Avantgarde ohne Frauen?

vor 8 years

Dieses Buch verbindet Feminismus, Kunst und Design. In „Bauhaus-Frauen“ porträtiert die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Müller die weiblichen Größen des Mythos Bauhaus. Wir haben es für euch gelesen und sind begeistert.

Bauhaus bedeutet schlichtes Design. Bauhaus bedeutet aber auch Männer. Walter Gropius, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Ludwig Mies van der Rohe sind die Namen, die man mit der Bewegung in Verbindung bringt.

Das Buch „Bauhaus-Frauen“ von Ulrike Müller setzt den Fokus neu und porträtiert Frauen am Bauhaus. Für uns heute fast unvorstellbar – aber im 19. Jahrhundert hatten Frauen keinen Zugang zu Kunstakademien. Sie durften sich schlichtweg nicht bewerben. Die einzige Möglichkeit, sich künstlerisch zu bilden, war teurer Privatunterricht. 1919 öffnete das Staatliche Bauhaus seine Pforten. Als eine der ersten Akademien gab es auch Bewerberinnen die Chance, aufgenommen zu werden. Resultat: im ersten Semester schrieben sich mehr Frauen ein als Männer.

Leiter des Bauhauses Walter Gropius proklamierte schon bei seiner ersten Ansprache „absolute Gleichberechtigung“ bei gleichen Pflichten. Um allerdings schon bald umzuschwenken und „eine scharfe Aussonderung gleich nach der Aufnahme – vor allem bei dem der Zahl nach stark vertretenen weiblichen Geschlecht“ zu fordern. Man wolle „keine unnötigen Experimente mehr machen“. Die Zahl der jungen, talentierten Frauen, die sich auf einen Platz im Bauhaus bewarben, hatte Gropius‘ Erwartungen bei weitem überstiegen. Damit hatte er nicht gerechnet. Da man sie aber nicht alle abweisen konnte, berichtet Müller von anderen Möglichkeiten, Bewerberinnen von ihrem Traum fernzuhalten: Der begabten Jana Hummel beispielsweise wurde schlicht untersagt, ihre Arbeiten zu verkaufen. Wohl wissend, dass sie das Geld zum Leben brauchte.

Wenn sich die Autorin auf die Kunsthistorikerin Anja Baumhoff  bezieht, werden weitere interessante Zusammenhänge deutlich, die sich männliche Bauhäusler zwischen Kunst und Geschlecht ausdachten: Dreieck, Rot und Geist beispielsweise seien Männlichkeit zuzuordnen, während Quadrat, Blau und Materie für Weiblichkeit stünden. Maler Johannes Itten behauptete, Frauen sei zweidimensionales Sehen angeboren, weshalb sie lieber in der Fläche arbeiten sollten. Und Paul Klee versicherte, dass Genie männlich sei. Das Resultat: Während der gesamten Bauhauszeit gab es nur drei Frauen in leitenden Positionen: Helene Börner, Gunta Stölzl und Lilly Reich. In welchen Werkstätten? Man sollte meinen das Bauhaus als avantgardistische Bewegung habe damals nicht nur alte Gestaltungsprinzipien, sondern auch verkommene Strukturen im Alltag durchbrochen. Denkste. Die Antwort lautet:  alle drei waren Leiterinnen in der Weberei.

In ihrem Buch „Bauhaus-Frauen“ dreht Ulrike Müller den Spieß um. In jedem Kapitel, das sie jeweils einer Werkstätte zuordnet, porträtiert sie mehrere Frauen: Weberinnen, Keramikerinnen, Malerinnen, Grafikerinnen, Bühnenbildnerinnen, Bildhauerinnen, Innenarchitektinnen, Möbelgestalterinnen und Fotografinnen. Daneben zeigen Schwarz-Weiß-Fotos aus der Zeit fröhliche Frauen, die die Nasen gegen Fensterscheiben drücken oder vom Arbeitsalltag Pause machen und die Füße von einer Mauer baumeln lassen. Müller zeichnet das Leben der Künstlerinnen wie Otti Berger, Friedl Dicker, Marianne Brandt und Lucia Moholy nach und gibt inspirierende Einsichten in ihre Arbeiten.

Das Buch ist 2009 erscheinen und trotzdem gerade jetzt – zu einer Zeit in der Feminismus zum Aufhänger von Werbekampagnen wird und der Trend hin zu schlichten Designklassikern geht – aktuell und lesenswert. Es zeigt: diese Frauen wussten was sie taten und prägten mit ihren Visionen maßgeblich die Bauhaus-Kunst. Ihre Arbeiten sind mit ein Grund, warum Bauhaus heute für fast jeden ein Begriff ist. Höchste Zeit also, dieses Buch zu lesen, damit uns auch andere Namen einfallen, wenn Bauhaus zum Gesprächsthema wird.

Ulrike Müller: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design.
erschienen 2009 im Elisabeth Sandmann Verlag, München
Beispielsweise hier erhältlich.
Beitrag: Alicja Schindler

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