So stell’ ich mir die Liebe vor: Annie Sprinkle

vor 5 years

Ein etwas exzentrischer Blick auf die Liebe.

Annie Sprinkle hat 18 Jahre lang als Prostituierte gearbeitet und angeblich mit 3452 Männern, 371 Frauen und 83 ½ Transleuten geschlafen. Später entdeckte sie die Erotik der Natur und veranstaltete zusammen mit ihrer Partnerin Sex-Performances in der Show „Ecosex Bootcamp“.

„Vor sechs Jahren habe ich die Erde geheiratet und betreibe seitdem Öko-Sex. Die Erde ist mein Liebhaber und ich liebe es, mit der Natur erotisch eins zu werden. Es ist eine eigene Weltanschauung, dazu habe ich ein Öko-Sex-Manifest auf meiner Website sexecology.org veröffentlicht. Die Erde ist nicht nur Mutter, sondern auch Geliebte. Ja, wir haben die Erde geheiratet, das war transgender, die Erde ist allgender. Wir hatten eine große Hochzeit, zusammen mit meiner Ehefrau Beth Stephens, sie ist auch Künstlerin. Wir heiraten öfter, in Frankreich, Kroatien, überall in Europa und Amerika. Mit der Erde war es meine 17. große Hochzeitsfeier.

Natürlich haben wir die Erde vorher gefragt und wir denken, sie hat Ja gesagt. Wir haben gefragt! Zustimmung ist sehr wichtig. Wir umarmen auch nur Bäume, wenn wir sie vorher um Erlaubnis gebeten haben. Wenn so ein Baum es nicht mag, stirbt er. Öko-Sex ist eine Erweiterung der Sexualität, man erotisiert alles, auch den Sternenhimmel. Das machen viele unbewusst, wenn sie nackt sind oder in der Badewanne, dann haben sie Sex mit dem Wasser oder wenn man nackt unter der heißen Sonne liegt. Die Menschen haben dauernd erotische Gefühle mit der Natur, nur geben sie das nicht zu. Auch der Anblick von schönen Blumen gehört dazu. Wenn man auf einem Motorrad den Fahrtwind spürt, kann man den Wind als Wind spüren oder ihn als erotisch annehmen und zulassen, dass er mit dir Liebe macht.

Ich habe 20 Jahre als Prostituierte gearbeitet, damals war ich 18, und war sehr promiskuitiv. Ich mochte meine Arbeit als Prostituierte, ich mag Menschen, ich habe mit mehr als 3000 von ihnen geschlafen und ich bin sehr stolz darauf. Ich hatte eine schöne Zeit, manchmal war es nicht nett, aber ich wurde nie vergewaltigt. Manchmal war es wirklich hart, aber das gehört zu meinen Erfahrungen. Das gehört zum Leben.

Ich war in Pornomagazinen und habe Burlesque gemacht. Danach war ich 15 Jahre monogam. Und dann wurde ich öko-sexuell und habe jeden Tag erotische Erfahrungen. Ich bin ja fast sechzig und es ist nicht langweilig. Auch wenn ich nackt durch die Natur laufe und die Redwoods umarme. Alles ist Liebe, Sex ist ein Teil der Liebe. Mit meiner Partnerin mache ich seit 17 Jahren Liebes-Projekte, denn die meisten Menschen haben so eine langweilige Vorstellung von Liebe wie diese Hallmark-Grußkarten mit den Liebessprüchen drauf.

Ich gehe so oft ich kann ins Gym und wir gehen mit dem Hund spazieren. Ich versuche meinen Körper so zu lieben, wie er ist, und gebe auf ihn acht so gut ich kann. Wenn ich in den Spiegel schaue, kann ich mich sehr hart kritisieren oder meinen Körper schön finden, meist mache ich beides. Man sollte sich selbst lieben, das ist sehr wichtig. Auch wir Pornostars werden älter und sich mit früher zu vergleichen ergibt keinen Sinn, das macht einen nur unglücklich. Ich mache immer noch Performances und zieh mich auf der Bühne nackt aus und habe in unserer Show „Ecosex Bootcamp“ zusammen mit meiner Freundin in großen Schlammhaufen öffentlichen Sex. Ich liebe Menschen und das mochte ich an meiner Arbeit als Prostituierte: Wenn man nackt ist, sind alle schön.“

INFO: Annie Sprinkle, 61, zeigte als Sex-Performance-Künstlerin dem Publikum gern ihren Gebärmutterhals. Ist sehr stolz, als erste Pornodarstellerin einen Doktortitel erworben zu haben. Thema: Arbeitsbedingungen von Sexarbeitern. Auf ihrer Website: www.anniesprinkle.org(asm).

Fräulein: Sie haben mit 3452 Männern, 371 Frauen und 83 ½ trans-Leuten geschlafen. Was hat es mit dem ½ auf sich?
Annie:
Oh, der/die war vermutlich im Übergang.

Kann man queer sein, wenn man heterosexuell ist?
Absolut! Queer ist eine Geisteshaltung, man ist anders. Sie sehen für mich ziemlich queer aus.

Ist das ein Kompliment?
Natürlich ist das als Kompliment gemeint. Wenn man als Mann für eine Frauenzeitschrift arbeitet kann das schon ein wenig queer sein. Und du, bist du in eine Frau verliebt, einen Mann, Transgender oder einem Baum?

Da muss ich mal nachschauen.
Ich nenne das radikal, radikal traditionell. Straight zu sein ist auch ziemlich queer.

Manchmal denke ich, es ist abenteuerlicher straight zu sein.
Queers haben mitunter ein hartes Schicksal. Wenn man Frauenkleidung trägt, ist das schon queer. Viele von ihnen haben Probleme und passen nicht in die Gesellschaft. Mein Hund ist auch queer.

Umarmt er auch Bäume?
Nein, er pisst sie an.

Und dann umarmen Sie den Baum und entschuldigen sich für den Hund?
Den Bäumen scheint es nichts auszumachen.

Da bin ich anderer Meinung.
Da könnten Sie Recht haben. Aber es sind sehr große Bäume, Redwoods, die werden über 100 Meter hoch und können älter als 600 Jahre werden.

 

Interview: Lorenz Schröter
Foto: Joegh Bullock
Dieser Beitrag erschien zuerst in Fräulein Ausgabe 13

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