Fräulein: Auf welche Weise werden Machtverhältnisse durch social media beeinflusst? Kann man sich da auch eine neue Form von Macht aufbauen?
SV: Man kann sich durch Aufmerksamkeit eine Macht aufbauen. Aber man braucht dafür nicht social media. Wenn ich eine Prime Time Talk Show in der ARD habe, brauche ich keinen Instagram-Account. Es ist mit Sicherheit eine Möglichkeit Leute zu erreichen. Man sollte aber den Wirkungsgrad der klassischen Medien nicht unterschätzen. Und am Ende des Tages sind die mächtigsten Leute, diejenigen, die überhaupt keine Aufmerksamkeit bekommen. Es gibt diese Form von enorm viel Macht, eine „Hinterzimmermacht“, Leute, die nicht wollen, dass ihre Gesichter irgendwo zu sehen sind. Da redet man mit Minister*innen oder Präsident*innen, aber füllt keinen Account mit dem, was man tut. Macht hat nichts mit social media zu tun sondern immer noch hauptsächlich mit Geld.
Fräulein: Gibt es denn Momente, in denen du dich mehr oder weniger mächtig fühlst?
SV: Das ändert sich ganz stark im Verhältnis zu anderen Leuten. Es gibt zwei Dinge, die einem relativ schnell ein Machtgefühl geben. Abhängigkeit – ich habe vier Kinder, das ist einfach Macht über vier Leben. Ich entscheide zum Beispiel, wo sie wohnen. Natürlich muss ich damit verantwortungsvoll umgehen, aber es ist trotzdem eine Form von Macht. Und das andere ist Angestellte zu haben. Das bringt auch Verantwortung mit sich, aber auch Macht. Auch wenn sie nicht wollen, wenn ich sie anrufe und eine Aufgabe gebe, müssen sie doch zum großen Teil das tun, was ich möchte, weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Das hatte ich nicht mit 20, aber heute habe ich es. Also ist es schon ein Unterschied in meinem Leben.
Das muss auch immer stark reflektiert werden. Wie geht man mit sowas um? Es gibt auch andere Verhältnisse, zum Beispiel wollen zehn Leute die Rolle haben und einer* entscheidet. Dann fühlt diese*r sicher sehr mächtig in dem Moment. Wenn aber klar ist, fünf Leute wollen dich besetzen nächsten Monat und du kannst dir eine*n aussuchen, bist du in dem Falle in einer mächtigeren Position und wirst auch anders behandelt. Man kann ganz andere Ansprüche stellen. Da stellt sich die Frage: Wie viel Arschloch wird man? Und dann gibt es auch den Fall, das man merkt: Je schlechter man sich benimmt, desto besser behandeln einen die anderen. Das ist wirklich eine gesellschaftliche Katastrophe.
Fräulein: Können dann Macht und Erfolg synonym verwendet werden? Oder bringt Macht erst den Erfolg hervor?
SV: Beides. Macht kann dich erfolgreich machen, weil du einen anderen Startmoment hast. Ein gewisser Erfolg kann auch erzwungen werden. Zwar nicht der ganz große, wo alle Leute begeistert sind. Macht an sich hat ganz viel mit ökonomischen Möglichkeiten zu tun. Das kann Erfolg unterstützen und Erfolg macht natürlich mächtig.
Fräulein: Du bist Mutter, Regisseurin, Produzentin, Schauspielerin, Kuratorin und Autorin. Wie würdest du “Erfolg” auf dein Leben beziehen? Ist das ein Wort, das du oft hörst?
SV: Man läuft natürlich nicht durch die Gegend und denkt, „wow, ich bin so erfolgreich!“ Es ist ja sowieso nie genug. Ich fühle mich in vielen Dingen nicht sehr erfolgreich. Ich bin ja auch relativ gut darin, mich auf Sachen zu fokussieren, die nicht gut funktionieren. Das ist ein Grund, warum es mir gut gelingt 365 Fehler und Probleme zu finden. Auf der anderen Seite merke ich dann auch, wenn etwas funktioniert und freue mich darüber. Eine wesentliche Sache dabei, die auch mit Erfolg und Macht zu tun hat, ist Freiheit. Ich mag gerne entscheiden können, welches Projekt ich mache. Was ich kann und darf ist nicht von anderen Parteien abhängig.
Fräulein: Mit POISON hast du bereits viele Projekte realisiert, ob Filme oder Ausstellungen. Hast du ein Lieblingsprojekt, das du mit deiner Produktionsfirma durchgeführt hast?
SV: Es kommt auch immer darauf an, was meine Aufgabe in den jeweiligen Projekten ist. Wir machen zum Beispiel die Ausstellungsreihe „bitch MATERrial“ mit dem Spin-Off „bOObs“. Die Ausstellung eröffnet am 21. September in Hamburg.
bOObs goes Hamburg – Wir zeigen Brust
Vernissage am 21. September
Ausstellung vom 22. bis 28. September
Raum linksrechts | Valentinskamp 37 | 20355 Hamburg
Schön ist hier die Unabhängigkeit zu sagen, dass wir diese Reihe machen, auch, wenn sie nicht durch die staatlichen Fördermodelle finanziert wird. Wir hoffen natürlich immer noch, dass sich das ändert, aber ziehen es auch so durch, weil uns die Thematik wichtig ist.
Ich habe mir eine Struktur geschaffen, Leute gesucht, und daher die Möglichkeit, solche Sachen einfach machen zu können.
Fräulein: Ihr finanziert manche Projekte über Crowdfunding. Ist das eine Schwierigkeit und auf welche Hindernisse stößt du als Produzentin von Independent-Streifen noch?
SV: Es sind eben andere Probleme. Wenn Leute ihr Geld geben, wollen sie im Normalfall etwas dafür. Sie wollen entweder ein tolles Produkt – das will ich selber ja auch – aber manchmal divergieren da auch die Meinungen, was ist gut, was ist schlecht? Wenn du Investor*innen hast, wollen sie Gewinne machen. Jede*r will sich beteiligen können und mitreden, aber das ist normal. Wenn du einen Film machst, machst du ihn mit vielen Leuten zusammen. Alle haben ihre Bedürfnisse, diese müssen mitbedacht werden. Im Idealfall hat man Partner*innen, die eine ähnliche Vision haben, wie man selbst. Dann wird die Sache natürlich einfacher.
Fräulein: Also dann lieber weiter mit deinen Kolleg*innen von POISON die Filme machen?
SV: Am besten wäre natürlich im Lotto zu gewinnen. Dann haben wir so und so viel Geld, reicht für zwei Filme und die werden jetzt in den nächsten zwei Jahren gedreht. Aber vielleicht macht auch gerade diese Reibung, das Engagement und der Versuch, ob es doch anders geht, das Ergebnis manchmal besser, weil man sich anders dafür einsetzen muss.
Fräulein: Denkst du, dass Berlin als Kunst- und Medienstadt dabei auch einen Einfluss auf dich und die Arbeit hat?
SV: Es gibt sind wahrscheinlich zwei Dinge in Berlin, die am meisten auf mich einwirken. Das ist zum einen das kulturelle Angebot, das ich sehr gerne nutze, aber das sind zum anderen selbstverständlich die Leute, die hier wohnen. Es ist eine Stadt, in der viele Filmschaffende, bildende Künstler*innen und Musiker*innen leben, viele Leute, mit denen man arbeiten will. Eine gute Stadt, um in dieser Szene produktiv zu sein. Denn die Beteiligten eines Projektes können schnell zusammenfinden.