Jessy Lanza: Rhythmus & Seele

vor 7 years

Die kanadische Musikerin Jessy Lanza macht futuristischen Elektropop, der mal nach Prince, mal nach Thelonious Monk klingt, aber immer gute Laune macht. Und dabei so schlau wie federleicht wirkt, das man sich nur wünschen kann: So soll die Zukunft klingen!

Jessy Lanzas aktuelles Album habe ich auf irgendeinem Streaming-Dienst gesehen, dann erst gehört. Das Cover hatte mich sofort angesprungen: Ein futuristisch-funkelndes Schneewittchen kniete da, die Augen geschlossen, das Kinn auf die Hand gestützt, von Topfpalmen umgeben und umwabert von ein wenig Trockeneisnebel. Ganz oben stand, kaum zu erkennen, der Titel: JESSY LANZA OH NO. Was wollte mir die Künstlerin damit sagen? War das jetzt irgendwie post-Internet oder angelehnt an den Outer-Space-Eskapismus des flamboyanten Jazz-Saxophonisten Sun Ra? So oder so, es war ein Bild, welches sich im visuellen Überfluss eines ganz normalen Bürotages durch- und schnell in meinem Hirn festsetzte.

Bei Lanzas Musik dauerte es etwas länger. Zunächst klang etwas flach, was da an Synthi-Loops, E-Piano-Akkorden und weicher, dabei aber seltsam agitierter Stimme durch die Kopfhörer drang. So waren auch die Reaktionen meiner kritischen Freunde reserviert, denen ich OH NO in den folgenden Tagen vorspielte, weil ich meinte, irgendwas darin zu hören, ohne es aber schon benennen oder greifen zu können. Bis irgendwann über Shuffle ein Lanza-Song von Prince abgelöst wurde. Ja klar, Prince! Der Discobeat, die Jazz-Akkorde, das Rohe alter 80er-Jahre-Synthesizer, die ganze geniale DIY-Ästhetik, die das Genie vom bloßen Handwerker unterscheidet. All das schwang auch bei Lanza mit. Nicht so sehr in your face vielleicht, die Melodien denen des Meister nicht ebenbürtig, aber eben doch großartig, verschachtelt und so schlau, dass man mehrmals hören musste, um in den scheinbar konventionellen Popsongs Prince, aber auch Bill Evans, Thelonious Monk und Steely Dan zu hören, nur einige der heterogenen und begründbaren DNA-Stränge in Jessy Lanzas Sound.

„Als ich jung war, wollte mein Vater unbedingt, das ich Musikerin werde“, sagt Lanza, nun mir gegenüber sitzend, im Garten des ACUD in Berlin-Mitte. Ihr Vater vermietet Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre Anlagen für Bands in Hamilton, Ontario/Kanada. Mit Lanzas Mutter spielt er in einer Band, die erst Crosby, Stills and Nash, später dann Eurythmics, Annie Lennox und die Led Zeppelin-Epigonen Spirit covert. Als ihr Vater früh stirbt, erbt Lanza einen Keller voll Equipment – arunter der legendäre Synthesizer Polymoog. Ein Schatz, der erst gehoben, erst verstanden werden musste, denn als Teenager wollte Lanza nichts davon wissen. Doch nach der Schule, als sie zunächst klassisches Klavier, dann Jazz-Piano studierte und sich unterdessen mit ihrer selbstgeschriebenen Singer-Songwriter-Musik langweilte, als sie einfach „nur „eschissene Musik“ (Lanza) ohne Herz und eigene Identität fertig bekam, da waren es, wie bei Prince, die sich verändernden Produktionsbedingungen, die das klassische Songwriting in eine neue Sphäre hoben und schließlich zu Pop machten.

Lanza zog zurück nach Hamilton, tat sich zusammen mit ihrem Kollegen Jeremy Greenspan und verband das analoge Equipment ihres Vaters mit moderner Musiksoftware von Logic und Ableton. Das machte sie unabhängig von anderen Musikern, Studios und deren Sound-Ingenieuren. Auf einmal entstand ein Klang, der das auf dem Konservatorium gelernte „rein“ wusch, sich des historischen Ballasts von Jazz und Klassik entledigte, dabei aber deren avancierte Strukturmerkmale beibehielt.

Was nun leicht klingt, ist in Wahrheit intellektueller Pop für den Club, wie zumindest ich ihn zuvor noch nicht gehört habe. Musik, die einen glücklich macht, die man im Flugzeug anschaltet und stundenlang im Loop hören kann, die beim Immerwiederhören immer neue Details, Wendungen und Harmoniebewegungen verrät. Dass das Label Hyperdub schon sehr früh bereit war, diese Kompositionen zu unterstützen und herauszugeben, ist ein Glücksfall. „Sie haben uns motiviert, weiterzumachen“, sagt Lanza.

Nur manchmal, da überkommt sie eine Sehnsucht nach dem klassischen Songwriting. Dann sagt sie: „Ich würde schon gerne so schreiben können wie Carol King“, die geniale Autorin und Interpretin des Welthits A Natural Woman. Diese Sehnsucht geht aber immer schnell wieder vorbei. Denn wer möchte sie schon eintauschen, die Autonomie der unter den Produktionsbedingungen des Internetzeitalters Pop-Perle an Pop-Perle reihenden Weltenbummlerin, deren Musik längst schon von der Zukunft kündet, eben weil sie sich der Tradition nicht nur bewusst ist, sondern diese eigenständig transformieren konnte in ein Drittes. Dieses Dritte übrigens hat musikalisch, aber auch ästhetisch noch ein weiteres Vorbild: Lanza sagt, sie habe sich zuletzt ausgiebig mit den japanischen Elektropop- Avantgardisten (oder auch Technopop) des Yellow Magic Orchestra beschäftigt, die ihr Genre Ende der 70er praktisch gleich mit erfunden haben, aber weniger streng als etwa Kraftwerk daherkamen. Wer sich deren Performances auf YouTube anschaut, der weiß, woher der Wind weht. Schaut man sich danach die Liveperformances von Lanza an, wirken diese zwar viel intimer als die Stadionauftritte des Orchestra, aber ebenso kraftvoll. Nicht nur, weil die Rechenleistung eines Laptops heute eine komplette Bühne von Equipment ersetzt, sondern auch, weil sich der Habitus der Generation Y wohl endgültig der alten Posen des Rock entledigt hat. Das klingt nicht nur gut, es sieht auch gut aus. Wenn die Zukunft also wirklich klingen würde wie Jessy Lanza, dann müssten wir uns keine Sorgen machen.

Beitrag: Ruben Donsbach
Foto: Joe Lai

Dieser Beitrag erschien in der Fräulein Nr. 19

Info: OH NO von Jessy Lanza ist auf Hyperdub erschienen.

 

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