Die Bibel ist eine Sammlung männlicher Märchen und Eva die erste Bitch der Geschichte. Das Symbol dafür ist der Apfel, die banalste aller Früchte. Eine Frau, die heute das Patriarchat überwinden will, sollte einfach mal reinbeißen
Iss den Apfel, Bitch
Jede, die mal Bitch genannt wurde, weiß wie sehr es wehtut. Es hat mich Jahre gekostet, herauszufinden, was eine echte Bitch ist. Dabei ist mir aufgefallen, dass Bitchism so alt ist wie die Unterdrückung weiblicher Macht. Aber langsam.
2.000 JAHRE UNTERDRÜCKUNG
Zur Zeit werde ich täglich mit Feminismus penetriert – in den Medien, auf der Straße, auf dem Klo, überall. Manchmal nervt es bereits, weil der Feminismus Mainstream geworden ist und für Marketing missbraucht wird: Wenn jeder das Feminismus-Label überall draufbatsch, geht die Essenz dessen verloren, was ihm Kraft gibt: seine Radikalität. Und dennoch freue ich mich grundsätzlich über die Popularität des weiblichen Aufbegehrens, vielleicht auch, weil wir so lange darauf gewartet haben. Über 2.000 Jahre nämlich. Die systematische Diskriminierung der Frauen hat Tradition. Bald, nachdem Jesus sein Tod-und-Auferstehung-Spielchen beendet hat, haben Männer Netzwerke geknüpft, um ihre Heldengeschichten über die Erdkugel zu ejakulieren. Sie haben ihre Vormachtstellung durch fantastische Kurzgeschichten in Büchern manifestiert und diese Märchen dann für heilig erklärt. Die Thora, Bibel und auch der Koran sind Niederschriften von Männern mit einem Vaterkomplex. Die Frauen haben nie die Hauptrolle, sie treten auf als Mutter, Tochter, Ehefrau oder Sünderin aka Bitch. Eva war die Urmutter aller Bitches. Sie aß die Frucht vom Baum der Erkenntnis, angeblich deshalb müssen wir alle einmal sterben. Der Apfel ist der heilige Gral, der Eva zur emanzipierten Oberbitch kürt, denn sie hat sich vom Obermacker (aka Gott), der höchstwahrscheinlich wenig anderes zu tun hat, als über den Wolken zu loungen, Befehle zu erteilen und seine Eier zu kraulen, nichts sagen lassen. Die von Männern erfundene Ursprungsgeschichte der Menschheit, das größte aller Märchen, beginnt also mit der Hetze gegen eine Frau, die sinnbildlich für alle Frauen steht. Der Apfel, der heute als Symbol der weiblichen Sünde gilt, ist dabei keine seltene oder exotische Kost. Die alltäglichste Frucht wurde ausgewählt, damit die schwanztragende Krone der Schöpfung ein generelles Misstrauen pflegen kann und nicht vergisst, dass die Bedrohung ihrer Autorität so nahe liegen kann. Jede Frau könnte jederzeit einen Apfel finden und reinbeißen. Was im Umkehrschluss heißt: Frauen können immer sündigen. Und dies so gravierend, dass es auch für die Männer jederzeit den Ausschluss aus dem Paradies bedeuten könnte. Heisst: Bloß keine Macht für Frauen.
OHNE APFEL KEINE LEIDENSGESCHICHTE
Wenn es diese frauenfeindliche Apfelgeschichte nie gegeben hätte, müssten wir jetzt nicht um die Gleichberechtigung kämpfen, diese leierkastenhafte Endlosschleife, die Zeit und Kraft raubt und von Anfang an ein fingiertes Spiel war. Wir sollten wirklich damit aufhören, uns dafür zu verschwenden, Männer über die Unfairness ihrer Herrschaft aufzuklären – und uns als Frauen selbstbewusst verbünden. Nur: Dort oben, da bei den Mächtigen, finden sich eben auch ein paar von uns. Eine andere Märchengeschichte mit Apfel klärt darüber auf, wie das ablaufen kann. Die Stiefmutter von Schneewittchen war eine Königin, eine wunderschöne dazu. Ihr magischer Spiegel versicherte ihr mehrmals am Tag ihre Schönheit. An dem Tag, als er ihr jedoch mitteilte, dass Schneewittchen schöner sei als sie, verwandelte sie sich in eine alte und häßliche Frau, vergiftete einen Apfel und überzeugte ihre Stieftochter, ihn zu essen. Der Rest ist bekannt. Natürlich wurde diese Geschichte aus einer männlichen Sicht geschrieben. So wie andere Märchen auch transportiert sie ein toxisches Frauenbild. Das der hilflosen Schönen, die einen Prinzen braucht, um sie aus ihrer Misere zu erlösen und sie anschließend zu seiner Königin macht. Das mag romantisch klingen, beschreibt jedoch, wie sehr Frauen immer wieder zur Passivität sowie Abhängigkeit und Hörigkeit gezwungen wurden. Bei Schneewittchen nun wird das weibliche Machtsymbol, der Apfel, von einer Frau vergiftet, um eine mögliche Konkurrentin zu eliminieren. Weil sie in einer von Männern dominierten Welt weiß, welch hohen Stellenwert die weibliche Schönheit hat. Die Stiefmutter vergiftet Schneewittchen, weil sie selbst die Schönste, also die Mächtigste im Königreich sein wollte. Frauen, die wie sie nach den Spielregeln des Patriarchats leben, vergiften die weibliche Urkraft, um ihre Positionen zu sichern. Der vergiftete Apfel bei Schneewittchen symbolisiert nicht die Sünde, sondern die ewige weibliche Missgunst gegenüber anderen Frauen. Wenn auch im Kontext einer männlich-geprägten Gesellschaft und Erzählung.
BITCH IST NICHT GLEICH BITCH
Wir leben in einer Testosteron-Gesellschaft, weil Männer durch Kriege die Geschichte bestimmt haben – aber auch, weil sich zu viele Frauen gegenseitig klein halten. Jedes mal, wenn eine Frau eine andere Frau hinter deren Rücken eine Bitch nennt, vergiftet sie eine mögliche Schwesternschaft. Wir nennen uns gegenseitig Bitch, weil wir vergessen haben, was das Wort überhaupt bedeutet. Gemeint ist nicht die Bitch als Rebellin, sondern das Ich-hasse-dich-Bitch, was sich gegen jemanden richtet, der mutmaßlich erfolgreicher, schöner ist oder einen beliebteren Instagram-Account hat. So versuchen Frauen, andere Frauen zu verunsichern oder ihnen ihre Strahlkraft zu nehmen. Bei Männern gibt es keine äquivalente Bezeichnung. Da das Wort aber nunmal in der Welt ist, müssen wir es annehmen und abermals umkodieren. Eine Bitch ist in diesem Sinne eine Frau, die vielleicht ein bisschen ehrlicher ist, sich traut ihre Meinung zu sagen und unangenehm zu werden – oder sich wie Eva weigert, die Regeln eines mächtigen Mannes auszuführen. Die Eigenschaften einer solchen Bitch sind: Ehrlichkeit, Stärke, Leidenschaft, Selbstbewusstsein, Kreativität, Intelligenz, Mut, Selbstbewusstsein und Schwesternliebe. Genau solche Frauen brauchen wir, wenn wir Gleichberechtigung wollen. Nur so können wir unsere jetzige Teile-und-herrsche-Machtstruktur dekonstruieren und unsere Gesellschaft transformieren. Das kann aber nur geschehen, wenn ich und du und er, sie, es, wenn wir alle Bitches werden, heißt: den Apfel essen. Nicht mehr Dinge akzeptieren, die wir nicht verändern können. Sondern die Dinge verändern, die wir nicht länger akzeptieren können. In den Augen der Unterdrücker also sündigen. Sei eine Bitch, nimm dir den Apfel, hol dir die Macht!
Text: Mateja Meded
Dieser Beitrag erschien zuerst in Fräulein-Ausgabe 1/2019