Fräulein: Es gibt den Punkt, an dem man sich als Frau das erste Mal bewusst mit dem Konzept Feminismus auseinandersetzt, und dann öffnet sich diese neue Welt voller Möglichkeiten. Wie war das bei dir?
Karley: Ich habe erst vor gar nicht langer Zeit darüber nachgedacht und musste realisieren, dass dieser Punkt bei mir ziemlich spät kam. Ich war wohl nicht gerade das, was man einen aufgeklärten Teenager nennt. Als ich mit 21 begann, zu schreiben, hatte ich nicht die Absicht, einen feministischen Sexblog zu starten. Ich lebte in London in einem besetzten Haus mit anderen Schulabbrechern und Losern und irgendwann kam dieser Typ, der meine Beiträge gelesen hatte, zu mir und sagte: „You are a feminist.“ Und meine Reaktion ging in die Richtung: „Feminismus, ja stimmt, habe ich schon mal gehört, da war doch was …“
Ich glaube, so geht es vielen Frauen unserer Generation. Das Label wird von außen an dich herangetragen …
Ja, das ist ein Muster. Ich hab erst vor kurzem die Rede „We should all be feminists“ von Chimamanda Ngozi Adichie gesehen, bei der es auch so war. Oder Petra Collins, die Künstlerin und eine gute Freundin von mir, bei der war es genauso.Leute haben ihr gesagt, ihre Kunst sei feministisch. Das Verrückte ist nur, man reagiert auf ein Label von außen erst einmal mit Abwehr. Ich dachte lange, dass mein Blog nicht feministisch ist, sondern eher ein Produkt von dem, was der Feminismus erreicht hat.
Und heute?
In den letzten vier Jahren hat sich mit dem Feminismus der vierten Welle so viel entwickelt, ich sehe mich als Teil dieser Generation, in der auch Pornostars wie Sasha Grey Feministinnen sein können. Ich bin für einen sehr offenen Umgang mit Sex und Sluteverist ein Ort für diesen libertären Feminismus.
Es ist komisch, von einem Revival des Feminismus zu sprechen. Aber ein bisschen ist es so …
Absolut. Anfang der 2000er war der Feminismus so was von aus der Mode. Dafür gab es Paris Hilton und Britney Spears und diese ganze Infantilisierung von Popstars. Ariel Levy hat damals „Female Chauvinist Pigs“ geschrieben, was diesen selbst auferlegten Chauvinismus auseinandernimmt.
Auf der Suche nach feministischen Vorbildern greifen wir immer auf die gleichen Namen zurück: Joan Didion, Patti Smith und so weiter und ignorieren die jüngere Vergangenheit.
Wenn ich ein Vorbild nennen müsste, wäre es Camille Paglia, die viel in den 90ern veröffentlicht hat. Dann ist da natürlich Kathleen Hanna als Teil der Riot-grrrl-Bewegung, obwohl ich gestehen muss, dass ich mich mit der dritten Welle des Feminismus zu wenig beschäftigt habe. Freundinnen von mir, die bereits etwas älter sind, haben mir mal erzählt, dass es eine Zeit gab, wo sie keine Blowjobs gegeben haben, weil es als degradierend galt. Das fand ich ziemlich furchtbar, weil das für mich ein Beispiel dafür ist, wie Feminismus einen auch selbst einschränken kann.
Diese Diskurse gibt es heute vereinzelt ja auch noch. Ich erinnere mich an eine Kolumne in einer deutschen Zeitung, wo ernsthaft die Frage verhandelt wurde, ob man als Feministin High-Heels tragen sollte.
Das ist verrückt. Klar gab es mal eine Zeit, wo es Sinn gemacht hat, diese Fragen zu stellen, weil Frauen in den 60ern gezwungen waren, sich nach gewissen Regeln zu kleiden, aber danach gab es Power Dressing und so weiter. Wer kann heute schon die Frage beantworten, wie eine Feministin aussieht? Das wäre ja furchtbar.
Du schaffst es, selbstironisch und aufrichtig über Sex zu schreiben, etwas woran die meisten scheitern. Lass uns ein bisschen über Humor als Werkzeug sprechen, sensible Themen beschreibbar zu machen.
Das war schon immer meine natürliche Schreibe. Ich habe dann erst mit der Zeit erkannt, dass Humor ein guter Weg ist, um über sensible oder ernste Themen zu schreiben, weil Humor inklusiv ist. Über Sex zu schreiben kann so schnell so unangenehm werden. Entweder es ist zu erotisch, zu angeberisch oder zu oberlehrerhaft. Niemand hat Lust, einen „I tell you how to fuck“-Artikel zu lesen. Humor ist die Rettung.
Ein großer Teil deiner Postsbesteht aus persönlichen Erlebnissen und Begegnungen. Warst du schon einmal an einem Punkt, wo dir diese Selbstentblößung zu viel wurde?
Schreiben ist so ein einsamer Prozess, es fühlt sich gar nicht nach Entblößung an. Es ist viel leichter, über intime Dinge zu schreiben, als die Geschichten bei einem Abendessen mit Freunden zu teilen. Es hört sich an wie ein blödes Klischee, aber wirklich schwierig war es nur im Bezug auf meine Familie, die ziemlich konservativ ist und auf einmal damit konfrontiert war, dass ihre Tochter über Sex in all seinen Facetten schreibt. Bruce LaBruce hat mal auf die Frage, wie man Pornos drehen kann, wenn man Eltern hat, geantwortet: „Stell dir vor, Fassbinder und Andy Warhol hätten Dinge nicht getan, weil sie Angst davor gehabt hätten, was ihre Mutter dazu sagt.“ Ich finde das ist eine ziemlich gute Antwort.
Schreiben ist ja auch immer eine Form von Selbsttherapie …
Auf jeden Fall. Die eigenen Verletzungen und Erniedrigungen zu teilen, heißt, sich seiner Verletzbarkeit und Unsicherheit bewusst zu werden. Das ist auch eine Möglichkeit, eine Art von Komplizenschaft untereinander herzustellen. Außerdem glaube ich, dass die Leute genug vom Bullshit haben und Ehrlichkeit wirklich zu schätzen wissen.
In den letzten Wochen sind Menschen das erste Mal unter dem gemeinsamen Dach des Feminismus auf die Straße gegangen, um gegen die Politik der neuen Trump-Administration zu protestieren. Was erhoffst du dir von der Bewegung?
Wenn man dieser Wahl eine positive Sache abgewinnen will, dann die, dass Menschen endlich wieder als Gemeinschaft auf die Straße gehen. Der Womens March war für mich positivste Erfahrung, die ich seit sehr langer Zeit hatte. Ein Bekannter von mir, der über 70 ist, hat danach zu mir gesagt, dass er so etwas das letzte Mal bei den Demos gegen den Vietnamkrieg gesehen hat. Es ist traurig, aber manchmal muss Scheiße passieren, damit etwas Gutes entstehen kann, und diese Administration zwingt uns dazu, endlich weniger selbstzentriert zu sein.
Fotos: Peter Kaaden
Text: Antonia Märzhäuser
Der Beitrag erschien erstmals in der Fräulein-Ausgabe 2/ 2017