Anlässlich der Erscheinung ihres neuen Buches sprach Fräulein mit den drei Modeaktivistinnen der Community-Plattform Fashion Changers.
In den letzen Wochen hat die Natur uns nicht nur gezeigt, wie verantwortungslos wir mit unserem Planeten umgehen, sie hat uns auch gezeigt, wie schnell sich dieser während unserer Pause erholt. Und fast könne man meinen, dass die aufgeklärten Kanäle in Venedig und die Satellitenbilder von China nun die letzen Individuen abgeholt hat, die ihre Augen verschließen vor dem Klimawandel. Doch nur wenige Tage nach den ersten Lockerungen scheint alles vergessen, was in den letzten Wochen passiert ist. Gerade deshalb nutzen wir den Moment um über Nachhaltigkeit und Mode zu sprechen und zwar mit den perfekten Gesprächspartnerinnen: die drei in Berlin lebenden Autorinnen Jana Braumüller, Nina Lorenzen und Vreni Jäckle setzen sich schon lange für eine gerechtere und inklusive Modeindustrie ein. 2017 gründen die Autorinnen das Fair Fashion Kollektiv Fashion Changers um faire Mode und soziale Verantwortung zu diskutieren und um andere in ihrer Stimme zu stärken. Sie engagieren sich für mehr Gerechtigkeit und Austausch nicht nur online sondern auch offline. Regelmäßig kreieren sie sowohl ästhetisch als auch inhaltlich inspirierenden Content, veranstalten eigene Events und Panel-Talks. Jetzt ist ihr erstes Buch im Knesebeck Verlag erschienen: „Fashion Changers – Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern“ ist eine einzigartige Inspirationsquelle und ein hilfreicher Ratgeber auf 256 Seiten. Der Guide bespricht, was faire Mode wirklich bedeutet, wo man sie auch für wenig Budget findet, auf welche Siegel zu achten ist, stellt interessante faire Brands vor und beinhaltet einen ausführlichen Lable-Guide.
Aufgrund der Corona-Krise mussten die Autorinnen zwar bedauerlicherweise ihre Buchpremiere absagen, dafür aber nahmen sie sich Zeit, mit Fräulein über ihr neues Werk und nachhaltige Themen vor, während und nach COVID-19 zu diskutieren. Wie Fair Fashion und Feminismus zusammenpassen, was Greenwashing bedeutet und welche Herausforderungen ihre größten sind.
“Alles, was wir der Umwelt antun, das tun wir auch Menschen an.”
Fräulein: Verratet uns wie ihr zu dem Thema Nachhaltigkeit gekommen seid.
Jana Braumüller: Ich komme aus einem politischen Haushalt. Mein Vater war ein Teil der bewussten 60er/ 70er Jahre Generation, ich bin mit Grünkern und Schrot aufgewachsen. Als ich dann begann, selber reflektiver zu werden, habe ich mich sehr viel mit feministischen Themen beschäftigt. Auch habe ich ein feministisches Online Magazin geführt, mit dem ich eine Verknüpfung zum Thema Mode hergestellt habe. Ich konnte einfach nicht mit mir vereinbaren, für Frauenrechte in Deutschland einzustehen und gleichzeitig Fast Fashion zu kaufen. So bin ich zu dem Thema faire und nachhaltige Mode gekommen.
Nina Lorenzen: Ich bin in einem relativ unpolitischen und unnachhaltigem Haushalt aufgewachsen, in dem wir aus finanziellen Gründen sehr viel Secondhand getragen haben. Als ich dann mein erstes Taschengeld hatte, wollte ich erstmal alles neu kaufen. Damit ich möglichst viel bekam, sollte es auch möglichst billig sein. Ich bin eigentlich durch Zufall beruflich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Mode in Berührung gekommen. Ich sollte redaktionell ein Projekt betreuen, was Mode thematisierte. Für Modegeschichte habe ich mich auch immer interessiert. So habe ich dann zum ersten Mal erfahren, wie viel in der Modeindustrie verschwendet wird und wie dort die Situation mit Arbeitsrechten aussieht. Ich habe mich also dem Thema daraufhin genähert und das Ganze in einem Blog umgesetzt. Der hat sich ausschließlich mit fairer Mode beschäftigt. Alles andere kam dann erst danach.
Vreni Jäckle: Ich habe das Gefühl, die uninteressanteste Geschichte zu erzählen. Schon immer habe ich sehr viel Second Hand und Vintage getragen. Nicht, weil ich musste, sondern weil ich irgendwie cooler sein wollte als die anderen. So habe ich dann extra große Männer-Lederjacken gekauft um individueller auszusehen als die anderen, die immer nur zu H&M liefen. Darüber habe ich dann auch angefangen zu schreiben und zu bloggen. Ich stellte fest, dass faire Mode und Vintage Mode super zusammen passen. Ich war immer in Vintage Klamotten so verliebt, weil sie so viel besser verarbeitet waren. Dadurch begann ich nachzudenken, wie Mode sonst so produziert wird und bin dann zur fairen Mode gekommen.
Wir drei waren damals also alle online unterwegs und haben geschrieben. Auf einem Event haben wir uns dann kennengelernt. Wir fanden, dass alle nachhaltigen Blogs auch mal zusammen kommen sollten, um sich kennenzulernen. Danach haben wir angefangen, Events zu organisieren. Daraus ist dann irgendwann unsere Plattform Fashion Changers entstanden.
FR: Was war oder ist eure größter Herausforderung auf eurem Weg?
JB: Die größte Herausforderung stellt der politische Bereich dar. Niemand von uns kommt aus einem professionell politischen Background. Wir haben gemerkt, dass es nicht nur wichtig ist, auf der Straße zu stehen, sondern dass man ebenso mit Menschen aus der Politik sprechen muss. Ich glaube, es ist die größte Herausforderung zu schauen, wen man genau anspricht, wer für welches Thema relevant ist und wie man etwas pushen kann, ohne sich dabei selbst zu verraten.
Wir haben einen Modeaktivismus-Stammtisch, bei dem viele verschiedene Menschen sich diesen Herausforderungen widmen und nach Lösungen suchen.
NL: Ansonsten gibt es natürlich jeden Tag kleine Herausforderungen, weil wir eben Dinge tun, die wir vorher noch nicht gemacht haben. Wenn wir uns etwas Neues ausdenken, wissen wir ja auch nicht, ob es funktioniert. Dadurch, dass wir zu dritt sind, erscheint das aber alles viel machbarer. Auch die aktuelle Lage gerade ist natürlich speziell eine extreme Herausforderung. Wir haben viele Events für dieses Jahr geplant. Die Qualität, die man offline hat, kann man online nicht 1:1 reproduzieren. Das sind andere Energien und Kräfte. Die Community ist so wichtig, um das Thema größer zu machen.
VJ: Herausfordernd ist für uns natürlich auch das Finanzielle. Viele Sachen machen wir ja nicht, weil wir denken damit besonders viel Geld zu verdienen, sondern weil wir überzeugt davon sind, dass die Dinge richtig und wichtig sind und wir aufklären wollen. Da taucht bei uns natürlich immer wieder die Frage auf, mit welchem Geld wir am Ende des Monats die Miete zahlt.
Fräulein: Wie kam es dazu, dass ihr euer erstes Buch veröffentlicht habt?
NL: Da haben wir eine ganz unromantische Story parat. Wir haben einfach eine Email von unserem Verlag bekommen, ob wir uns vorstellen könnten, einen Fair Fashion Guide zu schreiben. Das konnten wir natürlich sofort, aber wir haben auch direkt gesagt, dass es eben mehr sein muss als ein „Wie stell ich meinen Kleiderschrank auf nachhaltig und fair um?“, sondern dass wir an Positiv-Beispielen zeigen, wie eine bessere Modewelt aussehen könnte.
JB: Ich möchte hier noch kurz einhaken. Man merkt bestimmt, dass bei uns bestimmte Themen immer schnell sehr groß werden. So war es auch bei dem Buch. Uns war wichtig über verschiedene Dimensionen zu sprechen. Das wirkt vielleicht im ersten Moment einschüchternd, aber es geht uns nicht um Perfektion, im Gegenteil. Wir wollen einfach möglichst viel Wissen verbreiten. Wir merken sogar in unserer Branche, dass einige Themen nicht präsent sind. Wir besprechen nicht nur Nachhaltigkeit, sondern auch Themen wie Diversität oder Inklusion. Je mehr solche Themen vorhanden sind, desto eher können Verknüpfungen gemacht werden, um neue Dinge entstehen zu lassen. Uns geht es nicht darum, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen. Unsere Devise ist „Wissen ist Macht“. Egal welchen Background wir alle haben, wir sind mehr als nur Kunden und Konsumenten.
NL: Und Mode darf natürlich auch nach wie vor Spaß machen (lacht). Wir sind eigentlich sehr lustig und haben trotz aller Ernsthaftigkeit auch Spaß an der Mode.
FR: Glaubt ihr, dass die COVID-19 Pandemie eine Chance ist, dass sich mehr Menschen mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?
JB: Wir glauben, dass das gerade eher ein romantisiertes Bild ist. Ich habe dazu vor einigen Tagen einen Artikel verfasst, der eher in die entgegengesetzte Richtung tendiert. Wir denken, dass es einige Wenige gibt, die jetzt vielleicht über ihren Lebensstil nachdenken und vereinzelnd weniger konsumieren. Aber viele von uns strugglen gerade sowohl wirtschaftlich als auch persönlich. Eigentlich ist also viel weniger Luft da, um sich mit Nachhaltigkeitsthemen zu beschäftigen. Es gibt viel weniger Raum im Politischen. Das führt dazu, dass es für die Branche eher schwieriger werden könnte, weil ja nicht nur die einzelnen Konsumenten gebraucht werden, um Nachhaltigkeit und Klimapolitik voranzubringen. Wir brauchen die Politik, wir brauchen die Wirtschaft. Genau diese beiden Treiber sind jetzt erst einmal ausgebremst. Wenn die ganze Pause vorüber ist, wird es darum gehen, die ganze Wirtschaft zu pushen und Profite zu sichern, anstatt sich um die Umwelt zu kümmern.
VJ: Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass es gerade in der Modebranche jetzt mehr Awareness gibt. Nicht unbedingt so stark bei den Konsumenten, sondern vielleicht auch bei den Unternehmen und Brands. Man ist jetzt wieder sensibilisiert um zu schauen, wie komplex eine Lieferkette wirklich ist. Den krassen Struggle, unter dem Unternehmen in der Krise leiden, könnte man für die Zukunft nutzen.
NL: Ich denke auch, dass die Chance dieser Krise ist, dass die systemischen Probleme wie z.B. die Transparenz der Lieferketten oder unternehmerische Verantwortung durch die Coronakrise sichtbar gemacht werden. Beispielsweise indem Medien darüber berichten, dass Großunternehmen ihre Aufträge stornieren oder Milliarden Dollar einfach gecancelt werden. 58% der Fabriken in Bangladesh werden geschlossen. Das wird jetzt sichtbar gemacht und so überlegt man, wie man die Modezyklen in Zukunft eventuell anders gestalten könnte.
FR: Ist es auf Dauer die effektivste Lösung, einen extremen Einfluss auf die Umwelt zu haben, indem wir solche Shutdowns praktizieren?
NL: Ich finde, dass Nachhaltigkeit nicht Wirtschaftlichkeit ausschließen muss. Es soll eigentlich darum gehen, dass Unternehmen wirtschaftlich und profitabel im Sinne des Gemeinwohls arbeiten können. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Unternehmen so ressourcen-schonend wie möglich arbeitet und die Menschen respektiert. Ich glaube nicht, dass ein Lockdown der einzige Weg ist, dies zu fördern.
VJ: Der Lockdown, wie er jetzt passiert ist, stellt eine Notmaßnahme dar. Man muss sagen, dass durch diesen Lockdown auch die Menschen als erstes gelitten haben, die sonst eh schon in den schwächeren Positionen sind. Ich weiß nicht, ob ein Lockdown für die Umwelt der richtige Weg wäre, sonder eher eine Lösung, bei dem nicht vorrangig die Schwächsten der Lieferkette leiden. Der Baumwollpreis ist extrem runtergegangen. Menschen in Textilfabriken sind stark betroffen, weil sie in Massen entlassen werden. Das sind die Leute, die gerade zum Beispiel in der Modeindustrie am meisten leiden.
JB: Gerade bei unserer politischen Arbeit adressieren wir durchaus die Reduktion. Das bedeutet aber nicht, dass ein Lockdown nötig ist. Allerdings sollte wir schauen, wie man in Zukunft wirtschaften kann, damit Ressourcen geschont werden und Menschen so geachtet werden, wie wir es bereits in Deutschland für normal halten. Wir adressieren die Politik um zu betonen, wie wichtig es ist, Gesetze zu erlassen um Unternehmen in Deutschland auch zu verpflichten, Verantwortung in anderen Ländern wie Bangladesh zu übernehmen. Wir können Kleidung unter ethischen Bedingungen produzieren und gleichzeitig in den selben Ländern bleiben. Man könnte das Gehalt an den Mindestlohn anpassen und es würde sich weder für Firma noch Konsument wahnsinnig viel ändern. Alle würden entlang der Wertschöpfungskette profitieren. Man braucht keinen Lockdown, aber einen Rahmen.
FR: In eurem Buch schreibt ihr zum Thema Ultrafast-Fashion, dass Online Händler wöchentlich bis zu 4500 Kleidungsstücke auf den Markt bringen und es von Design bis Handel nur 2-4 Wochen dauert. Muss so etwas nicht sofort politisch verboten werden? Ist das nicht der erste Schritt anstatt zu fordern, dass Unternehmen die Verantwortung tragen müssen?
JB: Genau darum geht es. Dass man durch bestimmte Gesetze, die zum Beispiel zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht verpflichten, einen Rahmen bietet, damit Unternehmen eben gar nicht mehr diese Schnelligkeit fahren müssen, um Gewinne zu erzielen. Ultra Fast Fashion ist nicht entstanden, weil die Konsumenten so viel kaufen wollen, sondern es sind die Unternehmen, die es immer weiter pushen und ausreizen, um ihre Gewinne zu erhöhen. Natürlich ist es legitim Gewinne zu machen. Das ist eben das Wirtschaftssystem, indem wir leben. Keiner sagt, wir müssen wieder zurück zu kommunistischen Strukturen. Das wäre eine völlige Fehleinschätzung. Es geht aber darum, in Produktionszyklen zu produzieren, die ressourcen-technisch Sinn machen. Ich glaube, wenn die Wertigkeit zu einem Kleidungsstück zurückkommt, könnten die Unternehmen trotzdem zu ihren Gunsten wirtschaften, aber gleichzeitig die Schnelligkeit rausnehmen und Verantwortung übernehmen.
NL: Das Krasse bei Ultra Fast Fashion ist, dass die Schnelligkeit ja nur möglich ist, weil die Lieferkette verkürzt wird. Sehr viele Subunternehmen werden rausgeschnitten. Kürzere Lieferketten hören sich im ersten Moment cool und lokal an, gerade in der Corona-Krise. Der Umkehrschluss dazu sollte aber nicht sein, dass man dadurch immer mehr produzieren kann. Kürzere Lieferketten sollten sich nicht auf die Quantität in der Produktion auswirken.
VJ: Es gibt auch den wie ich finde sehr sinnvollen Ansatz der Gemeinbundökonomie. Dieser zeigt, wie es aussehen kann, wenn man Unternehmen nicht nach reinem Profit ausrichtet, sondern nach dem Allgemeinwohl. Da wird dann Diverses in Handbüchern bewertet. Wie viel gibst du? Wie viel nimmst du? Und was schafft das für einen Mehrwert für die Gesellschaft? Ein Unternehmen, welches zum Beispiel Alkohol oder Fast Fashion produziert, würde demnach niedriger bewertet werden, weil es für das Allgemeinwohl nicht wichtig ist. Leider machen das sehr wenige Unternehmen, aber es ist interessant zu sehen, wie es aussehen könnte. Ein Unternehmen kann sich so umstrukturieren und stärker der Gemeinwohl-Ökonomie entsprechen.
FR: Gab es Unternehmen, welche euch durch den Betrieb von Greenwashing – der Nachhaltigkeit als PR Maßnahme – überrascht haben?
NL: Nicht wirklich. Wenn man solange in der Industrie arbeitet, wird das alles ziemlich eindeutig, der Überraschungsfaktor bleibt da aus. Die Menschen, mit denen wir uns getroffen haben, betreiben auf jeden Fall kein Greenwashing. Ich persönlich bin nicht überrascht, wenn ich solche Unternehmen sehe. Ich wundere mich bloß immer, dass es so gut funktioniert.
JB: Ich bin eigentlich nicht überrascht, dass es funktioniert. Ich finde es eigentlich ganz logisch, dass es funktioniert. Natürlich ist es so, dass heutzutage kaum jemand an Buzzwords wie Nachhaltigkeit oder Green Fahion vorbeikommt. Das ist ja in aller Munde. Ich glaube, wenn du ein bisschen das Gefühl hast, dass irgendwas nicht ganz in Ordnung sein kann und es dir auch schwer fällt, komplett auf faire Kleidung umzustellen, kommen grüne Kampagnen von großen Lieblingsmarken zu Gute. Man kann so erst einmal sein Gewissen etwas beruhigen. Als ich mit fairer Mode angefangen habe, war ich ganz glücklich, dass das große schwedische Label Bio-Baumwolle anbietet. Das war ja schon mal besser als alles andere.
Ich finde es etwas traurig, dass Unternehmen dieses Vertrauen der Verbraucher ausnutzen. Man setzt schließlich ein Vertrauen in Unternehmen und in das, was ihre Botschaft ist. Da wird einfach viel mit den Verbrauchern gespielt und in unseren Augen ist das eine Verbrauchertäuschung.
NL: Man nutzt eben den Umstand aus, dass Verbaucher*innen keine Experten*innen sind und arbeitet mit Worthülsen. Man manipuliert dahingehend, dass man dann auch noch das meiste Geld in die Marketingkampagnen steckt. Daher kann ich schon verstehen, dass man darauf reinfällt, aber es bedeutet auch zeitgleich, dass wir uns als Konsument*innen damit zufrieden geben, Gefühle zu kaufen.
VJ: Was mich ehrlich gesagt immer überrascht und ich auf eine traurige Weise irgendwie lustig finde, ist, dass der Verbraucherschutz z.B. darüber diskutiert, ob man einen veganen Käse auch Käse nennen darf. Aber wenn bei einer Fast Fashion Kette eine Kollektion vermeintlich „Grün“ ist und sich als „Ethische Mode“ oder „Responsible oder Conscious Fashion“ labelt, diskutiert keiner darüber. Das überrascht mich total. Warum werden Worthülsen in anderen Bereichen gar nicht überprüft? Warum wird nicht festgelegt, wann man Lables „Conscious oder Responsible Fashion“ benutzen darf? Es kann nicht sein, dass es reicht, wenn in einem Kleidungsstück ein bisschen recyceltes Polyester enthalten ist.
FR: Glaubt ihr dass die Bedrohung der Fast Fashion wirklich angekommen ist, besonders bei der jüngeren Generation?
VJ: Ich muss sagen, dass alle Menschen von Fridays For Future, besonders auch die jüngeren, mit denen ich gesprochen habe, super „aware“ waren und ein großer Teil sich mit Second Hand eingekleidet habt.
NL: Ich denke, es kommt stark auf die Stadt drauf an. Klar sieht man auch viele Sneaker von gewissen großen Sportunternehmen, aber warum sollte man das auch nicht. Diese Marken sind die größten Sportunternehmen der Welt. Das zeigt einfach, dass das ein Lifestyle ist, den sich alle kaufen. Aber ich finde die Diskussion geht in die falsche Richtung, wenn man den Aktivismus infrage stellt, weil jemand nicht Fair Fashion trägt oder weil jemand dafür von A nach B geflogen ist. In dem Moment geht es darum, dass die Verantwortung als mündige(r) Bürger*innen wahrgenommen wird und sich aus dieser Passivität quasi lossagt, man für Dinge einsteht, die nicht funktionieren. Mir persönlich ist es dann auch egal, was für einen Sneaker die Person trägt, weil wir sonst wieder in die Schiene rutschen, dass es die Verantwortung der Konsument*innen ist, dieses kaputte System heile zu machen. Aber darum geht es nicht. Wir müssen Unternehmen dazu bringen, dass wir nicht mehr die Wahl haben, unethische und unökologische Produkte zu kaufen. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, darauf aufmerksam zu machen.
JB: Man muss dazu auch sagen, dass es die Umweltschutz-Bewegung ja auch nicht erst seit Fridays For Future gibt, sondern seit vielen, vielen Jahren. Sie hat jetzt nur einen guten Aufschub bekommen. Trotzdem wurde das Modethema zumindest in der Klimaschutz-Bewegung bisland nicht groß thematisiert. Deshalb haben wir uns auf die Frage, wie unsere politische Arbeit aussehen soll, überlegt, dass es wichtig ist, diese Themen stärker zu verknüpfen. Auch Themen, die sich randläufig an der Klimaschutzdebatte bewegen, damit man einen größeren Output hat und auch die Komplexität sieht. Die Energiewände ist z.B. ein Stichwort, das immer fällt, alle sprechen über Kohle. Das ist greifbar in Deutschland, aber noch viel unmittelbarer ist die Kleidung, die wir jeden Tag an uns tragen. Da die Verknüpfung zu machen, was sie eigentlich für klimaschädlichen Einfluss hat, ist uns besonders wichtig. Das Thema wird immer stärker, dass haben wir besonders am Anfang unserer Arbeit gemerkt. In der aktivistischen Bewegung um Fair Fashion war es bislang immer so, dass es stark um Menschenrechte ging, was sehr sehr wichtig ist. Die beiden Themen zusammenzubringen ist extrem wertvoll, weil es nicht mehr nur um Klimaschutz sondern um Gerechtigkeit geht. Da schließt sich wieder der Kreis: Alles, was wir der Umwelt antun, das tun wir auch Menschen an.
FR: Ihr setzt in eurem Buch ja auch Nachhaltigkeit in Verbindung mit Feminismus….
VJ: Ja. Mode ist aus ganz verschiedenen Gründen ein super feministisches Thema. Ein Grund ist, dass die überwiegende Anzahl von Textilarbeiterinnen nun mal Frauen sind und es da um ganz viele arbeitsrechtliche, frauenspezifische Themen geht. In der Textilindustrie hat man z.B. mit sexueller Belästigung zu kämpfen. Dort stehen Frauen am Ende der Kette, auf der anderen Seite stehen die männlichen CEO’s der ganzen großen Textilkonzerne. Dieses Bild aufzumachen, ist sehr interessant. Wir sagen immer, dass man Mode nicht unpolitisch verstehen kann und in diesem Sinne auch nicht an feministischen Themen vorbeikommt, weil es so viele Frauen auf dieser Welt betrifft. Es ist oft schwer für diese Frauen, sich da selbst herauszuholen, weil es oftmals keine Gewerkschaften gibt., das Versammlungsrecht übergangen oder verschlagen wird. Oft sind auch schwangere Frauen schlecht bis gar nicht geschützt.
NL: Was wir immer versuchen zu sagen ist, dass es bei Mode immer um Teilhabe gehen muss. Wir reden oft darüber, dass Fashion Fashion uns demokratisiert hat, weil sie eben zugänglicher für alle ist. Aber es geht darum, die komplette Wertschöpfungskette zu betrachten. Wenn du hier ein Girl Power Statement T-Shirt trägst, dann sollte es im besten Falle nicht nur bedeuten, dass du deine Freunde und Kolleginnen feierst, sondern dass du auch nicht die Frauen ausbeutest, die dafür gearbeitet haben, damit du das T-Shirt überhaupt tragen kannst. Wir müssen Mode als Chance sehen, als ein Vehikel für Empowerment. Das ist unser größtes Anliegen mit dem Buch, dass wir all die Menschen portraitieren und damit Beispiele aufzeigen, wie viel Kraft in der Mode steckt, wenn wir sie anders nutzen würden.
JB: Um da noch mal etwas hinzuzufügen: Wir haben generell auch immer dieses sehr eurozentrische Bild, dass wir hier ein T-Shirt kaufen, dort sitzt die arme Frau in der Fabrik. So ist es aber auch nicht. Es gibt sehr viele, vor allem frauengeführte Kooperativen, die wirklich unfassbar tolle textile Arbeit leisten, sei es im Design oder auch im Handwerk. Dort Sichtbarkeit zu schaffen, diese Arbeit global zu schätzen, statt schnell und günstig zu konsumieren, ist extrem wichtig.
VJ: Was wir auch in dem Buch versuchen deutlich zu machen ist, dass Mode in der Hinsicht ein feministisches Thema ist, was Frauen in der Gesellschaft tragen sollen oder dürfen, was nicht so gern gesehen ist, welches Größenspektrum es gib und für welche Menschen überhaupt Mode gemacht wird. In unserem Buch geht es hier auch um Exklusion und Teilhabe. Mode kann hier eine verändernde Kraft haben.
FR: Ihr gibt mit eurem Buch auch einen extrem hilfreichen Guide. Was wären eurer Meinung nach die ersten Schritte, wie ich Nachhaltigkeit in meinem Leben aktiv integriere?
VJ: Nina sagt immer gern, dass man sich anfangs am besten mit seinem Mindset gegenüber Mode beschäftigen sollte. Dass man sich selbst fragt: Wann kaufe ich Kleidung, ist es weil ich Kleidung brauche oder möchte, ist es eine Ersatzhandlung für etwas anderes- manche trinken ein Glas Wein, manche bedienen sich der Fast Fashion, andere wiederum arbeiten viel. Man muss einfach schauen, wie man mit seinem eigenen Modekonsum dasteht, sich fragen, was man alternativ mit seinem Geld und seiner Zeit machen könnte. Passt mein Konsum dazu, was ich für ein Mensch ist? Habe ich das ungefähr richtig gesagt, Nina?
NL: Ja, man muss eine Inventur bei sich selbst machen.
JB: Nicht nur bei sich selbst, sondern auch im Kleiderschrank. Viele von uns haben eigentlich gar keinen Überblick mehr, was sie zuhause so rumhängen haben. Ich finde, es ist ein sehr hilfreicher Tipp, alles aus seinen Schränken einmal rauszuräumen um zu schauen, was man davon wirklich trägt, was eigentlich seinem eigenen Stil entspricht. Durch die Fast Fashion kaufen wir oftmals trend-lastige Teile, die man vielleicht nur einmal trägt. Zu schauen, was man besonders magt, welchen Stil, welche Stoffe etc., hilft, wieder ein neues Gefühl zu Kleidung zu bekommen.
NL: Und wenn man dann etwas Neues braucht, je nach Stil und Geldbeutel, Second hand, Vintage oder bei einem Fair Fashion Store kaufen – in unserem Buch gibt es ja einen hilfreichen Finder. Die Ausrede, dass es nichts gibt, die lassen wir nicht mehr gelten.
Auch gibt es mittlerweile viele Fair Fashion Online Shops, mit einer immer stärker wachsenden Auswahl. Da hat sich in den letzen Jahren so einiges getan.
VJ: Auch wichtig zu betonen ist, dass es in fast jeder Stadt unabhängige Designer*innen gibt, die in ihren Ateliers super tolle Sachen machen. Klar ist da die Frage, ob sie Bio-Stoffe verwenden, trotzdem aber sind das unterstützungswerte Modemacher*innen, mit denen man einen Austausch haben kann. Es ist ja auch total spannend, über bestimmte Kleidungsstücke zu sprechen.
NL: Auch interessant ist das Leihsystem, in unserem Buch sprechen wir über unterschiedliche Anbieter*innen. Alternativ kann man auch den Kleiderschrank des Freundeskreises nutzen – so machen wir das z.B. oft untereinander. Man leiht sich etwas, trägt es eine Weile trägt und gibt es dann wieder zurück – oder auch nicht (lacht).
FR: Ihr stellt in eurem Buch auch konkrete neue Fair Fashion Brands vor. Welchen Ansatz findet ihr persönlich am spannendsten und am innovativsten?
JB: Es gibt zwei sehr spannende Ansätze: der eine wäre Zero Waste. Designer*innen versuchen hierbei, noch ressourcen-schonender zu arbeiten, denn auch im Fair Fashion Bereich ist es so, dass sehr viel Verschnitt anfällt und damit viel Material verloren geht. Wir stellen im Buch auch eine Zero-Waste Designerin vor, Natascha von Hirschhausen aus Berlin. Sie macht ihre Schnitte so, dass sie kaum bis gar keinen Verschnitt hat und wenn, dann nutzt sie ihn, um etwas Neues wie z.B. einen Ohrring zu designen. Natürlich ist hier die Frage, inwiefern das für viele umsetzbar ist.
Der zweite spannende Ansatz sind Kreislaufsysteme, in denen unabhängig von Fairer Mode auch Wirtschaftsexpertinnen sagen, dass diese Ziele darstellen, zu denen wir hinkommen müssen, weil wir zu viel verschwenden und zu wenig in die Kreisläufe zurückführen. Da gibt es im Fair Fashion Bereich bereits viele, die sich darüber Gedanken machen. Viele Unternehmen schauen, wie sie Energie zurückführen können, wie sie ihre Produktion anpassen und verbessern können.
NL: Es gibt viele Unternehmen, die sich diesem Ansatz bedienen. Einer ist, die Rückgabesysteme zu fokussieren, bei anderen geht es um die Kreation neuer Produkte daraus. Die Hauptidee ist, dass du das Designen als ganzeinheitliches System betrachtest. Es geht um die Frage: Wie kann ich mein Kleidungsstück so designen, dass ich alle Fasern am Ende wieder voneinander trennen und in den Kreislauf zurückführen kann. Denn das akute Problem ist, dass wir es oft mit Mischfasern zu tun haben. Chemische werden mit Naturfasern gemixt, so hat man Mischgewebe, die nur ganz aufwändig in einem chemischen Prozess voneinander getrennt werden können. Das machen die meisten Unternehmen aber nicht, so landen diese in der Verbrennungsanlage.
Fräulein: Was ist eure größte Erwartung von dem neuen Buch?
NL: Dass es viele lesen und wiederum anderen erzählen, was sie gelernt haben. Mein Wunsch wäre, dass wir nicht nur ein Preaching to the Converted betreiben, nicht nur Menschen erreichen, die sich in unserer Filterblase befinden, sondern auch diejenigen, die vielleicht noch nicht so viele Berührungspunkte mit dem Thema haben.
VJ: Zusätzlich wollen wir mit dem Buch auch zeigen, dass Mode nicht nur aufwändige Editorial- Strecken in der Vogue sind. Das ist auch Mode, aber es ist eben noch viel mehr. Mode hat so viele verschiedene Facetten und kann mit jeder sehr viel Spaß machen, egal ob man gemeinschaftlich etwas verändern will, die Gesellschaft weiterbringen will oder etwas für das Klima tun möchte.
“Wir müssen Mode als Chance sehen, als ein Vehikel für Empowerment.”
Interview: Sina Braetz
Alle Bilder: Lena Scherer/Knesebeck Verlag,
Bild 3 Melanie Hauke/Knesebeck Verlag