Seit mehr als 30 Jahren kooperiert der österreichische Modedesigner Andreas Kronthaler mit der britischen Punk- und Fashion-Ikone Vivienne Westwood, mit der er seit 1992 auch verheiratet ist. Mit seinen Arbeiten will er zeigen, was Macht und Kontrolle auch bedeuten können. Und warum mehrdimensionale Liebe die Welt retten kann.
Liebesmacht: Andreas Kronthaler
„Liebe Vivienne, Gott, wie lange wir uns nun schon kennen. Hiermit möchte ich dir Ehre erweisen als meine Kollaborateurin, meine Freundin und Partnerin, meine Lehrerin und natürlich auch als meine Muse. Als ich mich vor Kurzem lange und gründlich selbst betrachtete, fühlte es sich an, als würde ich dich anschauen – wie viel du mir bedeutest.“ Schon die ersten Worte des Liebesbriefs, den Andreas Kronthaler – mit schwarzer Tinte und in Großbuchstaben – an seine Frau Vivienne Westwood lösen Gänsehaut aus. Ein ehrlicher, ein purer Moment. Der Brief endet mit einer Liebeserklärung, die man kaum schöner formulieren kann: „Deine Mantras sind Teil meines Lebens und meiner Arbeit geworden. Bis heute finde ich, dass du die bestangezogenste Frau in jedem Raum bist. Ich liebe dich für immer, Andreas.“
Den Gästen seiner Kronthaler-for-Vivienne-Westwood-Show im sonnendurchfluteten Pariser Pavillon Ledoyen legt Kronthaler Kopien des Briefes auf die Sitze. Es ist definitiv eines der Highlights der Pariser Fashion Week im März des vergangenen Jahres. Der Raum ist voll ansteckender Energie, voller Liebe und Ehrfurcht, Respekt und Dankbarkeit. In der Front Row sitzt die südafrikanische Rap-Rave Band Die Antwoord und posiert für die Fotografen. Selfies folgen. Doch selbst dieses Szenarium fühlt sich authentisch an, beinahe unaufgeregt. Keine nervigen Starallüren im Publikum. Die Show beginnt. Goth-Raver tanzen an den Seiten des Raumes. Nachher werden Kronthaler und Westwood heftig kritisiert werden. Sie haben für ihre Kollektion Motive von Rottingdean-Bazaar-T-Shirts kopiert.
Es ist kein Geheimnis, dass hinter jedem großen Mann eine Frau steht. Weder Alfred Hitchcock noch Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy oder Nelson Mandela, Barack Obama oder Gandhi hätte ohne ihre Ehefrauen Karrieren gemacht hätten. Dass umgekehrt hinter einer erfolgreichen Frau ein starker und intelligenter Mann stehen kann, ist vielleicht nicht seltener, aber weniger bekannt. Im Schatten eines großen Talents zu stehen, befreit von jeglichen Egoproblemen. Man ist dankbar für das, was man lernt. Ein Zusammenwachsen ist nicht einfach, wenn Arbeit, Alltag und Liebesbeziehung aufeinandertreffen. Kronthaler und Westwood gehen seit nunmehr 31 Jahren damit um, als sei es die einfachste und unkomplizierteste Konstellation auf dem Planeten. Was die beiden ganz klar verbindet, ist ihre grenzenlose Leidenschaft für ihre Arbeit. Dazu kommen Intelligenz, Vertrauen und Respekt.
Als sich die beiden 1988 in Wien während Westwoods Lehrauftrag an der Universität für Angewandte Kunst kennenlernen, entdeckt die britische, damals 47-jährige Modeikone das Talent des 22-jährigen Modestudenten. Kronthaler begleitet sie nach London. In Interviews sagt er später immer wieder, es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er schläft anfangs in ihrem Atelier unter einem Kunstpelz, den er sich jeden Abend ausrollt. Sein Körper ist zerstochen von Flohbissen, doch das interessiert ihn wenig. Er lebt seinen Traum. Westwood und ihre Arbeit geben ihm soviel Inspiration, alles andere verliert an Relevanz. Nach Wien geht er nicht mehr zurück. Die beiden heiraten 1992, obwohl Westwood eigentlich vom Konzept Ehe nicht allzuviel hält. Neben ihrer Liebe zu ihm gibt es aber auch praktische Überlegungen, etwa die britischen Visa-Gesetze betreffend.
Das frischgebackene Ehepaar könnte unterschiedlicher kaum sein. Sie ist eine leidenschaftliche Rebellin, eine laute, eigentümliche Visionärin, eine einzigartige Ikone in der Mode, die mit ihrem ehemaligen Lebenspartner Malcolm McLaren, dem Manager der Sex Pistols, den Punk zumindest miterfunden hat. Ihr Kampf gegen das Establishment zeitigt unvergessliche Momente in der Modegeschichte. Sie liebt den aufreibenden Austausch und ehrliche Kommunikation, hat vor nichts und niemandem Angst. Sie weiß genau, was sie will und wo es lang geht. Keiner personifiziert den Begriff Macht besser als Vivienne Westwood.
Andreas Kronthaler ist dagegen ein stiller, wenn auch smarter Schöngeist, ein selbstkritischer Perfektionist, als Designer passioniert, doch beinahe verträumt. Kommunikation ist nicht seine Stärke, er neigt dazu, ängstlich, schüchtern und introvertiert zu sein. Um ihn zu verstehen, muss man ein guter Beobachter sein.
Die unzertrennliche, mehrdimensionale Liebe, die einer Seelenverwandtschaft gleichkommt, interessiert sich nicht für die 25 Jahre Altersunterschied zwischen den beiden. Ihre Beziehung ist so liberal und angstbefreit, so authentisch und loyal, dass sie im Grunde genommen die purste Form von Macht darstellt. Macht als die Kraft und kreative Fantasie, die befähigt, rebellisch und einzigartig zu sein. Diese Macht bedeutet auch, unangreifbar zu sein. Die perfekte Symbiose einer Liebes- und Arbeitsbeziehung beginnt mit der richtigen Einstellung und dem richtigen Blick aufs Leben. Westwood –mittlerweile mehr die Dame als Enfant terrible, schaut kritisch auf die Gesellschaft, engagiert sich. Das Interesse am finanziellen Gewinn ihrer Firma steht nicht im Vordergrund, wie man in der aktuellen Lorna-Tucker-Dokumentation Westwood: Punk. Icon. Activist erfährt. Kronthaler dagegen schaut eher ruhig und ganz positivistisch aufs Leben. Seine Mode ist weder politisch noch provokant. Sein verträumter Blick auf das Schöne im Leben wurde ihm vom Elternhaus im Zittertal mitgegeben. Kronthalers Vater ist Kunstschmied, seine Mutter Antiquitätenhändlerin. Klimt-Poster zieren die Wände seines Kinderzimmers. Inspiration findet er im Geschäft seiner Mutter. Bis heute faszinieren ihn historische Referenzen in der Mode, eine Leidenschaft, die er mit Westwood teilt.
Kronthaler begleitet Westwood jahrelang, beeinflusst und prägt dabei das Label maßgeblich. Loyaler, gegenseitiger Support löst Machtverhältnisse auf. Mittlerweile ist Krontahler nicht nur Kreativdirektor der Firma, sondern verantwortet auch offiziell die Hauptkollektion, die Westwood 2016 zu Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood umbenennt. Westwood erkennt den Moment, sich zurückzuziehen. Da ist sie 75 Jahre alt. Kronthaler hat ausreichend Erfahrung, Selbstbewusstsein und Mut gesammelt, um aus ihrem Schatten zu treten: „Vivienne war meine Lehrerin. Alles, was ich gelernt habe, habe ich von ihr. Dieses Herzstück wird man deshalb auch immer in meiner Arbeit entdecken“, gesteht er im Interview. Er ist das erste männliche „Fräulein“ auf dem Cover unseres Magazins, denn er zeigt, dass es im Endeffekt nicht das Geschlecht ist, das für gesellschaftliche Bedeutung von Relevanz ist, sondern eine Grundeinstellung, ein Mind-Set.
Was Mode für eine Funktion haben sollte? „Auf diese Frage antworte ich in einer sehr Berliner Art: Image. Ganz frei nach Marlene Dietrich: Ich kleide mich für mein Image. Nicht für mich selbst, nicht für die Öffentlichkeit, nicht für die Mode, noch für die Männer.“, so Kronthaler im Gespräch mit Fräulein. „Ich finde es schwer, über mich und meine Arbeit zu sprechen – viele Menschen sind da sehr viel besser als ich, ein gutes Beispiel: Vivienne. Sie ist eine Aktivistin, ihre Mode spiegelt das sehr gut wieder. Generell denke ich, dass jede Kollektion einen neuen Blickwinkel bieten sollte. Während mein männliches Auge dazu tendiert, ein Bild zu stilisieren, kann ein weibliches Auge (Vivienne) viel bodenständiger und pragmatischer sein.“
Nach Kronthaler muss die Rolle und Funktion der Mode in unserer schnell konsumierenden, übersättigten Gesellschaft zwangsläufig neu und kritisch betrachtet werden. Vivienne Westwood hat hier als eine der Ersten revolutionäre Ansätze – und entsprechende Statements – geliefert. Nicht nur, was den Verzicht auf Pelz und Leder angeht, sondern auch durch ihre Öffentlichkeitsarbeit. Nach Exkursionen mit Greenpeace rasiert sie sich 2014 eine Glatze, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Ihrem Lifestyle ist sie treu geblieben. Bis heute fährt sie fast täglich mit dem Fahrrad.
Kronthaler, dessen Design-Ansatz kaum politische Statements enthält, ist allerdings ebenfalls von der Wichtigkeit überzeugt, seine Stimme zu erheben. „Mode kann in der Übergangsphase, in der wir gerade leben, eine sehr positive Rolle spielen. Den richtigen Weg zu finden ist unsere größte Herausforderung. Jeder Wandel ist schwierig, er beginnt nämlich mit einem selbst. Nun ist unsere Gesellschaft mit so vielen Problemen gleichzeitig konfrontiert, dass es essenziell wird, sich diesen zu stellen, sie sich individuell und in der Gruppe anzuschauen. Es hilft nicht, seinen Kopf in den Sand zu stecken, das hat noch nie geholfen. Auch die Mode ist dem Wandel und vielen Problemen ausgesetzt, alte Machtverhältnisse lösen sich langsam auf.“ Wie diese alten Machtverhältnisse aussehen? „Früher definierte sich Macht in der Mode dadurch, wie viele Shops du weltweit hattest. Heute wird diese Zahl vielleicht durch die Instagram-Follower einer Brand ersetzt, aber auch das wird sich ändern. Vielleicht sind eines Tages die mächtigsten diejenigen, die am nachhaltigsten sind. Hoffen wir es.“ Die größte Herausforderung bleibt, so Kronthaler, die Design- und Business-Seite des Geschäftes ökologisch zusammenzuführen, nachhaltig zu sein, auch wenn es schwierig ist und nicht gerade in der Natur der Modeindustrie liegt. Kronthalers Antwort auf die Frage, was Macht für ihn persönlich bedeutet: „Macht hat viel mit Kontrolle zu tun, vor allem Selbstkontrolle. Wenn du die verlierst, kann es passieren, dass du dich machtlos fühlst. Besitzt du hingegen Selbstkontrolle, weißt du, wann du handeln musst und wann du es lassen solltest.“
Die Inspiration für seine Kollektionen findet der österreichische Modedesigner in seinem persönlichen Umfeld – bei Freunden, Mitarbeitern oder sogar Fremden auf der Straße. Die Arbeit an einer Westwood-Kollektion beginnt im Studio, mit Skizzen oder Bildern, die eine gewisse Idee vermitteln. Dann beginnt das Experimentieren nach dem Trial-and-Error-Prinzip. „Was man sich in der Fantasie vorstellt, sieht ausgefertigt oft ganz anders aus. Es gibt in jeder Kollektion Teile, für die man Elemente aus früheren Kollektionen verwendet oder auf jenen aufbaut“, erklärt der Österreicher. Wichtig sei es, eine Basis zu haben um von dort aus weiterzugehen, wo auch immer es hinführt. „Die größte Herausforderung ist es, eine Kollektion am Ende zusammenzubringen, das ist harte Arbeit.“
Fotos: Dexter Lander