Ferdinand Ulrich schreibt zum 100. Geburtstag der Schriftgestalterin und Buchbinderin Gudrun Zapf-von Hesse ein Buch über ihr Lebenswerk.
Die Gattin des Meisters als Künstlerin begreifen
Schon Paul Klee war davon überzeugt: Genie ist männlich. Tatsächlich spielten sich die Lebensgeschichten erfolgreicher Künstlerinnen noch bis vor wenigen Jahren oftmals im Schatten der Erfolge ihrer Ehemänner ab. Meist assoziiert man mit den Nachnamen der Frauen berühmte Arbeiten ihrer Männer: Sonia Delaunay, Lucia Moholy oder Sophie Taeuber-Arp sind nur ein paar Beispiele aus dieser Reihe. Immer mehr Ausstellungen und Publikationen wie Ulrike Müllers „Bauhaus-Frauen“ heben sich von dieser Sicht ab und widmen sich ebenjenen großartigen Frauen. Ein wichtiger Schritt, um die einseitige Perspektive auf die schöpferische Kraft des Mannes in Frage zu stellen.
Eine weiteres spannendes Buchprojekt ist derzeit in Arbeit und soll 2018 veröffentlicht werden. Gudrun Zapf-von Hesse ist die Frau des berühmten Schriftdesigners Hermann Zapf. Der in Berlin lebende Typograf und Schrifthistoriker Ferdinand Ulrich schreibt zu ihrem 100. Geburtstag ein Buch über das Lebenswerk der Buchbinderin und Schriftgestalterin.
Ferdinand Ulrich besucht den großen Schriftentwerfer Hermann Zapf das erste Mal im Mai 2014. Es gibt Kaffee und Kuchen. Die Frau des Meisters, Gudrun Zapf-von Hesse, nimmt neben ihm auf dem Sofa Platz. Ulrich weiß, dass sie selbst auch als Schriftentwerferin und Buchbinderin gearbeitet hat. Er ist gekommen, um mit Hermann Zapf über seine Arbeit, insbesondere seine Schrift Hunt Roman, zu sprechen. Für den jungen Typografen ist es eine große Ehre, dem Mann persönlich zu begegnen, der für Schriften wie die Optima, Palatino oder Zapfino weltweit bekannt ist.
An diesem Nachmittag aber verschiebt sich der Fokus. Er erlebt auf dem Sofa neben Hermann Zapf eine Frau, die mehr als eine hilfreiche Gedankenstütze für die Erzählungen ihres Mannes ist. Ulrich bekommt es mit einer aufgeschlossenen Meisterin ihres Fachs zu tun, deren Wissen, Erfahrungsreichtum und Intelligenz ihn restlos begeistern.
Eine Frage, die Frau Zapf-von Hesse dem jungen, interessierten Mann an diesem Nachmittag stellt, soll die ganze, darauffolgende Geschichte ins Rollen bringen: „Wären Sie denn auch interessiert an meiner Arbeit?“
Ulrich begleitet die 96-jährige daraufhin in ihre Arbeitsräume. Während er den Kopf einziehen muss, um überhaupt in dem niedrigen Zimmer Platz zu finden, rollt, klappt und fächert Frau Zapf-von Hesse Einblicke in die nach Druckerschwärze duftenden Früchte ihrer jahrelangen, sorgfältig archivierten Arbeit auf: Bucheinbände, Schriftentwürfe und Zeichnungen, die schon auf den ersten Blick von großem handwerklichen Können und einer außerordentlichen Leidenschaft für Bücher und Schrift zeugen.
Gudrun Zapf-Hesse wird 1918 zu Kaisers Zeiten in Schwerin geboren. Mit 10 Jahren bindet sie unter Anleitung des Vaters ihr erstes Buch. Sie beschließt später eine Lehre zu machen und legt die Meisterprüfung bei Otto Dorfner in Weimar ab. Während ihrer Lehrzeit bringt sie sich autodidaktisch das Schriftschreiben bei, welches sie später meisterlich beherrschen sollte. Von 1946 bis 1954 unterrichtet sie an der Frankfurter Städelschule das Fach Schrift, wo sie auch eine eigene Buchbinderwerkstatt betreibt. Zapf-von Hesse bekommt zahlreiche Aufträge und entwirft Schriften in Zusammenarbeit mit den bedeutendsten Schriftgießereien dieser Zeit. Während ihrer mehr als 70 Jahre andauernden Schaffensphase arbeitet sie als Buchbinderin, Lettering- Künstlerin, Schriftentwerferin sowie als Stempelschneiderin.
1951 heiratet sie den Typografen Hermann Zapf: „Hier endet die Geschichte des Buchbindens und Schriftschreibens.“, erinnert sich Gudrun Zapf-von Hesse. Sie wird schwanger, schließt ihre Werkstatt im Alter von 37 Jahren und beginnt, von Zuhause aus zu arbeiten. „Dass die Geschichte hier endet, kann man trotzdem nicht sagen“, findet Ferdinand Ulrich. Obwohl die Künstlerin ein Kind aufzog und sich um den Haushalt kümmerte, entstand in dieser Zeit eine Fülle an meisterlichen Arbeiten. Im Gespräch mit Frau Zapf-von Hesse erfährt Ulrich außerdem etwas, das bislang noch nicht bekannt war: die äußerst aufwendigen Reinzeichnungen, die für das Fertigstellen der Schriften Hermann Zapfs notwendig waren, stammen allesamt von seiner Frau. Diese Arbeit, von der Fachleute wissen, dass sie extrem viel Präzision und Zeit erfordert, erledigte Zapf-von Hesse in der Werkstatt von Zuhause aus. Sie meint dazu trocken: „Das hab’ ich vormittags gemacht, wenn Zeit war.“
Einen Schriftentwurf Frau Zapf-von Hesses aus dem Jahr 1948 beschreibt Ulrich als wegweisend für die Entwicklung der Schriftgestaltung. Die Künstlerin selbst findet ihre eigenen Schriftentwürfe „nicht schlecht“. Sie ist bescheiden und besteht auf die strikte Trennung ihrer Arbeit von der ihres Mannes. Wenn Herr Zapf für die Bebilderung eines Interviews in der gemeinsamen Wohnung posieren sollte, wurde er meist vor einer kunstvollen Buchstabenfahne im Wohnzimmer fotografiert. In den Gesprächen erfährt Ulrich, dass nicht Zapf selbst der Urheber dieser Arbeit ist, sondern seine Frau. Als solche aufgetreten, ist sie aber nie. Für Frau Zapf-von Hesse keine große Sache. Etwas mehr ärgert sie allerdings, dass in den Credits ihrer eigenen Schriften, meist der Name Hermann Zapf vermerkt wurde. „Wahrscheinlich aus Marketinggründen, weil ihr Mann bekannter war“, erklärt Ulrich.
Während die Arbeit Gudrun Zapf-von Hesses in Deutschland heute nur wenigen ein Begriff ist, war den fachinternen Zeitgenossen durchaus bewusst, welch herausragende Bedeutung ihre Entwürfe hatten. Adrian Frutiger schreibt in einem Gästebuch nach einer Ausstellung in Dresden im Jahr 1998: „Liebe Gudrun, ich bin so begeistert, deine Arbeit in einem Raum ausgestellt zu sehen. Du weißt was deine Arbeit für mein Schaffen bedeutet. Ich danke dir ganz herzlich, Adrian.“
Im Jahr 2015 starben zwei Meister des Schriftentwerfens: Hermann Zapf und Adrian Frutiger. Viele Fachleute seien damals überzeugt gewesen, meint Ulrich, dass mit den beiden auch das meiste Wissen aus dieser Zeit über Typografie verschwunden sei. Sie liegen falsch. In Darmstadt lebt eine Frau, deren Augen immer noch glänzen, wenn sie über Buchdruck und Schriftkunst spricht.
Mit seinem Buch zollt Ulrich der Arbeit Gudrun Zapf-von Hesses Tribut. Ihre Entwürfe sollen gesehen werden und die Anerkennung erhalten, die sie verdienen. Da diese Bewunderung in den 70er Jahren versäumt wurde, holt Ulrich dies nun nach. Das Buch zeigt nicht das Werk der Gattin eines Meisters, sondern das einer autonomen und selbstbewussten Künstlerin. Im Großen ein wichtiger Schritt für die Weiterentwicklung der Perspektive auf „Künstler-Gattinnen“ – und im Kleinen ein tolles Buchprojekt, das die Arbeit einer beeindruckenden, bislang unentdeckten Künstlerin ins Rampenlicht rückt.
Beitrag: Alicja Schindler
Gudrun Zapf-von Hesse Abbildungen
Ferdinand Ulrich, Januar 2017
Bild 1: Gudrun Zapf-von Hesse und Ferdinand Ulrich in Darmstadt im März 2016. Foto: Norman Posselt
Bild 2: Mit Gertrud von le Forts „Plus Ultra“ (Trajanus-Presse) erschien 1953 das erste Buch, dass aus Gudrun Zapfs Schrift Diotima gesetzt war. Die 500er Auflage wurde in ihrer Werkstatt gebunden – 1954 entstanden noch vier unterschiedliche Ledereinbände. Foto: Norman Posselt
Bild 3: Buchrücken verschiedener Bucheinbände von Gudrun Zapf-von Hesse, darunter der Jubiläumsband zum 75. Geburtstag von Georg Hartmann, Direktor der Bauerschen Gießerei. Der Schriftzug ist aus der sog. Hesse-Antiqua gesetzt. Foto: Norman Posselt
Bild 4: Als erste Schrift von Gudrun Zapf wurde 1951 die Diotima bei der Schriftgießerei D. Stempel in Frankfurt am Main veröffentlicht. Foto: Norman Posselt
Bild 5: Die Diotima bleibt bis heute Gudrun Zapfs erfolgreichste Schrift. Von 1985 bis 1991 war sie für Opel im Einsatz, wir man in dieser Anzeige in der FAZ sehen kann. Foto: Norman Posselt
Bild 6: Gudrun Zapf hat das Erscheinungsbild der Bonner Buchgemeinde geprägt. Sie entwarf das Verlagssignet und die Geschäftsausstattung für die „bibliotheka christiana“ und gestaltete zwischen 1957 und 1962 etwa 40 Einbandentwürfe. Foto: Norman Posselt, Ferdinand Ulrich
Bild 7: Das Schriftenhaus H. Berthold in Berlin wollte mit Gudrun Zapf Mitte der 1980er Jahre die Diotima zur Schriftfamilie weiterentwickeln. Frühe Skizzen entstanden 1983. Foto: Norman Posselt
Bild 8: In der Reinzeichnung von 1985 hieß der neue Schriftentwurf noch „Diotima schmal“, etwas später „Diotima Book“. Foto: Norman Posselt
Bild 9: In diesem letzten Arbeitsschrift weisen die Zeichnungen Markierungen für die Digitalisierung auf. 1987 erscheint die Schrift bei Berthold als „Nofret“. Foto: Norman Posselt