Nach zwei Jahren zog sich der wahrscheinlich wichtigste Designer des 21. Jahrhunderts zurück.
Kreativ-Aus für Raf Simons
Zwischen Kleidung für die Masse und Quintessenz der amerikanischen Kultur – es ist schwer, die Marke Calvin Klein exakt zu definieren. Raf Simons Vision des Imperiums der Jeans und Baumwollunterwäsche hat in den letzten zwei Jahren Moderedakteure fasziniert, die Verkaufszahlen konnten den Chef der PVH-Gruppe jedoch nicht begeistern.
Wenn der Designer oft als Minimalist eingestuft wird, genügt ein Blick in den Lebenslauf Simons, um sich des Gegenteils zu überzeugen. Nach einem Studium des industriellen Designs an der Genk Akademie fängt er 1989 ein Praktikum bei Walter Van Beirendonck an. Er entwickelt in diesem einen Jahr eine große Faszination für die Welt des Modedesigns.
Simons Anfänge
1995 gründet er ein erstes Mal sein Label, um es jedoch vier Jahre später wieder zu schließen. Erst im Jahre 2000 kehrt er mit seiner eigenen Marke zurück. Die Einflüsse aus der Rave-Kultur und sein androgynes, jungenhaftes Männerbild, öffnen ihm die Tür zu Kooperationen mit Künstlern wie Grafiker Peter Saville. 2001 ist er Guest Editor für eine Ausgabe der i-D. Die Issue ist bis heute ein Sammlerstück.
2006 übernimmt Simons die Position des Chefdesigners bei Jil Sander. Seine erste Erfahrung in der Frauenmode basiert er auf einer Fusion von Sportswear und cleanen Schnitten. Er testet Grenzen aus. Spring 2011 präsentiert er eine Handtasche im Look eines Plastikbeutels Spätestens nach seiner Frühjahr 2012 Show gibt es auf jedem DIY-Blog einen Artikel über Wollmützen mit einem angenähten Spitzenschleier. Seine Entwürfe positionieren das Modehaus erneut im hohen Luxussegment, im November 2013 verkündet aber das Wall Street Journal, dass die Firma unter Raf Simons Leitung fast nur rote Zahlen schrieb. Unter der Kreativleitung von Jil Sander hätte der jährliche Umsatz bei $240 Millionen Umsatz gelegen, unter Raf Simons, wäre diese Zahl auf $140 Millionen gesunken.
Dior und Raf
Simons verlässt Jil Sander 2012, der darauffolgende Aufprall leitet den Höhepunkt seiner Karriere ein. Innerhalb weniger Zeit ist er Chefdesigner für das weibliche Segment von Christian Dior. Seine erste Auseinandersetzung mit der komplexen Welt der Haute Couture, Herbst Winter 2012, resultiert in Silhouetten und einem von Blumen übersätem Schaubild – ein frischer Aufwind, den Dior nach dem Galliano Skandal mehr als gebrauchen kann.
Im Dokumentar-Film „Dior and I“ wird die Entstehung der spektakulären ersten Haute Couture Kollektion dargestellt.
Die ikonische Bar-Jacke, die Monsieur Dior 1947 zum ersten Mal zeigte, nutzt Simons als Ausgangs- und anschließend als Anhaltspunkt für seine darauffolgenden Kollektionen. In vier Jahren wird er mehr als 18 Mal das Jackett mit Schößchen kürzen, oder verlängern, um es zu einem Oberteil oder Kleid evolvieren zu lassen. Simons Entwürfe ziehen eine neue, jüngere Kundschaft an. Seine Archiv-Revivals beweisen, dass er weiß, wann der Markt für Neues bereit ist. In einem Interview wird er später sagen, dass er bei Dior wie ein Teil einer Kette war. Es habe die Marke schon vor ihm gegeben und sie würde auch ohne ihn genauso gut weiterhin existieren.
Dies musste sie dann ab August 2016, als der Belgier plötzlich den überwältigenden Arbeitsrhythmus des französischen Modehauses in Frage stellt. Simons entscheidet sich in diesem Moment dazu, Christian Dior zu verlassen.
American Dreams bei Calvin Klein
Die selbst auferlegte Pause hält nicht lange an. Im selbigen Monat wird Simons als Creative Officer in Chief von Calvin Klein ernannt. Mit diesem Posten wird ihm die kreative Leitung aller Linien des Hauses erteilt: ck Calvin Klein, Calvin Klein Jeans, Calvin Klein Underwear, sowie das Ready-To-Wear für Männer und Frauen.
Auf die Gründung von ‘Calvin Klein by Appointment’, ein made-to-measure Design-Service im April 2017 folgt im Juli die Umbenennung der Marke in ‘Calvin Klein 205w39nyc’. Ein neues Logo-Design von Peter Saville gesellt sich zu diesen Veränderungen.
Für seine erste Kollektion, Herbst 2018, entscheidet er sich für eine Outsider-Perspektive der amerikanischen Ästhetik. Donald Trump ist seit weniger als einen Monat her, ein politisch komplizierter Zeitpunkt in den USA. Zu „This is Not America“ von David Bowie werden männliche, weibliche und Unisex-Looks präsentiert: durchsichtige Oberteile mit Strick-Ärmeln, Wall-Street Anzüge und Cowboy-boots mit metallischer Spitze. Die klischeehafte Plastik-Beschichtung der amerikanischen Couch migriert auf bunte Mäntel. Die darauffolgenden Kollektionen griffen die cineastischen Säulen der amerikanischen Horror-Filme auf: Motive aus Carrie (1976, Brian de Palma), Jaws (1975, Steven Spielberg) und Shining (1980, Stanley Kubrick) prägen die Muster und Prints.
Ende Dezember wird offiziell das Ende der Zusammenarbeit angekündigt, noch vor dem Vertragsende des Designers.
Wo lag das Problem?
Die Business-Modelle mit einem Designer an der kreativen Spitze eines gesamten Hauses, sorgen für eine schwere Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Luxusgruppen. Hedi Slimanes Einsatz bei Saint Laurent von 2012 bis 2016 hat bewiesen, dass die volle kreative Kontrolle zwar für astronomische Verkaufszahlen sorgen, aber auch schnell zu einem kompletten Verlust der Marken-Identität kippen kann. Aber ist dies nicht ein Kompromiss, der heutzutage nicht mehr vermieden werden kann?
Die vorherige Aufteilung der Tätigkeitsbereiche von Calvin Klein – Italo Zucchelli für männliches Ready To Wear, Francisco Costa im weiblichen Segment und Melisa Goldie als Chief Marketing Officer– sorgte vielleicht für weniger Aufsehen und profitierte weniger von einem gewissen Celebrity-Faktor. Sie erweist sich aber als gezieltere Kommunikationsmethode für die intergenerationelle Klientele.
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Simons Zusammenarbeit mit Freunden wie Ruby Sterling oder Peter Saville haben bereits bei seiner eigenen Marke für Bestseller gesorgt. Das Prinzip des unter-sich, mit langjährigen Freunden und Kollegen zu arbeiten und diesen auch Arbeitsplätze in den jeweiligen Modehäusern zu sichern, koinzidiert nicht mit dem demokratischen Bild von Calvin Klein.
Die Kardashian-Kampagne sollte das Image eines Clans entstehen lassen, so wie alle Calvin-Klein Unterwäsche-Träger einem Clan angehören. Diese Art von Kommunikation erweist sich aber für einen Designer, der keine Social Media Accounts besitzt und sich selber mit dem Thema nicht beschäftigen möchte, nur wenig authentisch.
PVH befindet sich jetzt vor der schweren Entscheidung, einen Nachfolger zu ernennen. Die Show auf der nächsten New York Fashion Week im Februar ist vorläufig abgesagt.
Beitrag: Juliane Clüsener-Godt
Bilder: Instagram & YouTube