. Sie bringen Leben zurück in abgelegene Dörfer und bewirken manchmal Kettenreaktionen, so dass andere Menschen sich auch in diesen Gegenden ansiedeln. Diese Art von Pionierinnen sind vielleicht nicht so häufig oder gar sichtbar, aber zeigen wie Menschen, insbesondere Frauen das Leben im Osten auch etwas verändern können.
Der Verweis darauf, dass nicht alle Menschen aus dem Osten die AfD wählen und es Aufgeschlossene unter ihnen gibt, mag angesichts der jüngsten Wahlergebnisse nach Schönreden klingen. Jedoch ist es vielleicht gerade jetzt wichtig, ein differenziertes Bild vom Osten zu zeigen, um den Riss zwischen Ost und West nicht noch weiter aufzureißen und nach den tiefergehenden Gründen für das Erstarken von rechtspopulistischen Überzeugungen zu suchen. Die Repräsentation in den Medien hat schließlich auch eine Wirkung auf die Dargestellten und Klischees könnte die Rechten nur noch mehr stärken, wie David Bergrich in seinem Artikel “Ost ist nicht Ost” erläutert. Der Mythos Ostfrau scheint jedenfalls in vielen Punkten nicht unbegründet zu sein und erklärt die bis heute bestehenden Unterschiede in der Erwerbstätigkeit zwischen Frauen, die aus dem Osten stammen und Frauen aus den alten Bundesländern. Zudem gibt er ein paar Denkanstöße zu aktuellen Problemen des Ostens und bietet teilweise überraschende Erkenntnisse.
Text: Stefanie Triebe
Bild: rbb/privat