In Berlin kann man sich leicht verlieren. Davon erzählt Helene Hegemanns Film Axolotl Overkill, in dem Jasna Fritzi Bauer die Hauptrolle spielt. Ein Gespräch über das Fehlen ernstzunehmender Vorbilder, alte Liebe und lautes Singen im Supermarkt.
Lost im Nimmerland
Fräulein: Der Roman Axolotl Roadkill von Helene Hegemann ist 2010 aus einem sehr zeitspezifischen Lebensgefühl heraus entstanden. Nun kommt – etwa sieben Jahre später – der Film Axolotl Overkill ins Kino, in dem du die Hauptrolle spielst, die 16-Jährige Mifti. Worum geht es?
Die Geschichte ist zeitlos. Es geht um das Suchen und Nicht-finden-können, um das Enttäuschtsein und das Lernen, mit dieser Enttäuschung umzugehen.
Wonach sucht Mifti?
Ich glaube, es kommt immer darauf an, in welcher Situation sie sich gerade befindet. Natürlich sucht sie nach einer Person, die ihr die Hand reicht. In ihrer Familie gibt es niemanden, der sich um sie kümmert. Manchmal hat man den Eindruck, sie sei die einzige Erwachsene. Und im nächsten Moment ist sie wieder fünf Jahre alt, klebt Sticker an die Wand und isst einen Bonbon. Es gibt niemanden der ihr mal sagt: „Alter, mach das jetzt!“
Es scheint heute ein generelles Problem zu sein, dass die unmittelbaren Vorbilder fehlen.
Ja, das stimmt voll, es gibt wenige Menschen, die einen wirklich weiter bringen, an denen man sich festhalten kann.
Das Suchen und Nicht-finden-können, von dem du sprachst, scheint mir in Berlin besonders groß zu sein.
Als wir den Film in Amerika auf dem Sundance Festival zeigten, habe ich mich schon gefragt, ob die Leute das alles nachvollziehen können. Axolotl Overkill ist kein ganz krasser Party-Film. Aber vom Thema her ist er total Berlin und könnte so nicht in Düsseldorf spielen. Und auch in Wien, wo ich lange an der Burg gespielt habe, ist das Lebensgefühl ein anderes.
Erwachsener?
Betrunkener.
Weniger Drogen, mehr Alkohol?
Ja. Die Menschen scheinen mir dort schwermütiger zu sein.
Hat dieses Berliner Lebensgefühl auch etwas Oberflächliches?
Auch, ja. Aber vor allem kannst du immer anonym bleiben. Es gibt keine Tabus. Du kannst im Pyjama in den Supermarkt gehen und es interessiert keinen Menschen. Aber diese Freiheit schränkt auch ein.
Weil man am Ende doch immer wieder dasselbe macht?
Ja, oder weil man denkt, ich muss total besonders sein. Es galt Jahre lang als hip, sich bei Humana Second-Hand-Sachen zu kaufen. Ich hab mir da einmal was geholt und dann gedacht: Nee, warum denn? Nur, weil das jetzt alle geil finden?
Gestern lief ich am Kottbusser Tor über den Bahnsteig und wirklich alle unter 35 Jahren hatten schwarzen Mantel, enge schwarze Hosen und weiße Sneaker an.
Zurzeit sehen wieder alle aus wie frisch aus dem Berghain rausgeklettert. Bäh! Warte (schaut an sich herab) … zum Glück, ich hab gerade keine weißen Sneaker an, sondern Doc Martens!
Dieses Lebensgefühl des Berghains und der ehemaligen Bar 25 hatte schon immer etwas Peter-Pan-haftes. Wie verlorene Jungen und Mädchen, die nicht erwachsen werden wollen und in einer Zauberwelt leben.
Ich bin gerade 28 Jahre alt geworden und denke mir auch langsam, jedes Wochenende zu feiern ist nicht die Lösung … aber warte, warum eigentlich nicht? Das hält mich ja nicht davon ab, ein Erwachsener zu werden. Und es ist ja auch schön, nicht erwachsen werden zu wollen. Trotzdem, Peter Pan beschreibt es gut. Berlin ist Nimmerland.
Gehst du gerne feiern?
Ja. Aber es fällt mir gerade im Alltag schwer, die Menge an sozialer Interaktion auszuhalten. Nach einer Weile in großen Gruppen werde ich regelrecht autistisch, weil es mir einfach zu viel wird. Manchmal reicht es mir schon, im Supermarkt von einer Kassiererin angeschnauzt zu werden, und der Tag ist gelaufen. Das alles lässt bei mir den Wunsch aufkommen, mich einfach in mein Bett zu legen und die Wand anzustarren.
Wie reagierst du in solchen Situationen?
Das kommt immer drauf an, in was für einer Mood ich bin. Wenn ich schlecht gelaunt bin, kann es in Aggression ausarten, wenn ich emotional bin, reicht ein falsches Wort und ich fange an zu heulen. Neulich in der Kantine hat mich jemand angeschissen, weil ich den Flaschenöffner nicht zurückgelegt habe. Da war’s aus und mir kamen die Tränen. Ganz komisch.
Wohin gehst du in Berlin, wenn du alleine sein willst?
Ich gehe gerne in den Friedrichshainer Stadtpark, im Winter, wenn es regnet. Dann bist du da ganz alleine.
Ich bin in dem Park nachts einmal verloren gegangen.
Ich gehe da sogar tagsüber verloren. Man versteht den einfach nicht, man bekommt überhaupt keinen Überblick, und ich bin da wirklich oft.
Gibt es sonst irgendwas, was du tust, um runter zu kommen?
Nichts..
Kein Sport?
Nein, nein, nein. Nur Rauchen.
Ist dir eigentlich schnell langweilig?
Total. Das hört sich jetzt nach stinkendem Eigenlob an, aber ich spüre oft eine chronische Unterforderung. Ich will immer viel sehen und erfahren, bin aber entweder zu ungeduldig oder stelle zu hohe Erwartungen an mich selbst, um etwas zu Ende zu bringen. Erst neulich wollte ich Schwedisch lernen. Aber nach zwei Wochen war ich so unzufrieden mit mir selbst, dass ich das gleich wieder gelassen habe.
Ist das beim Schauspiel anders?
Ja, weil ich da sofort gefordert bin. Da kann ich nicht zwischendrin sagen: Ich hör jetzt auf, ich habe keinen Bock mehr. Dann verdiene ich kein Geld und muss eine Vertragsstrafe zahlen. Vor allem im Theater, wo ich meine Rolle jeden Abend chronologisch durchgehe, den selben Ablauf immer und immer wieder spielen muss, bin ich sehr bei mir. Gleichzeitig ist das ist natürlich auch wahnsinnig anstrengend …
Hast du Helene Hegemann auch am Theater kennen gelernt?
Nein. Das war auf einer Party des Interview-Magazins. Ich wusste gar nicht, wer das ist. Sie kam auf mich zu und sagte: „Ey, bist du Jasna Fritzi Bauer? Ich muss nachher mal mit dir reden“, geht wieder weg und war nie mehr gesehen. Irgendwann hat sie mir über Facebook das Drehbuch zu Axolotl Overkill geschickt. Noch am selben Abend habe ich ihr geschrieben: „Wenn du willst, spiele ich das“.
Was hat dich am Buch überzeugt?
Es ist ein sehr ungewöhnliches, a-linear geschriebenes Drehbuch mit tollen Dialogen, das ich in dieser Form sehr selten zu lesen bekomme. Helene und ich haben uns über die intensive Vorbereitungszeit angefreundet und hängen jetzt viel miteinander rum. Gestern bin ich vom Synchron direkt zum Supermarkt. Ich wusste nicht, was ich einkaufen soll und habe wohl höllisch laut zur Hintergrundmusik im Markt gesungen. Als ich um die Ecke biege, steht da Helene und lacht sich schlapp.
Passiert dir sowas öfters?
Ich befürchte schon. Kein Wunder, dass mich die Leute immer so schräg anschauen.
Das ist tatsächlich auffälliges Verhalten.
Ja (lacht).
Du spielst oft Teenager. Ist das ein Rollenmuster, aus dem du manchmal ausbrechen möchtest?
Schon, irgendwann ist das nicht mehr so spannend. Aber wenn ich heute eine 16-Jährige spiele wie in in Axolotl Overkill, dann eben meist schwere Fälle. Ich bin erwachsen und man sieht das auch. Vielleicht nicht im Gesicht, aber in der Art und Weise wie ich denke und spreche. Das hört sich komisch an, ist aber so. Ich spiele natürlich auch ganz andere Rollen; im Theater sowieso, aber auch im Film bin ich mittlerweile in die 20er-Region aufgestiegen (lacht).
Wünscht du dir manchmal einen größeren Körper?
Sicher wäre ich mit einem anderen Körper nicht so oft in dieses Kindchenschema gefallen. Und es gab eine Zeit, in der ich gerne größer gewesen wäre. Aber das ist vorbei. Heute ist mir das total egal. Bin ich halt nur 1,58 Meter groß … Naja, über 1,60 wäre schon ganz geil gewesen …
In Axolotl Overkill ist Mifti verliebt in eine ältere Frau, in Alice. Worin besteht der Reiz in Beziehungen mit großem Altersunterschied?
Also erstmal ist es ja immer so, und das hört sich jetzt mega eklig an, das ein erwachsener Mensch dem jüngeren gegenüber wie ein Vater oder eine Mutter sein kann – jemand der stringent ist, der Stärke hat, der schon angekommen ist, der dich mitziehen, dir, wenn du das willst, Ordnung bieten kann. Trotzdem kann man sich gegenseitig bereichern und gemeinsam aus verhärteten Mustern ausbrechen.
Eure gemeinsame Liebeszene zeigt große Nähe und Ehrlichkeit.
Jemand sagt im Film zu Mifti, Alice sei doch eine pädophile Kinderfickerin. Aber wenn man diese gemeinsamen Szenen sieht, stört man sich überhaupt nicht an diesem Altersunterschied von 30 Jahren. Es sind einfach zwei Menschen, die sich begehren und die irgendwie funktionieren, die ehrlich zueinander sind.
Was macht einen Menschen für dich attraktiv?
Etwas Intelligenz muss sein. Es hilft nicht, wunderschön und dumm zu sein. Dann mag das Leben einfacher sein, aber mit so jemand kann ich nicht zusammen leben. Ein IQ von 20 plus ist ein Muss (lacht).
Zumindest sollte man nicht mehr als 20 IQ Punkte auseinander liegen.
Genau!
Ein letzter Wunsch?
Einmal mit dem hochgradig geistesgestörten Lars von Trier drehen und so richtig geknechtet werden. Das wär’s!
Interview: Ruben Donsbach
Fotos: Eirikur Mortagne
Styling: Tim Heyduck
Dieser Beitrag erschien in der Fräulein Nr. 21.