Unsere Autorin Deborah schreibt ihrer Mama zum Muttertag einen Brief.
An meine Mutter: ein Liebesbrief
Liebe Mama,
der Muttertag steht für viele Menschen für das kapitalistische Wettrennen der Karten- und Blumenindustrie. Mich erinnert Muttertag an frühe Morgen, an denen Papa mit uns Kindern ein großes Frühstück zauberte, um Dich zu überraschen. Wir kauften Blumen, rührten Quark an und schnitten Erdbeeren. Einer kümmerte sich immer um frische Brötchen und ganz zum Schluss wurden die Eier in die Pfanne gehauen. Irgendwann begann ich dann, Dir „Verwöhn-Gutscheine“ zu schenken: Du durftest dir einen Tag lang alles wünschen, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Du hast sie nie eingelöst, weil Du nicht wolltest, dass ich mich so abrackere.
Heute ist das alles bisschen anders. Wir Kinder sind in Städten verstreut. Die Zeit der selbstgebastelten Gutscheine ist vorbei. Meine Liebe gibt es jetzt in Form von Worten. Ich bin zu weit weg, um Dir morgens wieder Quark mit Erdbeeren ans Bett zu bringen. Wenn das, was ich mache – mich vor dem Studium drücken, meinen Kalender mit sinnvollem und weniger sinnvollem Krams vollballern und so gar keinen 5-Jahres-Plan haben – nicht klappt, wenn das mit dem Schreiben nicht läuft und wenn ich generell eigentlich lieber alles hinschmeißen und mich irgendwo verkriechen will, dann bist Du die, die mich daran erinnert, dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur will. Und dass ich doch jetzt nicht einfach so aufgeben kann.
Als Kind hatte ich einen sehr starken Willen. Das höre ich, seit ich denken kann. Von anderen gab es eigentlich nur zwei Reaktionen darauf. Eine war, es kommentarlos hinzunehmen. Die andere war, meine Mitmenschen zu einer ganz besonderen Strenge anzuhalten. Du warst eine der wenigen, die mir gesagt haben, dass mein starker Wille nichts Schlechtes sei, solange ich für das Richtige kämpfe.
Als ich das erste Mal meine Tage bekam, wolltest Du das mit mir feiern. Ich fand das unfassbar peinlich und wollte auf gar keinen Fall meine Menstruation zum Mittelpunkt eines Abends im Restaurant machen. Trotzdem war das der Beginn einer langen Reise, meinen Körper lieben zu lernen. Was für mich früher unvorstellbar war, heißt jetzt, Weiblichkeit zu feiern. Dieses Dinner könnten wir eigentlich nachholen, finde ich. Ich würde meinem früheren Ich zeigen, wo der Hammer hängt. Oder halt die Menstruationstasse.
Ein paar Monate nach dem Abitur bin ich ausgezogen. Auch wenn ich immer darüber scherzte, dass Du das sicher kaum erwarten kannst, weil dann alles viel sauberer sein würde, ihr mehr Platz und endlich wieder kinderfreie Zeit hättet, wusste ich immer, dass Du mich sehr vermissen würdest. Und umgekehrt.
Erst vor einigen Jahren begann ich zu verstehen, wie viel Du früher und heute für mich getan hast und wie sehr Du Dich selbst für mich aufgegeben hast. In meinen Erinnerungen bist Du diejenige, die an meinem Bettrand sitzt, die mit ihrer Hand über meine Stirn streicht, die mir die Haare aus dem Gesicht hält und die in Wartezimmern neben mir wartet, oft stundenlang. Dass Du dafür Zeit geopfert hast, die Du viel spaßiger mit deinen Freundinnen hättest verbringen können, das war mir damals nicht bewusst. Einmal habe ich ein kleines Kuscheltier von Dir bekommen, als Belohnung weil ich beim Arzt so tapfer war. Ein gestreifter Tiger.
Jetzt fühle ich mich nicht mehr schlecht, wenn mir jemand sagt, ich habe einen „starken Willen“. Ich versuche stolz darauf zu sein – wie ein Tiger.
Früher konnte ich auch nie verstehen, wenn Du sagtest, dass Liebe täglich wachsen kann. Seit der Grundschule ließen sich Eltern meiner Freunde scheiden. Irgendwer meiner Freunde hatte immer Streit, nicht selten war auch ich dabei. Es müsste doch der Tag kommen, an dem man den anderen kennt und so gar keine Lust mehr auf ihn hat, dachte ich. Aber Mutterliebe ist vielleicht die allerschönste Liebe. Sie beweist, dass es Wahres und Ewiges gibt.
Deine Debbie
Autorin: Deborah Schmitt
Bild: Matt Hoffman